Ausstellung 100 Jahre Groß-Berlin: Große und kleine Würfe

Vor 100 Jahren bewältigte Berlin den Schritt zur Großstadt. Wie sieht die Bewältigung ähnlicher Herausforderungen heute aus?

Das Bild zeigt einen in lilafarbenes Licht getauchten Raum der Ausstellung "Chaos und Aufbruch. Berlin 1920/2020" im Märkischen Museum. An der rechten Wand hängt eine große Luftaufnahme der Berliner Innenstadt Ost. Ein Mann betrachtet Bildschirme auf der

Ausstellung im Märkischen Museum Foto: Copyright Stadtmuseum Berlin_Foto Michael Setzpfandt

Als „großen Wurf“ bezeichnete Museumsdirektor Paul Spies die Gründung von Groß-Berlin vor 100 Jahren. Der Kurator der Ausstellung „Chaos & Aufbruch“, Gernot Schaulinski, sprach sogar von einem „Big Bang der Berliner Geschichte“. Angesichts solch großer Worte dürfte es manchen Politikerinnen und Politikern ganz flau werden im Magen, denn die Ausstellung im Märkischen Museum, die Spies und Schaulinski am Dienstag eröffneten, blickt nicht nur auf 100 Jahre Eingemeindung zurück, sie schlägt auch einen Bogen in die Gegenwart.

Seitdem steht also die Frage im Raum: Wie sähe wohl ein großer Wurf im Jahr 2020 aus? Denn unbestritten ist, dass Berlin vor ähnlichen Herausforderungen steht wie nach dem Ersten Weltkrieg. Die Stadt wächst, Wohnungen sind knapp, die Infrastruktur ist überaltert und ächzt schon unter Normallast. Lässt sich das alles, wie damals, mit einem „Big Bang“ vom Tisch räumen?

An Plänen für die Herausforderungen, vor denen Berlin seit Mauerfall und der Wiedervereinigung steht, mangelte es nicht. Überzogene Wachstumspläne waren darunter, denen der Bau neuer Vorstädte wie in Karow folgte. Die Ertüchtigung eines berlinfernen Städtekranzes wurde propagiert, falls die Berlimania nicht nur das Umland erfassen sollte, sondern ganz Brandenburg.

Inzwischen gehören Berlin und ganz Brandenburg zu einer Hauptstadtregion, die Landesentwicklungsplanung, auf die sich beide Länder verabredet haben, konzentriert sich auf die radialen Achsen entlang der S-Bahn-Trassen. All das hat freilich länger gedauert als das Werden von Groß-Berlin. Zwischen der Gründung des Zweckverbandes 1911 und der Verabschiedung des Groß-Berlin-Gesetzes am 1. Oktober 1920 vergingen gerade einmal neun Jahren.

Die Bilanz der Gegenwart, zu der uns das Märkische Museum einlädt, fällt also nüchtern aus. 30 Jahre nach der Vereinigung gibt es noch immer keine zweigleisigen Bahnverbindungen nach Cottbus und Stettin, und mühsam ausgeklügelte Werke wie der Landesentwicklungsplan werden durch eine Firmenansiedlung wie Tesla mal eben über den Haufen geworfen.

Die Antwort lautet also wenig überraschend: Nein, es gibt keinen großen Wurf wie vor 100 Jahren, das Einzige, das es nun zügig umzusetzen gilt, sind Infrastrukturplanungen wie i2030 zum Ausbau des Schienennetzes in der Hautstadtregion.

Aber vielleicht ist die Frage, zu der das Märkische Museum einlädt, auch falsch. Vielleicht war Groß-Berlin gar kein großer Wurf, sondern eine Verwaltungsentscheidung, umgesetzt in dem kleinen Zeitfenster, in dem sie möglich war. Eine glückliche Gunst der Stunde also. Ähnlich wäre es gewesen, wenn 1996 der Volksentscheid zur Länderfusion erfolgreich gewesen wäre. Dann würden wir heute tatsächlich von einem großen Wurf sprechen können.

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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