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Aussteigerprogramm für AgentenProjektziel Zersetzung

Mit einem Aussteigerprogramm für Agenten wendet sich eine Initiative direkt an Mitarbeiter der Geheimdienste. Das Angebot ist ernst gemeint.

Sag niemals nie: Dieser coole Bond (links) hat‘s auch zum Privatier geschafft. Foto: dpa

BERLIN taz | Linksextreme, Rechtsextreme, Salafisten. Angehörige dieser Zielgruppen haben stets zumindest eine letzte Perspektive: Für sie alle gibt es Aussteigerprogramme, meist organisiert von Verfassungsschutzbehörden. Hotline wählen, etwas reden, ab ins neue Leben. Jetzt soll es eine Neuerung auf diesem Markt der Lebensperspektiven geben: ein Aussteigerprogramm nur für Agenten.

Intelexit – das ist das Stichwort einer Initiative, mit der ab Montag in Deutschland und weltweit Mitarbeiter von Nachrichtendiensten direkt adressiert werden sollen. Die Idee: Wer als Agent ein neues Leben auf der anderen Seite des Überwachungsstaates führen will, soll künftig von professionellen Unterstützern aufgefangen werden.

Hinter der ernst gemeinten Initiative steht ein weltweites Netzwerk verschiedener Aktivisten, Whistleblower und Ex-Agenten. In einem Werbefilm kommt etwa der Kryptographie- und Sicherheitsexperte Bruce Schneier zu Wort, der weltweit vielen als netzpolitische Koryphäe gilt. Teil des Kampagnenfilms ist auch der frühere NSA-Geheimdienstmitarbeiter Thomas Drake, der selbst seinen Job beim Auslandsgeheimdienst der USA an den Nagel hängte und stattdessen als Whistleblower Karriere machte.

Mit Broschüren und Informationsmaterial soll nun ab Montagmorgen an Standorten deutscher Geheimdienste, aber auch im Ausland für die neue zivilgesellschaftliche Anlaufstelle geworben werden. So soll unter anderem ein großer Werbetruck am Standort des besonders aggressiven britischen Geheimdiensts GCHQ auf die Initiative aufmerksam machen.

Ernstes Vorhaben

Für Dienstag kündigen die Aktivisten in einem internen Papier etwas kryptisch an, sich „im Rahmen einer direkten Botschaftsübermittlung“ an „Sammelstellen der GeheimdienstmitarbeiterInnen“ zu wenden. In einer Pressekonferenz am Mittwoch will die Initiative dann in Berlin ihre Arbeit vorstellen. Dabei soll unter anderem die pakistanische Frauen- und Bürgerrechtsaktivistin Nighat Dad zu Wort kommen.

Hinter der naiv anmutenden Idee steht nach Darstellung ihrer Urheber ein ernstes Vorhaben. Die Initiative, die sowohl die Massenüberwachung von Geheimdiensten wie auch etwa das Versagen der deutschen Verfassungsschutzämter im NSU-Skandal kritisiert, beteuert, Menschen, die Ihre Arbeit für einen Nachrichtendienst beenden wollen, ganz konkret Rechtsbeistand geben zu wollen. „Ob interessierte Aussteiger später auch als Whistleblower agieren wollen, spielt für uns zunächst keine Rolle und bleibt den Menschen selbst überlassen“, sagte ein Sprecher. Eine Hilfe könne etwa sein, ausstiegswilligen Beamten entsprechende Fachanwälte für Beamtenrecht zu vermitteln. Wer dagegen den Schutz von Whistleblower-Organisationen suche, könne auch diesen Schutz erhalten.

Tatsächlich steht hinter der global angelegten Kampagne ein bestens organisiertes Netzwerk. Als Sprecher der Initiative fungieren der prominente französische Netzaktivist Jérémie Zimmermann sowie die Schweizer Künstlerin lizvlx, die in der Vergangenheit wiederholt auch Polizei- und Justizbehörden aus den USA durch ihre Kunstaktionen auf den Plan rief. Urheber und Koordinator der Initiative ist das in Berlin ansässige „Peng Collective“, ein Zusammenschluss verschiedener Künstler und Aktivisten.

Dass die globale Kampagne in Berlin entworfen wurde, ist kein Zufall. Spätestens seit den Enthüllungen Edward Snowdens hat sich in der deutschen Bundeshauptstadt eine internationale Szene von Bürgerrechtsaktivisten und Hackern, Whistleblowern, aber auch ehemaligen Geheimdienstagenten wie der britischen Ex-MI5-Agentin Annie Machon formiert.

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2 Kommentare

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  • Auch wenn man(n) / frau keine Agent/in ist, kann er / sie zersetzen.

    Gegenwärtig wird die deutsche Gesellschaft zersplittert.

  • Ich weiß nicht, welchen Sinn es macht, offene Türen einzurennen. Geheimdienstler sind Beamte und können entsprechend ihrem Vertrag aussteigen, sie sind nicht lebenslang an ihren Geheimdienst gefesselt. Ebenso, wie der im Beitrag erwähnte „frühere NSA-Geheimdienstmitarbeiter Thomas Drake, der selbst seinen Job beim Auslandsgeheimdienst der USA an den Nagel hängte und stattdessen als Whistleblower Karriere machte.“

     

    Jeder hat im TV schon Interviews mit ehemaligen Geheimdienstlern aus D., USA, Israel, . . ., gesehen, denen der Ausstieg auch ohne Unterstützung durch entsprechende, von Intelexit vermittelte „Fachanwälte für Beamtenrecht“ gelang. Sie landeten offensichtlich nicht im Knast, sondern in den Medien, wo sie von ihren, auch negativen, Erfahrungen berichteten.

     

    Natürlich ist das nicht überall so. Z. B. in Russland müsste sich Intelexit erst mal selbst als „ausländische Agenten“ registrieren (und überwachen) lassen.

     

    Erinnert sei an das Schicksal des russischen Geheimdienstoffiziers Litwinenko, der die Behörden kritisiert hatte und nach England fliehen musste. Er wurde mit der radioaktiven Substanz Polonium vergiftet und starb nach qualvollem Todeskampf im Jahr 2006. Die Spur führte zum russischen Geheimdienst FSB, aber selbstverständlich wurden nie Beweise gefunden. Der FSB schludert nämlich nicht. Ein Verantwortlicher dieses Dienstes sagte nur kurz und knapp: „Unsere Organisation verlässt man immer mit den Füßen voran“ (d.h., im Sarg)!

     

    Wäre es ihm mit Hilfe von Intelexit besser ergangen?