Ausstellung über Die Simpsons: Subversiv in Gelb
„Die Simpsons“ sind mit 35 Jahren Laufzeit die langlebigste US-Animationsserie. Der schauraum: comic + cartoon in Dortmund widmet ihr eine Ausstellung.
Kann eine Zeichentrickserie über sich selbst reflektieren? Das Intro zu einer Folge der „Simpsons“ beweist es. Kaum hat die bekannte Familiensippe auf ihrer Couch Platz genommen, fährt die Kamera zurück und zeigt ihr behagliches Wohnzimmer auf dem Bildschirm einer düsteren südostasiatischen Fabrik, in der die Animationsserie anscheinend hergestellt wird.
Die von unzähligen depressiven Zeichnerinnen in einer dunklen Halle gezeichneten Folien werden von Kindern in giftiger Säure fixiert und anschließend zu DVDs gepresst. Abgesehen von der dargestellten menschlichen Sklaverei werden für die Herstellung der Filme und für Merchandisingartikel wie Bart-Simpson-Puppen massenweise Katzen geschreddert, Pandabären und sogar ein Einhorn ausgebeutet.
„Die Simpsons – Gelber wird’s nicht!“, schauraum: comic + cartoon, Dortmund, noch bis 27. Oktober 2024; die gleichnamige Publikation von Alexander Braun (336 Seiten, 39 Euro) wird vom Panini Verlag vertrieben
Kenner der Serie nennen die Sequenz zu Beginn jeder Folge nach dem Vorspann, in der sich die Familie Simpson auf ihrer Wohnzimmercouch versammelt, den „Couch-Gag“, der immer wieder Anlass für besonders verrückte Einfälle bietet.
Niemand Geringeres als der britische Street-Art-Künstler Banksy, dessen genaue Identität unbekannt ist, hat 2010 das Storyboard für diese düstere Überzeichnung einer Trickfilmproduktion entworfen. Sein Konzept haben die Simpsons-Macher getreu umgesetzt, mit nur wenigen Änderungen – Plakate, die Fox-Senderboss Rupert Murdoch in der Fabrik als alles überschauenden „Big Brother“ zeigen, wurden weggelassen.
Comics – die Neunte Kunst
Der schauraum: comic + cartoon in Dortmund, eine auf Ausstellungen zur Neunten Kunst spezialisierte Galerie, die von dem Kunsthistoriker Alexander Braun geleitet wird, widmet der Serie und ihrem Schöpfer Matt Groening nun eine umfassende Schau.
Ein Doppeljubiläum bot den Anlass: Comiczeichner und Serienschöpfer Matt Groening wurde jüngst 70 Jahre alt und seine Serie „The Simpsons“ 35 Jahre. Eine solch lange Laufzeit hat noch keine Animationsserie und auch keine Primetime-Serie in den USA geschafft! Es ist kein Ende in Sicht, die 36. Staffel ist bereits in Planung.
Wenn auch die US-Sendequoten zuletzt nicht an den Erfolg der ersten Jahre anknüpfen konnten, wird die Serie weiterhin auf der ganzen Welt ausgestrahlt: In Alaska wie in Russland, Indien oder China erfreut sie sich hoher Beliebtheit. Ihre vor Subversion strotzende Satire scheint selbst in autokratisch regierten Ländern durchs Raster zu fallen – vielleicht weil Zeichentrick generell gern als „harmloser Kinderkram“ abgetan wird.
Von den Feuersteins zu den Simpsons
Doch mit „The Simpsons“ verhält es sich anders: Die Serie wird von jüngerem wie von erwachsenem Publikum gleichermaßen geschätzt. Seit dem 60er-Jahre-Erfolg der „Familie Feuerstein“ schaffte es keine Zeichentrickserie mehr ins US-Abendprogramm. Mit ihrem anspielungsreichen, oft provokanten Humor ebneten „The Simpsons“ zudem den Weg für weitere schräge Animationsserien wie „South Park“, „Beavis und Butt-Head“ oder „Family Guy“, die alle in den 90er Jahren starteten.
In der Ausstellung (und noch mehr in dem umfangreichen profunden Begleitbuch) wird die persönliche Entwicklung Matt Groenings minutiös nachgezeichnet: Seit den 1970er Jahren mühte er sich in Los Angeles ab, seine Underground-Comicserie „Life in Hell“ über einen weißen, neurotischen Hasen mit Überbiss namens Binky (Alter Ego Matt Groenings) in Magazinen zu veröffentlichen, was ihm auch mit immer größerem Erfolg gelang.
Schließlich trat der oscargekrönte Regisseur und Produzent James L. Brooks („Zeit der Zärtlichkeit“, „Besser geht’s nicht“) auf Groening zu, mit dem Vorschlag, aus seinem Hasen Binky eine animierte Serie für eine neue Comedy-Show des frisch gegründeten TV-Senders Fox zu machen. Doch Groening erfuhr, dass er an seiner bis dato bekanntesten und persönlichsten Schöpfung alle Rechte hätte abtreten müssen.
So entwarf er lieber ganz neue Figuren für das Projekt – die Simpsons-Familie entstand also eher zufällig. Die ersten, wenige Minuten langen Folgen von 1987 dienten noch als lustige Pausenfüller für die „Tracey Ullman Show“, bevor Fox wegen der Beliebtheit der Charaktere der Produktion einer ersten Staffel zustimmte, die im Dezember 1989 anlief.
Verträge garantieren Narrenfreiheit bei Fox
Der umwerfende, von Groening und Brooks nicht im Entferntesten erwartete Erfolg machte nicht nur die Macher der „Simpsons“ über Nacht reich, auch Fox expandierte und finanzierte damit seinen Sender Fox News, der schon früh für Donald Trump Partei ergriff. Trotzdem konnte sich der subversive und oft den Republikanern gegenüber kritische Geist der Serie erhalten, dank der Verträge, die Groening quasi Narrenfreiheit garantierten.
Doch was macht das Phänomen Simpsons eigentlich aus? Alles dreht sich um die fünf Familienmitglieder mit dem typischen Überbiss: Homer (Typ treusorgender, aber grenzdebiler Vater; Angestellter eines Atomkraftwerks), Marge (Hausfrau, ihrem Mann an Durchblick oft deutlich überlegen), sowie ihre Kinder Bart (rebellischer Bad Boy, frech und wenig helle), Lisa (hochbegabte Saxofonspielerin) und Maggie (immer am Schnuller nuckelnd).
Die in der fiktiven Kleinstadt Springfield lebende Familie ist die Parodie der amerikanischen Durchschnittsfamilie: durch und durch „dysfunktional“ und doch zutiefst harmonisch.
Eine Besonderheit der Serie ist, dass sie unter dem Mantel albernen Klamauks gesellschaftskritische Fragen stellt und politisch brisante Themen anspricht. Dabei werden auch neue Technologien, die die Wirtschaft der USA in Gang halten, infrage gestellt. Eine Folge von 2014 widmete sich etwa dem Fracking.
Darin entdeckt Marge, dass sich am Wasserhahn ihrer Küchenspüle eine Gasflamme entzündet. Schließlich wird klar, dass das ganze Städtchen bereits von der teuflischen Technik im Auftrag des Erzkapitalisten Mr. Burns „unterwandert“ wird und dadurch die Erdbebengefahr steigt.
„Mastermind“ Groening
Hinter „Mastermind“ Groening stehen auch zahlreiche künstlerische Mitarbeiter, Animatoren, Autoren und Art-Direktoren wie Bill Morrison, der vor allem die Simpsons-Comics prägte. Die in knallgelbem Design gehaltene Ausstellung hat zahlreiche seltene Fundstücke aus dem Simpsons-Kosmos zusammengetragen: Neben originalen Drehbuchseiten (oft noch maschinengeschrieben und fotokopiert) sind unter anderem Figurenstudien, Model Sheets, Vorzeichnungen und reingezeichnete farbige originale Trickfilmfolien ausgestellt.
Darunter findet sich auch eine von der Independent-Trickfilmikone Bill Plympton (der wie Groening in Portland aufwuchs) 2018 genial animierte Eröffnungssequenz mit Homer Simpson, die zu einem eigenen Kurzfilm ausgebaut wurde.
Der ganze Arbeitsprozess einer Zeichentrickfilmproduktion in klassischer Animationstechnik kann dabei am Beispiel der Simpsons nachempfunden werden. Die Ausstellung zeigt zahlreiche Serienausschnitte, die man von der „originalen Simpsons-Couch“ aus ansehen kann, einer maßstabsgetreuen Nachbildung der Familiencouch aus der Serie.
„Gelber wird's nicht“
Alexander Braun hat mit „Die Simpsons – Gelber wird’s nicht“ eine unterhaltsame, mit vielen verblüffenden Details aufwartende Ausstellung geschaffen, die einfach Spaß macht und zeigt, dass Matt Groenings gelbe Familie einen Standard in der Unterhaltungsfiktion gesetzt hat.
Damit erweitert der schauraum: comic + cartoon sein Spektrum in Richtung Animationsfilm. Der umfangreiche Katalog vertieft einige der in der Schau angesprochenen Themen und wird sicher auch manche Simpsons-Veteranen mit Insiderinformationen und seltenen Illustrationen überraschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus