Auslöser der Bamf-Affäre: Der Briefschreiber
Weil die Bremer Außenstelle des Bamf die Abschiebebescheide seiner Beamten kassierte, beschwerte sich Regionspräsident Hauke Jagau bei der Zentrale
Am Anfang war die Bamf-Affäre ein Brief auf dem Schreibtisch des damaligen Chefs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise. Der Brief enthielt konkrete Anschuldigungen gegen die Bamf-Außenstelle Bremen, geschrieben hatte ihn der Präsident der Region Hannover, Hauke Jagau (SPD), am 27. Juli 2016. Zwischen den Zeilen, verfasst in reinstem Beamtendeutsch, kommt Jagaus Empörung durch. Denn die Außenstelle Bremen hatte gerade in letzter Minute die Abschiebung einer sechsköpfigen jesidischen Familie aus der Region Hannover nach Bulgarien gestoppt.
Es war schon der zweite Versuch, die Familie aus Lehrte in ein Flugzeug zu setzen. Der erste scheiterte am „massiven Widerstand der Familienangehörigen“, schreibt Jagau in dem Brief, den der Flüchtlingsrat Niedersachsen auf seiner Webseite veröffentlicht hat. Dieses Mal sollte es klappen.
„Die daraufhin mit sehr hohem personellen und finanziellem Aufwand eingeleitete erneute Abschiebung“ sei „ausnahmslos“ daran gescheitert, dass die Außenstelle Bremen am Tag der Abschiebung den Asylantrag doch noch zugunsten der Familie beschieden habe. Jagau fragte den Bamf-Chef, warum sich die Außenstelle Bremen überhaupt örtlich zuständig gefühlt habe.
Dann kam Fall Nummer zwei. Ein Asylsuchender aus dem Irak sei nachweislich mehrfach in das Land gereist, um seine Geschäfte fortzuführen, sagt eine Sprecherin Jagaus. Er selbst ist gerade im Urlaub. „Einschätzung der Region Hannover war, dass der Mann unter diesen Umständen in seiner Heimat keiner Verfolgung ausgesetzt ist.“ Doch wieder verhinderte das Bamf in Bremen die Abschiebung.
Die Mitarbeiter in der Ausländerbehörde suchten „aus eigener Motivation“ nach weiteren Fällen, sagt die Regionssprecherin. Sie hätten ein großes Interesse daran, dass bei ihrer Arbeit geltendes Recht Anwendung finde. „Andernfalls wären die Gesetze Makulatur“, sagt die Sprecherin. Das Ergebnis ihrer Recherche so: In 143 Fällen habe die Bamf-Außenstelle in laufende Verfahren der Region Hannover eingegriffen. In 27 Fällen hätten die Bremer ablehnende Bescheide aus anderen Außenstellen wieder aufgehoben. Immer sei ein Rechtsanwalt aus Hildesheim beteiligt gewesen, sagt die Sprecherin. Der Regionspräsident verfasste noch einen Brief an die Zentrale in Nürnberg.
Ein Chef, der sich vor seine Leute stellt
Jagau ist ein Verwaltungschef, der sich vor seine Leute stellt. Es mag ihm nicht so sehr darum gegangen sein, die konkrete Abschiebung durchzudrücken, sondern dafür zu sorgen, dass Ausländerbehörde und Polizei ihre Arbeit machen können. Die Abschiebung war schließlich beschlossene Sache.
Zuletzt hat der Jurist das bei den Misshandlungsvorwürfen von Peta gegen den Zoo Hannover getan. Der gehört der Region. Recht grantig wischte er die Vorwürfe, hier würden Elefantenbabys bei der Dressur mit dem Haken gequält, beiseite: „Das sind die gleichen Leute, die freiwillig nächtelang auf Feldbetten schlafen, um die Elefanten bei der Geburt zu unterstützen“, sagte er. Kritik an Menschen, die für die Region arbeiten: unerwünscht. Und das zu einem Zeitpunkt, als die Staatsanwaltschaft noch in den Ermittlungen steckte. Diese wurden mittlerweile eingestellt.
Auch in der Bamf-Affäre scheint es Jagau um seine Angestellten zu gehen. In dem Brief an Weise betont er, dass „meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die für eine Abschiebung eingesetzten polizeilichen Kräfte“ sich auf die Weisungen des Bamf verlassen können müssten, um Planungssicherheit zu haben. Und: Er macht die Vorwürfe nicht öffentlich, sondern versucht, die Situation intern zu klären.
Auf der Demo gegen rechts
Jagau ist 56 Jahre alt und in der zweiten Amtszeit Regionspräsident. Wer auf seiner Facebookseite an Schützenfestpflichtterminen, Ostergrüßen und Naturfotos vorbeiscrollt, findet Bilder von ihm auf einer Demo gegen rechts. 2015 schrieb er, dass „in der Flüchtlingswelle auch eine riesige Chance für unser Land“ liege.
Als Abschiebe-Hardliner ist er nie in Erscheinung getreten. Trotzdem war die Abschiebung der jesidischen Familie, die den Bamf-Skandal ins Rollen gebracht hat, äußerst grenzwertig. Was war passiert? Im Oktober 2015 hatte die Außenstelle Friedland des Bamf den Asylantrag der jesidischen Familie abgelehnt. Der Grund: Die Eltern und ihre vier minderjährigen Kinder hatten bereits in Bulgarien Asyl bekommen. Nach den Dublin-Verordnungen ist es nicht möglich, in mehreren EU-Ländern Asyl zu beantragen.
Die Familie veranlasste mit dem Anwalt aus Hildesheim ein Wiederaufnahmeverfahren. Das Bamf Bremen entschied am Tag des zweiten Abschiebeversuchs zu ihren Gunsten – weil ihnen in Bulgarien eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung drohe.
Die Freude über den positiven Bescheid hielt bei der Familie jedoch nur kurz, denn die Bamf-Zentrale hob – angespitzt von Jagau und seinem Parteikollegen, dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius – den Bescheid aus Bremen wieder auf. Denn auch Pistorius schrieb einen Brief nach Nürnberg. Die Verfahrensweise der Bremer Außenstelle, die von Ulrike B. geleitet wurde, sei „nicht im Ansatz nachvollziehbar“, heißt es darin. Auch dieser Brief wurde vom Flüchtlingsrat veröffentlicht.
Ausländerbehörde zog Abschiebung durch
Jagaus Ausländerbehörde zog die Abschiebung dann mit allen Mitteln durch. Der Flüchtlingsrat kritisiert, dass die Behörde ignoriert habe, dass mittlerweile das Verwaltungsgericht Hannover entschieden hatte, eine Abschiebung ohne einen neuen Beschluss vom Bamf sei rechtswidrig.
Die Mutter wurde in der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 2017 mit drei minderjährigen Kindern in den Flieger gesetzt. Der Vater durfte vorerst bleiben, weil der 14-jährige Sohn vor den Polizisten, die laut Hannoverscher Allgemeiner Zeitung mit mehreren Diensthunden vor Ort waren, weggelaufen war. Mutter und Kinder sind mittlerweile wieder nach Deutschland eingereist. Der Region ist das bekannt.
Im Januar 2018 hat das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg entschieden, dass Asylbewerber, die bereits in Bulgarien als Flüchtlinge anerkannt sind, derzeit nicht dorthin abgeschoben werden dürfen. Geflüchtete befänden sich dort „in einer Mangel- und Notsituation ohne die Aussicht auf effektive Hilfe“, heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts. Sie hätten keine realistische Chance, eine Unterkunft, Sozialleistungen oder eine Arbeitsstelle zu bekommen. Sie seien deshalb „von extremer Armut bedroht“.
Situation in Bulgarien bekannt
Dieses Urteil gab es noch nicht, als Jagaus Behörde die Abschiebung veranlasst hat. Die schwierige Situation in Bulgarien war allerdings schon damals bekannt. Die Tagesschau berichtete im April 2015 beispielsweise über einen 50-seitigen Bericht von Pro Asyl, aus dem hervorgeht, dass bulgarische Polizisten Geflüchtete misshandelt haben sollen.
Der Fall der bei der Abschiebung getrennten Familie aus der Region Hannover mache fassungslos, schreibt der niedersächsische Flüchtlingsrat. „Das Verhalten der Behörden ist nicht nur aus politischer und menschlicher Sicht zu verurteilen, es verstößt auch gegen geltendes Recht.“
Jagau wird es ums Prinzip gegangen sein. Da gab es einen Abschiebebescheid, und der wurde umgesetzt. Ähnlich ist es mit seinen Briefen an den Bamf-Chef: Zweimal innerhalb von acht Monaten hatte der SPD-Mann auf die Missstände aufmerksam gemacht. „Jetzt zu tun, als hätte man in Nürnberg nichts davon gewusst, ist in höchstem Maße irritierend“, sagt Jagau.
Rechtssicherheit im Bamf ist auch im Sinne der Geflüchteten. Hartnäckig war Jagau aber vor allem, um die Arbeit der Ausländerbehörde zu erleichtern. Im Falle der jesidischen Familie hätte er auch noch auf eine andere Art Führungsstärke beweisen können. Er hätte Druck aus dem Verfahren nehmen und seine Mitarbeiter auf eine korrekte Abschiebungsanweisung aus Nürnberg warten lassen können. Die Trennung der Familie wäre vermeidbar gewesen.
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