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Aussteigerprogramm für LinkeAlles in einem Topf

Niedersachsens GroKo will wieder Aussteigerprogramme für Linke und Forschungen zu linker Militanz. Ernsthaft? Schon der Ansatz ist falsch.

Wem das stinkt, der soll halt weggehen. Oder aussteigen Foto: dpa

In Niedersachsen kochen SPD und CDU Eintopf. Wie im frischen Koalitionsvertrag steht, setzen sie auf Aussteigerprogramme und Landesprogramme gegen Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus. Aussteigerprogramme für Linke? Gibt es doch längst! Das sind die Fesseln der Arbeit und die bürgerliche Kleinfamilie.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Sozis und die Christdemokraten die durchschlagende Kraft der modernen Gesellschaftspraxis verkennen.

Und vielleicht wäre dieses Vorhaben etwas weniger abwegig, wäre nicht 2011 schon Bundesfamilienministerin Kristina Schröder mit so einem Aussteigerprogramm für Linke gegen die Wand gefahren – mangels Resonanz. Das Problem ist: Schon der Ansatz ist Quatsch.

Denn die Ziele der linken Szene sind – anders als die der rechten und islamistischen – eben nicht menschenfeindlich. Wenn jemand nicht mehr dabei sein will, geht er halt und verliert vielleicht ein paar Freunde.

Auch wenn es innerhalb der Linken totalitäre Mechanismen geben mag, ist nicht das ganze System totalitär. Anders als bei Rechten und Islamisten gehört Kritik nach innen dazu. Erst durch sie reguliert sich die linke Szene selbst. Für die linke Szene ist Selbstkritik daher ein grundlegendes Prinzip der Selbstorganisation.

Auch die „Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen“ an der Universität Göttingen wirft alle -ismen in einen Topf und will sich den Rechtsextremismus, religiösen Fundamentalismus und die linke Militanz im Flächenland vorknöpfen.

Doch dieser Extremismus-Eintopf ist Humbug. Er verkennt die Schlagkraft universeller Werte: Linke Ideale sind libertär und egalitär. Aussteigen heißt bei ihnen: sich vom Glauben an eine dafür erforderliche Gewalt loszusagen. Aber dafür muss man sich nicht von den Ideen verabschieden – im Gegenteil.

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12 Kommentare

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  • klar gibt es autoritäre und auch menschenverachtende positionen in linken szenen. am effektivsten gegen dagegen jedoch linke selbst vor. staatliche präventionsangebote führen eher zu einem gegenteiligen effekt, da sie die ganze szene als problem für die demokratie erachten und differenzierungen über den haufen werfen. würden sich autoritäre und menschenverachtende positionen in der linken verfestigen und überhand gewinnen, wäre dies a) m.e. keine linke mehr und b) wäre dann die parteinahme für den bürgerlichen rechtsstaat unausweichlich.

    aber: eine solche entwicklung sehe ich aktuell nicht. im gegenteil, ist es doch v.a. die radikale linke die in zeiten eines durchmarsches von rechts die werte der liberalen demokratie hochhält.

    ... und das ist keine gute nachricht

  • Focus Online oder manchmal Die Welt sind vielleicht auf der konservativen Seite ungfähr so rechts wie die taz links ist. Der Unterschied ist halt, nie würde man dort mit derselben Selbstgerechtigkeit NPD-Anhänger oder Flüchtlingsheimanzünder in Schutz nehmen.

    • @Mark2013:

      Eigentlich nicht "in Schutz nehmen". Erstaunlich nur die komplett ahnungslose Selbstgerechtigkeit im Sinne von "Wir sind doch die Guten." Das können nur Menschen sagen, die noch nie im Leben eine Diskussion mit Andersdenkenden geführt haben.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...sinnvoll wäre ein Aussteigerprogamm für Politiker. Der Politikextremismus in diesem Lande wächst unaufhörlich.

  • "Das Problem ist: Schon der Ansatz ist Quatsch.

    Denn die Ziele der linken Szene sind – anders als die der rechten und islamistischen – eben nicht menschenfeindlich."

    Ich bin selbst links und in diversen linken Gruppierungen unterwegs. Deshalb fällt es mir auch nicht leicht diesen Artikel zu kritisieren, aber ich denke dass diese These zu sehr verallgemeinert. Kaum ein Linker ist menschenfeindlich und Linke in die Ecke der Rechten oder Islamisten zu stellen wäre grundlegend falsch. Doch leider erlebe ich in letzter Zeit immer wieder, dass manche Linke in eine Ecke abrutschen, die eben schon menschenfeindlich ist. Da heißt es dann, dass es wieder okay sein muss gegebenenfalls Menschen zu töten, wenn man dadurch politische Ziele durchsetzten kann und dass man sich wieder stärker an der RAF orientieren muss. Ich bezweifle, dass auch nur einer von diesen Leuten seine Worte wirklich in die Tat umsetzen würde, dennoch ist es auf jeden Fall eine gefährliche Tendenz und für solche Leute bietet sich ein so genanntes "Aussteigerprogramm" an. Allerdings sollte dieses auf keinen Fall von der Regierung gestellt werden, da zum einen das Interesse daran viel zu gering wäre und sie zum anderen auch mit falschen Mitteln arbeiten würden. Wenn es so etwas gäbe, dann sollte es meiner Meinung nach von der linken Szene selbst kommen und den Leuten nicht helfen ihre linken Ideale zu vergessen - wie es vermutlich die Regierung vor hätte - sondern ihnen helfen wieder zurück zu linker Realpolitik und weg von menschenfeindlichen Ideologien zu kommen.

  • "Linke Ideale sind libertär und egalitär."

    Hier macht es sich die TAZ allerdings zu leicht. Mag zwar sein, dass viele Linke alles nicht liberale als nicht links deklarieren jedoch haben Lenin und selbst Stalin innerhalb der deutschen Linken viele Verehrer oder zumindest Relativierer. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang unwillkürlich an eine Wahlkreisfahrt der linken Abgeordneten Ulla Jelpke die sich speziell an junge Menschen richtete. Dort wurden wir (ich damals selbst Parteimitglied) am Abend in einem Restaurant mit ehemaligen Stasi Mitarbeitern konfrontiert die völlig einseitig und verharmlosend ohne Gegenrede ihre Sicht der Geschichte erzählten. Und in der SDAJ (Jugendorganisation der DKP) oder der SAV wird immer wieder der bewaffneten Revolution das Wort geredet wobei der politische Gegner (das Kapital) natürlich zur "Rechenschaft" gezogen werden soll.

    • 9G
      96830 (Profil gelöscht)
      @Der Epping:

      Einfach mal über die Theorien des Politischen Spektrums in der Politikwissenschaft informieren.

      "Liberal" und "Egalitär" sind per Definition politisch links.

      Für gewöhntlich wird das Politische Spektrum mehrdimensional gedacht, mit Achsen wie zum Beispiel "liberal - autoritär" und "egalitär - elitär".

      • @96830 (Profil gelöscht):

        Wenn sie mit der Politikwissenschaft argumentieren schicken sie mir doch bitte die entsprechende Quelle für ihre Behauptung die Wissenschaft hätte klar definiert was links ist. Davon abgesehen gehen Sie auf die Argumente überhaupt nicht ein. Es ist ja schön dass sie definieren möchten was links ist. Erklären sie das aber bitte nicht einem linksliberalen wie mir sondern Leninisten, Stalinisten etc die in vielen linken Organisationen hofiert oder zumindest toleriert werden nach dem Motto der Feind meines Feindes...

        Was sie da politologisch theoretisieren hat mit der politischen Praxis leider wenig zu tun.

  • Ich bekenne: Ich stehe weiterhin fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Unordnung.

  • Das Bild ist in Göttingen oder?

  • Das allgemein übliche Aussteigerprogramm für Linke nennt sich gewöhnlich Karriere. Am Kamin erzählt es sich bekanntlich am besten über die wilde Jugend :)

    • 9G
      96830 (Profil gelöscht)
      @nutzer:

      "Karriere" mehr als "Arbeit" alleine, das stimmt.

      "Familie" ist aber auch kein unüblicher Aussteigergrund.