Ausstellung über kulturelle Ambivalenz: Fliegender Teppich über Grenzen
In der Ausstellung „hybrID“ im Kunsthaus Hamburg geht es um oft problematische Abgrenzungen der Identitäten. Und um die Grenzen enger Zuschreibungen.
Ein bisschen exotisch ist es schon, was die Künstlergruppe Slavs and Tatars dem Publikum im Hamburger Kunsthaus da zumutet. Aber es ist ein schönes Beispiel, wie gering die Differenzen sein können, wenn es um oft hoch problematische Abgrenzungen von Identitäten geht. Denn diese Ausstellung thematisiert mit 13 Künstler*innen und Künstlergruppen unter dem sinnig zum Logo verkürzten Titel „hybrID“ kulturelle Vielfalt und ambivalente Verortungen.
Zuschreibungen von Orten sind für Geflüchtete und andere Migrant*innen je nach Herkunft und vermutetem Sicherheitsstatus oft gefährlich – die aberwitzig scheinpräzisen Forschungen zu Herkunftssprachen sind im Vorraum ausgestellt – aber bei Künstler*innen schmücken sie meist positiv die Vita.
So stellt sich Sung Tieu in ihrem „Selbstporträt“ als ein LED-Panel dar, auf dem die Namen aller Orte erscheinen, an denen sie gelebt hat. So bildet das eigene Set von Ortsvorstellungen daraus klischeehaft eine kulturelle Biographie der Vietnamesin. Ihr Spiegel mit dem eingeritzten Zugvogelschwarm, der von zwei kleinen Plastik-Schwimm-flügeln gehalten wird, ist dann eine die Besucher*innen mit ins Bild nehmende Reflexion über gelingende und scheiternde Überwindung von trennenden Distanzen.
Kugelige Objekte im Delirium
Der Wunsch, einfach davonzufliegen, bestimmt die Zeichenblätter des Tunesiers Nidhal Chamekh. Doch vor der Wunscherfüllung steht das Studium der Vögel, der Bau von Maschinen, das Vermessen des Menschen und die Setzung von Regeln. Am Ende findet sich die stets änderbare Freiheit nur auf dem Papier.
Zumindest virtuell kann vielleicht das Internet Grenzen überwinden – aber es kann sie auch aufrecht erhalten: Wie Aleksandra Domanović in ihrem Video zeigt, gab es die eigentlich länderbestimmende Top-Level-Domain „.yu“ für Jugoslawien bis 2010, also etliche Jahre länger als den real 1992 beziehungsweise 2003 aufgelösten Staat.
Hybridität kann aber auch ganz kunstimmanent bearbeitet werden, beispielsweise als eine Ästhetik widersprüchlicher Materialkombination wie bei Guan Xiao aus China. Doch selbst diesen disparaten Materialassemblagen sind kulturgeschichtliche Verweise eingeschrieben, was bei der ältesten kontinuierlichen Kultur der Welt kaum verwunderlich ist.
Dass es dabei auch um uralte kugelige Steinobjekte geht, denen die Archäologie keinen anderen Sinn zuschreiben kann, als dass sie wahrscheinlich ein reines funktionsfreies Statusobjekt waren, wirft nebenbei ein ironisches Licht auf den Statuscharakter heutiger Artefakte im delirierenden Kunstmarkt – gerade auch in China.
Fester Platz im Alphabet der Wohlhabenden
Einen gehobenen Status bedeutete es, in Simbabwe ein Telefon mit Festnetzanschluss zu haben und im Telefonbuch verzeichnet zu sein. Die von Admire Kamudzengerere mit Porträts bedruckten gelben Seiten erinnern an diese Identität von Wohnort und ethnischer Zugehörigkeit, dem festen Platz im Alphabet der Wohlhabenden und einer zugeteilten Nummer – eine Ordnung, die durchaus ambivalent zugunsten einer zwar grenzenlosen, aber rastlosen Privatheit des Mobilfunknetzes aufgegeben wurde.
Schon eine einfache Banane kann ein begehrtes Statusobjekt sein. Daran erinnert Rachel Monosov mit dem Bronzeabbild ihrer überhaupt ersten Banane, die ihr als Willkommensgruß überreicht wurde, als sie von Russland nach Israel übersiedelte.
Weitgereiste Waren als Glücksversprechen sind ja auch aus der jüngeren deutschen Geschichte bekannt. Waren und Menschen müssen sich an Grenzen oft mühsamen, mitunter absurden Prozeduren unterwerfen.
Metallhalterungen fixieren den Grenzgänger
bis 17. November, Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15, www.kunsthaushamburg.de
Mit minimalen Installationen zwingt Rachel Monosov reale oder gut vorstellbare Performer zu Haltungen, die ein Kontrollsystem möglicherweise vorgeben könnte: Glänzende Metallhalterungen fixieren den Grenzgänger und mit genügend starker hintergründiger Macht wird sogar ein Kaninchengitter zur unüberwindbaren Hürde.
Die immer genaueren Erfassungssysteme der Grenzregime sind nicht nur in den von Lawrence Abu Hamdan präsentierten linguistischen Forschungen präsent, die über Annahme oder Ablehnung eines Asylantrages entscheiden können, sie werden auch in der gestikulierenden Hand des Raqs Media Collective aufgezeigt.
Da wird nicht gezählt oder eine Mudra vorgeführt, es ist das Dokument des Beginns der Datenerfassung in Indien zur heute größten biometrischen Datenbank weltweit: Ein englischer Beamter nahm 1858 diesen Handabdruck des bengalischen Geschäftsmanns Rajyadar Konai zur Bestätigung eines Vertrages.
Fine Vergegenständlichung
Aber es gibt einen fragilen Trost: Zustände sind änderbar und Dinge verschwinden. Der Palästinenser Taysir Batniji schreibt den Satz „Kein Zustand ist permanent“ in Arabisch auf 457 Seifenstücke. Eine feine Vergegenständlichung, aber auch frustrierend, weil nicht nur die Seife im Gebrauch sich auflöst, sondern die formulierte Setzung auch. Sogar die Nicht-Permanenz ist nicht permanent: Alles ist stetig neu zu definieren.
Ziemlich im Zentrum der von Anna Nowak kuratierten Ausstellung befindet sich der leicht v-förmig geknickte Orientteppich von Slavs and Tatars. Formal zwischen vergrößerter Stütze für – meist religiöse – Bücher und verkleinerter Teestubenausstattung bietet die stets mit den mythischen Vorstellungen Eurasiens zwischen Berliner und Chinesischer Mauer spielende Künstlergruppe hier eine schöne Sitzgelegenheit, um Hintergrundgeschichten nachzulesen und über fragile Identitäten nachzudenken. Und unterlegt mit blauem Licht ist er auch ein fliegender Teppich, um einengende Zuschreibungen zu überwinden.
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