Ausstellung auf Hamburger Freifläche: Die Brache zum Tanzen bringen
Zehn Tage lang Kunst auf einem Stück des Hamburger Heiligengeistfelds: kein schlechter Ort, um Verwertungsdruck und Zweckfreiheit zu reflektieren.
Es bedarf schon eines besonderen Blicks, um vielleicht zu erkennen: Was jetzt dort angehäuft ist, seit Donnerstagabend zu besichtigen, das ist andere Erde, anderer Sand. Eigens ausleihen mussten sie den also nur vermeintlichen Aushub, erzählte am Donnerstagabend Franziska Nast vom Kunstverein St. Pauli.
Künstlerische Intervention
Diese erklärt „interdisziplinäre Gruppe aus den Bereichen Kunst, Design, Gartenlandschaftsbau, Soziologie und Architektur“ hat ein Eckchen der Fläche kuratieren dürfen und zeigt noch bis zum Sonntag, 20. September, „Welt in Teilen“: Elf Künstler*innen sind mit plastisch aufgestellten, performativ aufgeführten oder auch erst noch wachsend-wuchernd-werdenden, teils der Land-Art verwandten Arbeiten vertreten.
Dazu gibt es Begleitprogramm, mal mehr, mal weniger unmittelbar zu diesem Ort passend: Am heutigen Samstag ab 16 Uhr etwa tauschen sich die Berliner Gruppe „Stadt im Regal“ und die Künstlerin Karen Winzer über freie Stadtflächen aus, moderiert wird das von der Kulturwissenschaftlerin Annalena Wenzel. Kommenden Mittwoch, 19 Uhr, ist dann Thomas Geiger mit einer Lecture Performance zu einem anderen naheliegenden Thema zu Gast: „Peeing in Public“.
„Welt in Teilen“: bis 20. 9., Mo–Fr 15–19 Uhr, Sa + So 14–20 Uhr, Hamburg, Heiligengeistfeld/U-Bahn St. Pauli entlang der Glacischaussee
Begeleitprogramm und weitere Informationen: www.kunstvereinstpauli.de, www.facebook.com/events/2616631168654892
Es soll hier nämlich nicht einfach irgendetwas ausgestellt werden, unter freiem Himmel, was im späten Hamburger Sommer nicht ganz ohne Risiko ist. Nein, es geht um „künstlerische Perspektiven auf die Potenziale einer ziel- und funktionslosen städtischen Entwicklung“, teilen die Macher*innen mit. Aber auch „die Erprobung experimenteller Ausstellungsformen, die auch Leute erreichen, die vielleicht sonst nicht in Ausstellungsräume gehen, der Kunst dann aber zufällig draußen begegnen“, so Nast zur Szene Hamburg.
Grell und laut, dann wieder verlassen
Zur Erörterung von Fragen von Zweckfreiheit und Verwertung eignet sich das heute so leere Feld ja tatsächlich bestens: Einen Teil des Jahres findet hier Norddeutschlands angeblich größtes Volksfest statt, der „Hamburger Dom“: maximal grelles, lautes Amüsement, das diverse, ohnehin den Stadtteil prägende Probleme dreimal im Jahr noch mal potenziert: Wildpinkeln, Vermüllung, Verkehrsaufkommen.
Dass ausgerechnet dieser „schnelllebige Klimbim“, so Nast, einen „beschützenden“ Charakter für die so zentrale Freifläche haben könnte: Diesen Gedanken äußerte zur Eröffnung Kultursenator Carsten Brosda. Das ist plausibel: Würde der Dom nicht jeweils einen Teil des Jahres lang seine Ansprüche hier geltend machen, wäre auf dem Heiligengeistfeld doch längst nachverdichtet worden. Brosda zufolge ist also das Potenzial dieses (Un-)Ortes gerade, dass er nicht durchweg genutzt wird.
Das zwischenzeitlich einen anderen Teil der Fläche einnehmende Autokino ist ja jetzt auch wieder weg; wie ein verblassendes Echo steht nun aber auch in der Ausstellung eine provisorischere (und kleinere) Leinwand: Mit Einbruch der Dunkelheit läuft darauf Signe Pierce’ experimenteller Film „American Reflexxx“.
Darin geht die Künstlerin – blond, mit blauem Minikleid und verspiegelter Maske bekleidet stereotype Ideale von Schönheit, Sex-Appeal und vermeintlicher Verfügbarkeit spekulativ übersteigernd – eine US-amerikanische Vergnügungspromenade entlang. Und bekommt dabei nicht nur erwartbare Anmachsprüche zu hören, sondern wird auch Opfer körperlicher Gewalt – interessanterweise von Frauen.
Erzählt „American Reflexxx“, dem nahen Kiez angemessen, von Sex und Vergnügen und Gewalt, setzen sich andere nun dort aufgestellte Arbeiten erst auf den zweiten Blick – oder über die Bande – mit der Umgebung auseinander. Schiri Kretschmann lässt bunt besprühte Eisblöcke schmelzen, was an den Klimawandel denken lässt, aber vielleicht ja auch bloß an Eiswürfel in wieder geöffneten Bars?
Algen wachsen
Geht es da um ein Wenigerwerden, lässt Philipp Modersohn gegenüber in einem flachen Metallbecken Algen wachsen – bei der Eröffnung war noch nichts, oder wenigstens nicht viel, zu sehen.
Subtil sind die Effekte, die der Aufenthalt in Michael Beutlers Jurte aus knallgelb beklebtem Baustahl hat: Wer lange genug drin gewesen ist – die ebenfalls zur Eröffnung sprechende Nora Sdun (Textem-Verlag) empfahl mindestens eine Minute –, kommt mit einer temporär verschobenen Farbwahrnehmung wieder heraus. Da passt dann die von Nast vorausgeschickte – je nachdem – Warnung oder Erwartungssteigerung umso besser: Auf dem Gelände herrsche Stolpergefahr.
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