Ausstellung in München: Das Wort ist die schärfste Waffe
Warum gibt es Zensur? Diese Frage stellt eine Ausstellung im Münchner Literaturhaus. Antworten findet man zwischen Moral, Politik und Religion.
Z wischen farbverschmierten rostigen Baugerüsten sind rohe Holzplatten ausgelegt. Die Seiten der Gerüste sind mit durchscheinenden Stoffen verhangen, die das Tageslicht matt filtern und den lichten Raum in ein ungewohnt schummriges Labyrinth verwandeln.
Von der Decke baumeln Schnüre mit Karten, die die Besucher in die Hand nehmen müssen, um sie entziffern zu können. Absperrbänder weisen den Weg, ein Zickzackparcours führt durch die Jahrhunderte.
Ausstellung Verbotene Bücher: Religion, Politik, Moral. Literaturhaus München bis 4.2.2024
Auf Monitoren flimmern Interviewsequenzen in Dauerschleife. Ein Audioguide spielt Stimmen von Auslandskorrespondenten ab: von Florian Kellermann etwa, der für den Deutschlandfunk über Russland berichtet, oder von Annett Meiritz, die aus amerikanischen Schulbibliotheken meldet, dass manche Bücher in Pergamentpapier eingeschlagen seien – ein keineswegs überzeugender Kompromiss zwischen vorgeblicher Liberalität und struktureller Verklemmtheit.
Für jedes Thema eine Persönlichkeit
Quer durch den Raum, von überall sichtbar, flimmern drei Begriffe in Neonpink: Moral. Politik. Religion. Sie umreißen die einzelnen Kapitel der Schau „Verbotene Bücher“ im Münchner Literaturhaus, und geben zugleich die Antwort auf die Frage, die diese kleine, aber wichtige Ausstellung stellt: Aus welchen Gründen gab und gibt es Zensur? Was ist an herrschenden Meinungen so gefährlich, dass sie unter den Teppich gekehrt, unterdrückt, mit brutalen Repressionen verfolgt werden?
Den Themenkomplexen haben die Kuratorinnen Tanja Graf und Anja Seethaler drei Persönlichkeiten zugeteilt: Das Kapitel „Moral“ stellt die USA in den Fokus mit dem Comic-Roman „Gender Queer“ von Maia Kobabe, der 2019 erschien und heute auf dem ersten Platz der Liste der vermeintlich jugendgefährdenden Bücher steht. Bei „Politik“ wird der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu, der seine eng bekritzelten Manuskriptseiten aus dem Gefängnis schmuggeln musste, beispielhaft anderen Autoren vorangestellt.
Salman Rushdie, gegen den Iran eine Fatwa verhängte und der jüngst den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekam, steht mit den „Satanischen Versen“ für das Kapitel „Religion“. Aber auch Künstler wie Frank Wedekind, Wolf Biermann oder Vladimir Nabokov finden ihren Platz.
Oft verstärken sich die Einzelelemente. Moral und Religion etwa machten die politische Zensur in den Augen der Kurfürsten nötig, als in Bayern – lange vor den Bücherverbrennungen durch die Nazis – die Kirche über die Lektüre einer zunehmend alphabetisierten und schwerer regierbaren Bevölkerung wachte.
„Ezra“ und „Mephisto“
Zwei kritische aktuelle Fragen umgeht die Schau ebenfalls nicht: Erstens stellt sie an zwei Beispielen – Maxim Billers „Ezra“ und Klaus Manns „Mephisto“ – Persönlichkeitsrechte und Zensur gegenüber. Zweitens wird klar: Cancel Culture ist hier nicht automatisch mitgemeint.
Wo sich Individuen in ihren Sichtweisen von der Masse an den Rand gedrängt und gecancelt fühlen, habe das nichts mit einer systematischen Zensur durch Regierungen zu tun, so der Standpunkt der Ausstellung. In Deutschland mindestens sei Meinungsfreiheit ein geschütztes Grundrecht. Und spätestens hier wird ein Diskussionsraum bis ins Heute geöffnet.
Am Ende der Schau steht ein Youtubevideo wie ein Fazit, überschrieben mit „Das unbrennbare Buch“: Eine auf feuerfestem Papier gedruckte Ausgabe von Margaret Atwoods „Der Report der Magd“ von 1985 ist zu sehen. Das Werk wurde vor zwei Jahren in den USA auf den Index gesetzt, der Vorwurf: zu obszön, zu kritisch, zu blasphemisch. Die Autorin selbst zielt mit einem Flammenwerfer auf ihr Buch. In Brand gerät es nicht.
Die Botschaft also, die die Besucher zurück in Münchens Straßen entlassen soll? Das Wort ist die schärfste aller Waffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!