Ausstellung über Pogrome in Rumänien: Yankel und Yankel kehrten nie zurück
1941 lebten viele Juden im Iași. 75 Jahre lang wurde das Pogrom verdrängt. Nun arbeiten es Künstler auf, deren Familien betroffen waren.
Es klingt wie der Anfang eines Witzes: „Yankel und Yankel gingen zum Markt.“ Der Satz ist Titel und Ausgangspunkt der Videoarbeit, die die Künstlerin Elianna Renner in der Ausstellung „Fragment of a Life“ im rumänischen Iași zeigt – einer Kunstausstellung, die sich mit dem 1941 an der jüdischen Bevölkerung begangenen Pogrom auseinandersetzt.
Beteiligt sind an der Ausstellung neun internationale Künstlerinnen und Künstler, die durch ihre Familiengeschichte an die Ereignisse des Pogroms gebunden sind – wo immer sie auch heute leben mögen. Darunter sind David Schwartz, Myriam Lefkowitz und Daniel Spoerri.
Eliana Renners Titel hat keine Pointe, es gibt nicht einmal eine Geschichte, die man sicher erzählen könnte. Denn schon nach dem ersten Satz bricht das Wissen über die Ereignisse ab. „Es gibt keine Zeugnisse und keine Erinnerungen vom weiteren Schicksal meiner beiden Urgroßväter. Es sind verlorene Geschichten, wie sie in vielen jüdischen Familien zu finden sind. Das ist extrem verstörend“, sagt die 1977 in der Schweiz geborene Künstlerin.
Yankel und Yankel waren die Urgroßväter Elianna Renners und die Großväter ihrer Mutter. Es war der 29. Juni 1941, an dem sich ihre Spur auf dem Markt von Iași verlor. An diesem Tag begannen hier die Pogrome der rumänischen Bevölkerung gegen ihre jüdischen Mitbürger. Yankel Wassermann und Yankel Solomon waren Juden.
Fortgeschickt, um ihr Leben zu retten
In ihrer Arbeit versucht Renner in aufgezeichneten Skype-Gesprächen von Verwandten, Näheres über ihre Urgroßväter und die Umstände ihres Verschwindens herauszufinden. Ihre Mutter, Edith Renner, die in Zürich lebt, erinnert sich an eine Erzählung ihrer Mutter, der zufolge ihr Vater die beiden Männer auf der Polizeiwache suchen wollte und von einem wohlmeinenden Beamten wegschickt wurde, anstatt verhaftet zu werden.
Die in Buenos Aires lebende Tante Cora Borensztein berichtet, dass ihre Mutter als dreijähriges Mädchen bei diesem verhängnisvollen Marktgang dabei gewesen sei. Die älteren Männer hätten sie fortgeschickt, um ihr das Leben zu retten, so Borenszteins Bericht über Skype.
Daneben zeigt Renner Gespräche, die sie mit ihren Freunden, dem in Tel Aviv lebenden Musiker Eli Preminger und der Theaterregisseurin Agathe Chion aus Berlin geführt hat. „Mit dem Verschwinden der Verwandten sind alle Kinder jüdischer Familien aufgewachsen“, sagt Renner. Solcherlei grausam aufgerissene Leerstellen in den eigenen Familien sind auch noch in der dritten und vierten Generation wirksam. So ist ein Austausch darüber möglich.
Der Geheimdienst verbreitete Gerüchte
Die Skypegespräche, denen man hier beiwohnt, sind locker, manchmal sogar flapsig. Und das, obwohl sie um etwas Furchtbares kreisen. Es ist ein wenig wie mit dem Titel, der an den Anfang eines Witzes erinnert. Wenn man mit der Katastrophe aufgewachsen ist, findet man schließlich auch einen Umgang mit ihr.
Das Pogrom jährt sich zum 75. Mal: Nur kurze Zeit nachdem die deutsche Wehrmacht gemeinsam mit der rumänischen Armee unter dem Marschall Ion Antonescu die Sowjetunion überfallen hatte, provozierte die rumänische Regierung mit Gerüchten die antisemitische Stimmung im Land. Unter anderem soll der rumänische Geheimdienst das Gerücht verbreitet haben, die rumänischen Juden würden die Feinde unterstützen und hätten gar der sowjetischen Luftwaffe Pläne ihrer Städte ausgehändigt, die ihnen bei der Bombardierung behilflich sein sollten.
Am Abend des 28. Juni wurden mehrere Tausend jüdische Bürger von einem aufgebrachten Mob gelyncht, weitere Tausende wurden verhaftet. Am folgenden Tag wurde im Hinterhof der Polizeizentrale ein Großteil der am Vortag inhaftierten Juden von rumänischen Soldaten erschossen. Diejenigen, die die Massenexekution überlebten, wurden in Eisenbahnwaggons gepfercht. Sämtliche Luftlöcher wurden vernagelt.
Während einer achttägigen Fahrt bei 40 Grad starben viele an Hunger, Durst und Sauerstoffmangel. Insgesamt wurden bei dem Pogrom von Iași mehr als 15.000 Menschen ermordet. Die rumänische Armee erhielt bei dem Massaker Unterstützung von der deutschen Wehrmacht.
Es gab 130 Synagogen, übrig blieb eine
Konzipiert wurde die Ausstellung von der Züricher Kuratorin Olga Stefan. Auch ihre Familie ist vom Pogrom von Iași betroffen, ihr Urgroßvater kam dabei ums Leben. In der Ausstellung zeigt sie gemeinsam mit Klaus Rozsa eine Videoarbeit, in der Aufnahmen eines Gesprächs mit ihrer Großmutter über die Vorfälle zu sehen sind.
Vor dem Pogrom waren mehr als die Hälfte der Einwohner von Iași Juden. Somit war die nahe der Moldau gelegene Stadt auch ein Zentrum des jüdischen Lebens und der jüdischen Kultur in Osteuropa. „Man denkt ja immer an Schtetl und Dorfleben. In Wirklichkeit gab es im Osten ja auch jüdisches urbanes Leben“, erklärt Renner. Iași sei beispielsweise für das jüdische Theater von zentraler Bedeutung gewesen. Es gab dort fast 130 Synagogen, übrig geblieben ist nur eine einzige.
Läuft bis 30. August, Tranzit Galerie, Iași.
„Das Pogrom wurde bis vor wenigen Jahren heruntergespielt oder ganz geleugnet“, berichtet die Kuratorin Olga Stefan. „Erst während der Zeit, als der EU-Beitritt verhandelt wurde, änderte sich das. Plötzlich war die rumänische Beteiligung am Mord an den europäischen Juden öffentliches Thema.“
Für ihre Ausstellung hat die Kuratorin sowohl von der rumänischen Regierung als auch von Leuten in der Stadt Unterstützung erfahren. Es gäbe ein Bewusstsein über die Notwendigkeit des Projekts, sagt Stefan. Antisemitismus und Nationalismus seien allerdings immer noch sehr stark in der rumänischen Gesellschaft. Trotz aller historischer Debatten bestritten selbst einflussreiche Politiker und Intellektuelle weiterhin die Verantwortung Rumäniens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!