Außenstrategie der Islamischen Republik: „Iran gewinnt immer mehr Einfluss“
Im Mittleren Osten gibt es mehr als zwei Seiten. Politikwissenschaftler Renad Mansour über die Motive des Regimes und seiner Verbündeten.
wochentaz: Herr Mansour, seit Monaten wird eine Ausweitung des Gaza-Kriegs befürchtet, vor allem eine Eskalation zwischen den USA und Iran mit seinen Verbündeten. Es gab gegenseitige Luftangriffe, aber die volle Eskalation bleibt aus. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Renad Mansour: An einem richtigen Krieg mit den USA und Israel sind Iran und seine Verbündeten in der Region nicht interessiert. Sie könnten ihn nicht gewinnen. Es wäre nicht die Art von Kampf, die sie bevorzugen. Iran spielt ein längeres Spiel, bei dem es seine Muskeln spielen lassen kann. Durch seine verschiedenen Netzwerke, bewaffnete und politische, gewinnt Iran immer mehr Einfluss in der gesamten Region. Der Einfluss der USA dagegen schwindet und sie kämpfen darum, ihren Einfluss zu erhalten. Deshalb wird eine direkte militärische Konfrontation von beiden Seiten nicht bevorzugt. Gleichzeitig werden sie in die Konfrontation hineingedrängt. Denn jede Seite will das letzte Wort haben und nicht schwach erscheinen. Es ist ein Dilemma.
Also greift man sich gegenseitig nur etwas an?
Renad Mansour arbeitet als Forscher für die Denkfabrik Chatham House (London), die American University of Iraq und die Uni Cambridge.
Wir haben seit dem 7. Oktober (dem Großangriff der Terrorgruppe Hamas auf Israel, Anm. d. R.) in der gesamten Region fast 200 Angriffe von Widerstandsgruppen beziehungsweise iranischen Verbündeten gesehen. Die USA haben mit Angriffen auf Widerstandsgruppen vor allem in Syrien, im Irak und gegen die Huthis im Jemen reagiert. Aber die Biden-Regierung will sich immer noch aus der Region zurückziehen und will wie vor dem 7. Oktober weiter glauben, dass es in der Region keinen Konflikt mehr gibt.
Sie sprechen von iranischen Verbündeten und Widerstandsgruppen, nicht aber von Stellvertretern. Warum?
Das Wort Stellvertreter ist ein wenig denkfaul. Zwar beschreibt es diese Gruppen und ihre Beziehung zum Iran richtigerweise als Teil eines Netzwerks, aber das Wort legt nahe, dass sie keine Autonomie oder Handlungsfähigkeit haben. Natürlich ist es richtig, dass in vielen Fällen die Interessen zwischen den Gruppen und Iran konvergieren. Aber es gibt Fälle, in denen diese Gruppen von Iran und seinen Forderungen abweichen. Es ist eine kompliziertere Beziehung. Im Irak kommt hinzu, dass die Volksmobilisierungseinheiten nicht eine Gruppe sind, sondern viele verschiedene, die miteinander auch konkurrieren. Die Hisbollah im Libanon ist zentralisierter und steht dem Iran näher. Aber auch zwischen der Hisbollah und Iran, genauso wie zwischen den Huthis und Iran, gibt es Streitigkeiten oder, sagen wir, gelegentliche Divergenzen. Es handelt sich um Bündnisse, wenn auch um asymmetrische Bündnisse. Aber es sind keine Stellvertreter in dem Sinne, dass sie nur vertreten, ohne eigenständig zu handeln.
Auch aus dem Irak wollten die USA eigentlich ihre rund 2.500 Soldaten abziehen, die derzeit noch dort stationiert sind.
Vor dem 7. Oktober gab es einen Dialog zwischen der amerikanischen und irakischen Regierung über einen Fahrplan für den Abzug der US-Truppen und einen Übergang zu normalen bilateralen Beziehungen. Die Biden-Administration wollte diesen ewigen Krieg, wie sie ihn nennt, beenden, wie es die USA auch in Afghanistan getan haben. Doch nach dem 7. Oktober ist die Gleichung eine andere. Die Gewalt in der Region, die sich zwischen den USA und den iranischen Verbündeten gegenseitig aufschaukelt, verkompliziert die Lage.
Unter den mit Iran verbündeten Kräften scheinen die Huthis im Jemen derzeit aus ihrer Sicht am erfolgreichsten zu agieren. Sie gewinnen an Popularität in der jemenitischen Bevölkerung und scheinen innenpolitisch viel Freiraum zu haben. Wie ist die Lage im Irak und im Libanon?
Die Volksmobilisierungseinheiten im Irak und die Hisbollah im Libanon befinden sich, wie auch die weitere politische Elite in beiden Ländern, schon seit vielen Jahren in einer Legitimitätskrise. Der pro-palästinensische, anti-israelische und anti-amerikanische Kurs ist ein wichtiges Mittel, um wieder Legitimität zu gewinnen, indem man sich als Teil eines breiteren Widerstandskampfes in Szene setzt. Während die Gruppen innenpolitisch mit der eigenen Regierungsführung zu kämpfen haben und in den letzten Jahren sowohl im Libanon als auch im Irak mit Protesten konfrontiert waren, hoffen sie, dass sie nun zumindest den Eindruck erwecken können, für den Widerstand zu kämpfen, und dass sie dafür Unterstützung bekommen.
Ende Januar wurden bei einem Angriff auf einen US-Stützpunkt in Jordanien erstmals seit dem 7. Oktober US-Soldaten durch direkten Beschuss durch pro-iranische Kräfte getötet. Verantwortlich zeichnete eine neue Gruppierung namens „Islamischer Widerstand im Irak“. Wer ist das?
Der Islamische Widerstand im Irak besteht aus Gruppen, die auch Teil der Volksmobilisierungseinheiten sind, zum Beispiel Kataib Hisbollah, Harakat Hisbollah al-Nujaba und Kataib Sayyid al-Schuhada. Im Gegensatz zu anderen Volksmobilisierungsgruppen, die der lokalen und nationalen Politik zugeneigt sind, eine soziale Basis in der Bevölkerung haben und Innenpolitik betreiben, handelt es sich hier um transnationale Gruppen, die sich nicht wirklich an der irakischen Politik beteiligen. Kataib Hisbollah stellen zwar auch Abgeordnete im Parlament, aber das ist eine Abweichung von der Norm. Es handelt sich bei den Gruppen des Islamischen Widerstands um Vorhuttruppen, die in der gesamten Region, vor allem im Irak und in Syrien, an vorderster Front Gewalt ausüben.
Dabei ist doch Irak ein Verbündeter der USA.
Die irakische Regierung versucht, gute Beziehungen sowohl zu den USA als auch zum Iran und allen anderen Nachbarn zu haben. Sie versucht, eine Außenpolitik der Nicht-Feindschaft zu verfolgen. Allerdings hat Iran eindeutig an Einfluss gewonnen, während die USA an Einfluss verloren haben. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass viele Demonstranten und andere Iraker von beiden Seiten desillusioniert sind. Sie wollen nicht, dass Iran und die USA ihr Land zu einem Schlachtfeld für ihren größeren Kampf machen.
Wer von beiden kann sich letztlich besser durchsetzen?
Denken Sie daran, dass die USA im Januar 2020 Qasem Suleimani mit einem Luftangriff getötet haben, den Chef des Quds-Korps der iranischen Revolutionsgarden, ebenso wie Abu Mahdi al-Muhandis, den ehemaligen Chef der irakischen Volksmobilisierungseinheiten. Seither haben die USA weder Einfluss noch Macht hinzugewonnen. All die militärischen Angriffe seitens der USA, all die Versuche, diese Gruppen zu sanktionieren, funktionieren nicht wirklich. Amerika hat im Moment nicht die politischen Mittel, um seinen Einfluss im Nahen Osten aufrechtzuerhalten. Iran dagegen kann mit seinen Mitteln seinen Einfluss aufrechterhalten. Aus iranischer Sicht kann man also den längerfristigen Wettbewerb gewinnen, auch wenn man einen direkten Krieg nicht gewinnen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen