Ausstellung in Trier: Bruder Nero
Eine „Nero“-Ausstellung widmet sich dem berüchtigten Herrscher, Dichter und Pyromanen – einem bemerkenswert modernen Zeitgenossen.
Die Leute mochten ihn. Die Leute, das heißt: der „populus romanus“, der dann mit der Zeit zum „Pöbel“ erklärt wurde – genau wie sein Held, der junge, strahlende Kaiser, zum sexbesessenen Tyrannen.
Und kein Wunder, dass sie ihn mochten! War Nero doch ein Populist, einer, der dem Volk nahestand – und seinem als niedrig geltenden Bedürfnis nach Brot und Spielen.
Mehr als die Leute liebte Nero nur die Kunst beziehungsweise – fatales Missverständnis seit Jahrtausenden – die Idee von sich selbst als Künstler: Schon als jeder in Rom wusste, dass der Putsch gegen ihn unmittelbar bevorstand, blieb Nero konzentriert beschäftigt mit der Verbesserung einer Wasserorgel zur gurgelnden Untermalung der Gladiatorenkämpfe und anderer böser Spiele.
Angeblich; wie immer, wenn es um Nero geht, alles angeblich ist, aus zweiter Hand bestenfalls. Niemand, der sein Leben und Sterben beschrieben hat, hat Nero leben oder sterben gesehen oder auch nur zur gleichen Zeit gelebt. Alles schriftlich Überlieferte ist mit Emotion – meist negativer – und Absicht – überwiegend schmähender – versetzt.
Skandalkaiser
Dass allerdings die Leute Nero mochten, dafür gibt es handfeste Zeugnisse. Die Trierer Ausstellung „Nero: Kaiser, Künstler und Tyrann“ zeigt Verschenkmünzen und mit dem Porträt des Skandalkaisers geschmückte Kosmetikspiegel.
Römer wie Griechen liebten an ihrem jungen Imperator, dass er nicht nur die Steuern senkte und großartige Spektakel veranstalteten ließ, sondern dass er auch selbst mitspielte: als Sportler und Wagenlenker, vor allem aber als Sänger und als Mime.
Und doch ist es nicht unproblematisch, wenn der Tyrann sich zugleich als Künstler betätigt. Das stellt die Autorin Marija Karaklajić in einer Theaterperformance des Trierer Schauspiels im Begleitprogramm der Ausstellung dar- und lässt Nero sprechen:
„Meine Spitzel lauern den Senatoren und Tribunen auf, spähen ihre Gesichtsausdrücke aus, notieren und merken sich alles. Meine Soldaten stehen entlang der Reihen, kümmern sich um die Intensität des Applauses, feuern die Zuschauer an, schlagen diejenigen, die schlappmachen. Siehe, der römische Ritter Quintus Silius schließt die Augen, sein Kopf fällt, der römische Ritter langweilt sich. In zwei Tagen wird der römische Ritter Quintus Silius nachts eine Trinkstube verlassen, um nach Hause zu gehen, doch drei Gardisten werden ihm auflauern, ihn verprügeln, mit Schwertern durchstoßen und seinen Körper in die Kloake werfen.“
Auf diese Weise dargestellt, als wahnsinnig-weinerlicher Peter Ustinov in der „Quo vadis“- Verfilmung das brennende Rom mit der Leier besingend, ist Nero seit Langem die Rettung verregneter Karfreitage und nicht enden wollender vorweihnachtlicher Bescherungserwartungen; und nur weil er noch immer ein lebendiger Teil der Populärkultur ist, auch wenn kaum mehr scharfe Hunde nach ihm benannt werden, gibt es nun diese erste, große und bemerkenswerte Ausstellung über ihn.
Denn mit Trier – bestätigt etwas missgelaunt ein Antiquar in der ehrwürdigen Innenstadt auf die Frage einer älteren Dame, welches „Nero-Andenken“ sie denn einem kulturell interessierten Bekannten („Er liest alte Bücher!“) aus Trier mitbringen könne – mit Trier hat Nero schlicht gar nichts zu tun.
Die Idee, sagt dann auch Marcus Reuter, Direktor des veranstaltenden Rheinischen Landesmuseums, sei ihm schon vor Jahren noch an seiner alten Arbeitsstelle in Xanten gekommen. Umfragen im Bekanntenkreis, aber auch in der Öffentlichkeit hätten dann bestätigt, dass der große Zündler Nero jemand sei, für den auch Leute ins Museum gingen, die sonst für einen Besuch nicht gerade Feuer und Flamme wären.
Kommen müssen sie auch, denn ohne die Massen funktionieren Events dieser Größe nicht: Mindestens 150.000 Besucher müssen in den nächsten Monaten durch die Räume des Landesmuseums geschleust werden – und zwar, damit genug Platz ist, in maximal zwei Stunden. Gerade die treue Ü60-Generation vermisst da im Gästebuch schmerzlich Sitzgelegenheiten, man denke aber an Nachbesserung, versichert Marcus Reuter.
Müsste aber gar nicht unbedingt sein. Denn das Gelungene an dieser Show ist eben ihr Showcharakter. Ist Neros Hauptbotschaft doch: Es ist Frieden – Lasst uns mehr Muße wagen!
Was nicht ausschließt, dass er nach dem Brand Roms – den er, legt die Ausstellung nahe, wohl nicht gewollt hat –, den Obdachlosen tatkräftig hilft, aber eben auch den Oscar-Wilde-mäßigen Satz gesagt haben soll: „Nun fange ich endlich an, wie ein Mensch zu wohnen“: Denn auf der Tabula rasa Roms konnte er seinen goldenen Traumpalast errichten, den die Ausstellung in einem der zahlreichen Kabinette sehr schön vergegenwärtigt. Unbedingt sehenswert sind auch die sonst in einem römischen Museumsdepot verwahrten zerschmolzenen Eisengitter, die jedenfalls eines bezeugen: Rom hat im Jahr 64 n. Chr. tatsächlich ganz schön gebrannt.
Spaßbremsenverfolgung
Es ist angenehm, in einer hysterischen Gegenwart, in der die antike Zivilisation vor allem von ihrem sogenannten Untergang durch Barbarenschwemmen her diskutiert wird, einen lebensfrohen, jungen Dandy präsentiert zu bekommen, der Frauen wie Männer liebte und sogar wissen wollte, ob er nicht selbst schwanger werden könnte.
Dass Nero Christen in blutige Tierhäute einnähen und den wilden Tieren vorwerfen ließ; dass er seine erste Frau, seine zweite Frau, seine Mutter, seinen Stiefbruder, den heiligen Petrus und den heiligen Paulus ermorden sowie seinen Geliebten kastrieren ließ und seinen Lehrer Seneca in den Selbstmord trieb – das waren Pathologien, die vielleicht nicht ausbleiben können, wenn man mit 17 vergöttlichter Herrscher der Welt wird.
Andere vermeintliche Künstler haben in Führungspositionen weit abscheulichere Verbrechen begangen. Nero ist der Märchenkönig Roms, der Ludwig II. der Ewigen Stadt, der keine Gnade walten lassen konnte, wenn jemand sich nicht in seine künstlerische Gesamtkonzeption einfügen wollte: Die Christenverfolgung war nicht zuletzt eine Spaßbremsenverfolgung.
Nero, auch das macht die Ausstellung deutlich, war den Eliten letztlich nicht blutrünstig genug. Der römische Senat, eine Art antike Initiative Neue soziale Marktwirtschaft, wollte Krieg und Sklaven und Gold und ummantelte seine brutalstmögliche Raffgier mit hehren Sprüchen über altrömische Tugenden. Man begreift das spätestens am Ausgang, wenn die fragmentarisch erhaltene Büsten der um Neros Nachfolge kämpfenden Generäle gezeigt werden: Zwei wehrmachtartige Bullenbeißer stehen da, die sich ähnlich genug sahen, dass der siegreiche Vespasian die Büsten seines unterlegenen Widersachers mit ein paar Steinmetzklopfereien auf sich umlabeln lassen konnte.
Neros Hipster- und Friedenskaisertum blieben Episode. In späteren Jahrhunderten, als Rom mehr und mehr in Bedrängnis geriet, erinnerte man sich aber an die glücklichen Zeiten und prägte neue Gedenkmünzen, während die „Teufelsgeburt“ Nero – heute würde man von Beckenendlage sprechen – dem Mittelalter selbstverständlich als Verkörperung alles Bösen galt.
Wer mit der Ausstellung durch ist, sollte sich dann unbedingt noch Zeit nehmen, die Bestände des Rheinischen Landesmuseums zu besichtigen. Trier war ein Zentrum der römischen Welt, und wenn man von Berlin aus auch sieben Stunden mit dem Zug unterwegs ist: Näher als dort kann man dem, was Rom war, an kaum einem anderen Ort in Europa kommen.
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