Ausstellung über Polit-Künstlerin: Schlupflöcher ins Paralleluniversum
Annette Wehrmann war eine widerborstige Hamburger Polit-Künstlerin des öffentlichen Raums. Posthum wird ihr eine Schau in der sterilen Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle gewidmet. Die Annäherung gelingt überraschend gut.
HAMBURG taz | Nehmen wir mal an, man hat Annette Wehrmann nicht persönlich gekannt. Was wird man dann aus der aktuellen Ausstellung in Hamburgs Kunsthalle auf sie schließen? Wird es ein packendes Porträt der 2010 verstorbenen Künstlerin, und was sagen die Requisiten ihrer Performances über sie aus?
Die Ausstellung ohne Vorkenntnisse zu besuchen, ist ein Experiment, das sich lohnt. Wehrmann hat selbst gern mit Leerstellen und dem Versteckten gearbeitet – etwa, als sie 2002 von einer Insa Moly sprach, die angeblich heimlich Fotos mit Wehrmanns Kamera machte, aber nie zu sehen war. Heute lebt Annette Wehrmann nicht mehr, und man nähert sich tastend ihrer Hinterlassenschaft.
Sofort weiß man: Das war eine Widerständige. Gleich am Eingang steht ein Mäuerchen aus Schwämmen, auf die das Wort „Nein“ gesprüht ist. Mit solchen Schwämmen werden eigentlich Graffiti entfernt. Ist das „Nein“ aber auf den Schwamm gesprüht, hat man dem Wegwischen eins ausgewischt.
Klobige Relikte
So mag auch Wehrmann gedacht haben, die kritisch auf jede Form von Bevormundung schaute und gern das Gegenteil von dem tat, was Usus war. Einmal hat sie zum Beispiel Backsteine notdürftig zu Kugeln geformt und damit Fußball gespielt. Backsteine: Insignien nordischer Identität, so kantig, wie sich der Hanseat gern sieht. Und aus dem kann man ja auch keine Kugel machen. „Genau der richtige Sport für mich“ hieß zu allem Überfluss Wehrmanns süffisante Fußball-Performance, deren klobige Relikte in Hamburgs steriler Kunsthallen-Gegenwartsgalerie ein wenig fremdeln.
Drei Schritte weiter lehnen Bildschirme aus Beton an der Wand, als kämen sie gleich auf den Müll. Sie scheinen Grabsteine eines (Computer?-) Friedhofs zu sein – mumifizierte Virtualität. Und wieder ist Wehrmann die Brechung gelungen – im konkreten und im übertragenen Sinn, einfach aufgrund der absurden Kombination von Form und Material.
Andererseits sind diese Bildschirme ein Beispiel für die „Orte des Gegen“, ein Projekt, das Wehrmann ab 2002 erfand. Unermüdlich hat sie in Hamburgs öffentlichem Raum, zu dessen Politisierung sie wesentlich beitrug, nach Stellen gefahndet, die nicht definiert, nicht dekoriert, nicht zugebaut waren. Fand sie sie, machte sie sie durch Performances sichtbar. Horte der Freiheit nannte sie diese Orte. Vielleicht waren es Schlupflöcher ins Paralleluniversum – in jedem Fall aber Bruchstellen in der Ästhetik bürgerlichen Städtebaus.
Ein kleiner Ort des Gegen hat wohl auch die Galerie der Gegenwart mit dieser Ausstellung werden sollen, obwohl allen klar ist, dass Performance-Relikte und
-Fotos eben nur Erinnerungsspuren sind. Zudem stemmt sich diese interventionistische Kunst vehement gegen die Musealisierung: Aktionen wie die Absperrung des Münsterschen Aa-Sees zugunsten einer fiktiven Wellness-Baustelle 2007 sind nicht wiederholbar. Auch nicht die Innenverspiegelung eines Ex-DDR-Wachturms, mit der Wehrmann den Bewacher-Blick nach innen richtete und einen unendlichen Raum schuf.
An beide Aktionen erinnert die Hamburger Schau leider nicht, und auch nicht an die Sprengung Hamburger öffentlicher Blumenkästen Anfang der 1990er. Wehrmann tat es, um mit einer absurden Aktion gegen eine absurde Floskel öffentlicher Schönbegrünung zu wettern.
Aber das war nicht alles. Wehrmann konnte auch Literatur – natürlich keine konventionelle: Auf Luftschlangen, von denen einige in einer Vitrine liegen, tippte sie ihre visuelle Poesie: Bewusstseinsströme, als Mix aus Alltagsbeobachtungen und Philosophie gedacht. Annette Wehrmann konnte tiefsinnig, wütend, aber auch albern sein, sagen Freunde.
Protest als Spiel
Dabei war der Protest immer auch Spiel. So hat sie etwa 1994 ein eigenes, trotziges Spielgeld in Muschelform erfunden – den „Deutschen Seifenbeton“. Wehrmann ging damit durch die Stadt und fragte die Leute, was sie dafür geben würden. Wichtig: Das Geld sollte nicht konvertier- und nicht verspekulierbar sein. Ein Eimer voll steht in Hamburgs Kunsthalle, als hätte Wehrmann ihn gerade dort abgestellt.
Und so zappt man sich von Raum zu Raum und begreift, was diese Künstlerin umtrieb, kompromisslos in ihrer Kunst und nie mit Vorgaben einverstanden. Räumliche Grenzen stehen bei ihr für Denk-Schranken, und die gehören überwunden.
Zum Beispiel, indem Wehrmann eine Schaumstoff-Scheibe mit der Eingravur „gegen“ an der Wand hochkriechen ließ, als sei der Raum zu klein. Das ist er natürlich nicht, aber Wehrmann wollte Grenzen sprengen. Und dafür braucht sie diesen Schaumstoff, der sich zwar zusammendrücken lässt, sich danach aber sofort wieder renitent ausdehnt.
Eine schlaue Parabel auf den methodischen Zweifel Wehrmanns, die mit 48 Jahren starb und jetzt den Edwin-Scharff-Preis der Stadt Hamburg bekam. Das heißt, nicht sie, sondern der Verein „Ort des Gegen“, der sich um ihren Nachlass kümmert.
Zur Preisverleihung sind viele Künstler gekommen. Ob Annette Wehrmann die Ehrung und die Präsentation ihrer Werke in dieser Institution geschätzt hätte, weiß man nicht. Aber die Kuratoren fangen das auf: durch das anfangs erwähnte Mäuerchen aus Schwämmchen. Denn das darauf gesprühte „Nein“ kann man auch als Protestruf einer Künstlerin lesen, die sich nicht mehr wehren kann.
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