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Ausstellung über Jugoslawiens Bauten„Architektur hatte Verantwortung“

Die Schau „Toward a Concrete Utopia“ in New York zeigt, dass inspirierende Architektur auch in der sozialistischen Welt existierte. Ein Gespräch mit Kurator Vladimir Kulić.

Andrija Mutnjaković. Nationalbibliothek des Kosovo. Prishtina, Kosovo. 1971 bis 82 Foto: Valentin Jeck/The Museum of Modern Art, 2016
Interview von Bostjan Bugaric

taz: Herr Kulić, warum sollte sich ein US-Bürger eigentlich für eine Ausstellung über das Bauen in Jugoslawien interessieren?

Vladimir Kulić: Ich glaube, es gibt dafür zwei Gründe. Zum einen hat das US-Publikum so eine Ausstellung noch nie gesehen. Dabei zeigt sie, dass moderne Architektur auch jenseits der kanonischen Gegenden blühte. Werke über die Geschichte moderner Architektur befassen sich geografisch hauptsächlich mit Westeuropa und den Vereinigten Staaten. Vor allem aber zeigt diese Ausstellung, dass inspirierende Architektur auch in der ehemaligen sozialistischen Welt existierte. Jugoslawien ist ein tolles Beispiel, um zu zeigen, dass die Geschichte viel komplizierter ist.

Und zum anderen?

Nach vier Jahrzehnten des Neoliberalismus sehen wir endlich eine erneuerte Wertschätzung der Rolle der Architektur beim Aufbau der bürgerlichen und öffentlichen Sphäre – eine Betonung des Gemeinschaftlichen anstatt des Privaten. Besonders in den USA wurde Architektur zu einer Schau für Superreiche reduziert. Der architektonische Diskurs befindet sich jetzt in den Händen des obersten Prozents. So gesehen ist Jugoslawien eine Erinnerung daran, dass Architektur mal eine umfassendere gesellschaftliche Verantwortung bei der Gestaltung von Gesellschaft hatte.

Wieso wählten Sie den Zeitrahmen 1948 bis 1980?

1948 löste sich Jugoslawien von der Sowjetunion, 1980 starb Tito. Allerdings sind das auch Wendepunkte in der Architektur, denn nach 1948 verschwand recht schnell der zu Beginn auferlegte sozialistische Realismus. Und nach 1980 betrat man die Architektur-Periode des Postmodernismus.

Die Ausstellung behauptet: Jugoslawien war ein Experiment?

Jugoslawien war zweifellos ein Experiment. Es entwickelte sich ständig. Daher ist der Titel „Zu einer konkreten Utopie“ passend, nicht nur im offensichtlichsten Sinne, wenn man von Betonarchitektur (concrete architecture) spricht, sondern auch in Anspielung auf Ernst Blochs Konzept der konkreten Utopie, das die Idee einer Gesellschaft in unaufhörlichem Werden betont, Utopie als einen Prozess der ständigen Transformation. So gesehen war Jugoslawien tatsächlich eine Utopie, weil es kontinuierlich auf der Suche nach Verbesserung war. Die Ausstellung argumentiert, dass ein großer Teil der in Jugoslawien produzierten Architektur ziemlich experimentell war. Die Frage ist, ob das Experiment gescheitert ist.

Und?

Bild: Annette Hornischer
Im Interview: Vladimir Kulić

ist Architekturhistoriker und Kurator. Er lehrt an der Florida Atlantic University, ist spezialisiert auf Architektur in der ehemals sozialistischen Welt.

In den entwickeltsten kapitalistischen Ländern kamen Modernisierung und Urbanisierung durch extreme Opfer der Arbeiterklasse zustande. Man könnte mutmaßen, dass der Preis der Modernisierung in Jugoslawien gerechter verteilt war. Jugoslawiens Versagen bestand letztendlich in der fehlenden Erneuerung des eigenen Systems, was dem Kapitalismus wiederum gelingt, trotz ständiger Krisenzyklen.

Neben Modernismus und Brutalismus waren der Strukturalismus, Metabolismus sowie der Postmodernismus in Jugoslawien ebenfalls dominant. Wie vermittelt die Ausstellung diesen sehr ausgearbeiteten Architektur-Wortschatz?

Dazu gibt etwa vier monografische Räume, die einzelnen Architekten gewidmet sind: Vjenceslav Richter, Edvard Ravnikar, Juraj Neidhardt und Bogdan Bogdanović. Ihre äußerst konträren persönlichen Werke illustrieren die extreme ­Vielfalt des architektonischen Vorgehens in Jugoslawien. ­Richter stand im Mittelpunkt der Neo-Avantgarde-Bewegung der 1950er und 1960er Jahre. Bogdanović war das Produkt der surrealistischen Bewegung der 1920er und 1930er. Neidhardt war vielleicht die interessanteste Figur als die des kritischen Regionalismus, während Ravnikar Architekturideen großartig synthetisierte, von Plečnik bis zu Le Corbusier und Aalto. Trotz ihrer Unterschiede trugen alle vier Architekten zur Errichtung der meisten politisch signifikanten Strukturen des Landes bei, von Parlamentsgebäuden und Ausstellungspavillons bis zu Monumenten des Zweiten Weltkriegs. Solch eine Vielfalt darstellender Sprachen war anderswo selten.

Uglješa Bogunović, Slobodan Janjić, and Milan Krstić. Avala Fernsehturm, Serbien. 1960 bis 65 Foto: Valentin Jeck/The Museum of Modern Art, 2016

Alle vier sind Männer

Eines meiner liebsten Ausstellungsstücke ist das Foto, auf dem die serbische Architektin Milica Šterić mit Kunden aus Afrika in einem Büro im Energoprojekt-Hauptquartier in Belgrad sitzt. Um sie herum stehen weiße Männer, die ihnen zuhören. Das Bild sagt etwas über die Subversion der traditionellen Rassen- und Geschlechtshierarchien aus und demonstriert die wahrhaft utopische Dimension Jugoslawiens, das versucht hat, die unterschiedlichsten Gruppen, die im Laufe der Geschichte entrechtet wurden, zu befreien und zu emanzipieren – dazu gehörten auch Frauen.

Wie eben Milica Šterić.

Sie war als Architektin wichtig, noch mehr aber als Architektur-Managerin, die überall in Afrika und dem Nahen Osten erfolgreich Verträge aushandelte. Eine weitere gut vernetzte Frau war Svetlana Radević, die in den 1960ern den nationalen Architekturpreis gewann. Danach lernte sie bei Louis Kahn, arbeitete mit Kisho Kurokawa, verbrachte Zeit in der Schweiz und in Japan und produzierte sehr viel interessante, fortschrittliche Architektur. Ich will damit nicht sagen, dass Jugoslawien eine Art feministisches Paradies war, denn Frauen waren in der Architektur immer noch eine Minderheit, sie konnten die gläserne Decke nur schwer durchbrechen, aber man bemühte sich bewusst um ihre Inklusion.

Wie wurde im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern der Wohnungsbau in Jugoslawien entwickelt?

Eine kurze Antwort wäre: Massenunterkünfte in Jugoslawien waren ebenfalls recht vielfältig. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Standardisierung, Typisierung und Industrialisierung des Wohnungsbaus an der Tagesordnung. Und das nicht nur in Osteuropa, sondern auch in Westeuropa, denn eine enorme Anzahl von Menschen hatte kein Zuhause. In einigen osteuropäischen Ländern, wie etwa der DDR und der Tschechoslowakei, waren Standardisierung und Typisierung äußerst erfolgreich. Die Sowjetunion produzierte 30 Millionen Wohnungen, die alle auf standardisierten Designs basierten. Das könnte man als größtes architektonisches Modernisierungsprojekt der Welt bezeichnen.

Und in Jugoslawien?

Edvard Ravnikar. Platz der Revolution (heute Platz der Republik). Ljubljana, Slowenien. 1960 bis 74 Foto: Valentin Jeck/The Museum of Modern Art, 2016

In Jugoslawien geschah so etwas nicht, teilweise aufgrund der frühen Dezentralisierung. In gewisser Hinsicht war das ein Versagen des Nachkriegsideals des Massenindustriebaus, der Nebeneffekt war jedoch die Vermeidung der städtischen Eintönigkeit, die man in manchen anderen Teilen Europas kennt.

Kann man den Wohnungsbau von den Tourismus-Gebäuden abgrenzen, die zur gleichen Zeit große Erfolge feierte?

Die Tourismusarchitektur war eine der Erfolgsgeschichten Jugoslawiens. Als in den frühen 1960er Jahren der Massentourismus an der Adria zu explodieren begann, hatte man anderswo im Mittelmeerraum schon einige Erfahrungen damit sammeln können, so dass ein Bewusstsein für die Gefahren einer unkoordinierter, chaotischen Entwicklung vorhanden war. Dieses Bewusstsein wurde in die DNA der Tourismusarchitektur eingebaut. Man bemühte sich sehr, Hunderttausende Touristen, die an die Adria kamen, unterzubringen und gleichzeitig die Qualität der Natur und der historischen Städte zu bewahren. Der Architekturkorpus, den wir aus den 1960er und 1970er Jahren geerbt haben, ist immer noch aufschlussreich, er beinhaltet viel kulturelles ­Kapital, das bis heute überlebt hat.

Welcher Rolle spielt die von Ihnen abgebildete Denkmalarchitektur?

Die Ausstellung

„Toward a Concrete Utopia: Architecture in Yugoslavia, 1948–1980“, bis 13. Januar, MoMA, New York, Katalog (MoMA) 65 Dollar

Die Denkmäler schließen die Ausstellung ab. Sie zeugen von einer wichtigen architektonischen Typologie, die im Jugoslawien der Nachkriegszeit produziert wurde, doch in gewisser Hinsicht gedenken sie auch Jugoslawiens selbst. Einige der wichtigsten sind schwer beschädigt, ihre aktuelle Form dient als Erinnerung an die Zerstörung Jugoslawiens. Und am Ausgang der Galerie stellt eine Wandmalerei von David Maljković eine wichtige Frage: Was bedeuten diese verfallenen antifaschistischen Denkmäler für uns heute? Im aktuellen politischen Klima ist das eine sehr wichtige Frage. Die Ausstellung schließt mit einer Frage und einer Mahnung.

Übersetzung: Katarina Novak

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