Polizeigewalt unter Anklage

Ein Polizist steht vor Gericht. Der Vorwurf: Nötigung und fahrlässige Körperverletzung im Amt am Rande des G20-Gipfels in Hamburg. Geschädigt wurde aber kein*e Demonstrant*in – sondern ein Kollege

Am Tatort: Die Gefangenensammelstelle Neuland in Hamburg-Harburg Foto: Markus Scholz/dpa

Von Marthe Ruddat

Fast zweieinhalb Jahre nach dem G20-Gipfel beschäftigen die Vorkommnisse in Hamburg noch immer die Gerichte. Am Mittwoch begann der erste Prozess gegen einen Polizeibeamten in diesem Zusammenhang. Allerdings steht der Beamte nicht wegen eines Übergriffs auf eine*n Demonstrant*in vor Gericht. Es geht stattdessen um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Polizisten, bei der einer der beiden leicht am Finger verletzt wurde.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Polizisten Klaus M. aus Minden Nötigung und fahrlässige Körperverletzung im Amt vor. In der Nacht vom 8. auf den 9. Juli 2017 war M. in der Gefangenensammelstelle (Gesa) Neuland im Einsatz. Dort traf er im Hofbereich auf einen Kollegen der Hamburger Polizei. Dieser trug sichtbar am Oberschenkel eine Flasche Pfefferspray, etwa so groß wie ein kleiner Feuerlöscher. Laut der Anklageschrift soll M. den Hamburger Polizisten „kraftvoll“ mit dem linken Arm am Oberkörper gegen ein Fahrzeug gedrückt und mit der rechten Hand so kräftig am Holster der Sprayflasche gezogen haben, dass es aufging und er die Flasche nehmen konnte. Der Hamburger Polizist soll dabei eine schmerzhafte Bänderdehnung am kleinen Finger erlitten haben.

Eigentlich hätte der Fall schon erledigt sein können. Denn in einem vereinfachten Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl gegen M. erlassen. Das Gericht stimmte diesem zu. Demnach sollte M. eine Verwarnung mit Strafvorbehalt erhalten. Hätte er sich in den folgenden zwei Jahren etwas zu Schulden kommen lassen, hätte er 4.000 Euro zahlen müssen.

M. legte jedoch Einspruch dagegen ein. Deshalb kam es nun zum Prozess gegen ihn. Die Tat streitet er nicht ab. Er fühlt sich aber trotzdem zu Unrecht beschuldigt, wie am ersten Prozesstag mehrfach deutlich wurde.

Alle Polizist*innen, die in der Gesa eingesetzt waren, trugen zivile Kleidung und gelbe Westen, um als Polizist*innen erkannt werden zu können. Gegenüber M. sei gesagt worden: Wer eine gelbe Weste trägt, darf keine Waffen tragen. Der Hamburger Polizist habe eben eine gelbe Weste und auch Pfefferspray, also eine Waffe, getragen. M. habe ihn auch gesehen, wie er mit dem Pfefferspray in Bereiche ging, die als waffenfreie Zone galten und durch Schilder als solche markiert waren. Außerdem habe der Hamburger Kollege die Sprayflasche vor einem Container der Gesa abgenommen und einer Kollegin gezeigt.

Der Mindener Polizist berichtet vor Gericht, er habe den Hamburger angesprochen und ihm gesagt, er wolle ihn mit dem Pfefferspray nicht mehr sehen. Außerdem habe er seinem Vorgesetzten davon berichtet. Als er den Hamburger Polizisten eine halbe Stunde später wiedergesehen habe und der immer noch das Pfefferspray trug, habe er es ihm abgenommen. Er habe gedacht, sein Vorgesetzter habe den Mann nicht gefunden, um die Sache zu klären. Als der Vorgesetzte ihm später gesagt habe, er müsste sich entschuldigen, habe er abgelehnt. Er könne sich nicht dafür entschuldigen, seinen Auftrag erfüllt zu haben, habe er geantwortet.

Schon diese erste Erklärung des angeklagten Polizisten sorgt für Unmut bei der Richterin und der Staatsanwältin. Denn dass der Vorgesetzte möglicherweise ein relevanter Zeuge sein könnte, ist beiden neu. „Warum erfahre ich das erst jetzt?“, fragt die Richterin. Ihre Kritik richtet sich an den Verteidiger. Mehrfach habe dieser eine Stellungnahme seines Mandanten angekündigt, aber es sei nichts gekommen. Außerdem habe sie wiederholt versucht, ihn zu erreichen, aber er habe nicht zurückgerufen.

M. wiederum kritisiert die Ermittlungen gegen ihn. „Ich habe mich nicht wohl gefühlt, wie ich die Akten gelesen habe“, sagt er. Er sei selbst Aktenführer und es sei nicht tief genug ermittelt worden. „Vielleicht hätten Sie sich mal äußern sollen, wir können das nicht erträumen“, sagt dazu die Staatsanwältin. Sie weist zudem darauf hin, dass M. dem Hamburger das Spray in einem Bereich abgenommen habe, in dem es kein Waffenverbot gab.

Auch der geschädigte Hamburger Polizist sagt zum Prozessauftakt vor Gericht aus. Dass er die waffenfreie Zone mit dem Spray betreten hat, streitet er ab. Seinem Kollegen M., der ihm gegenüber verbal aggressiv gewesen sei, habe er im ersten Gespräch gesagt, dass er das Spray tragen dürfe. „Ich fand das auch ein bisschen unprofessionell alles“, sagt er. Kein anderer Kollege habe ihn auf das Pfefferspray angesprochen.

„Herr M. ist Polizeibeamter, ein Profi für Sicherheit. Ich glaube nicht, dass es ein Missverständnis war“

Polizist aus Hamburg, der sich beim G20-Gipfel im Sommer 2017 eine Verletzung zuzog – durch die Hand eines Kollegen, sagt er

„Für mich stellt sich das als Missverständnis dar“, folgert M.s Verteidiger. Er betont immer wieder, es habe offenbar ungenaue Anweisungen seitens der Vorgesetzten gegeben, wer nun wo Waffen und gelbe Westen tragen dürfe und wer nicht. Für den Hamburger Polizisten ist das kein Argument: „Herr M. ist ein Polizeibeamter, ein Profi für Sicherheit“, entgegnete er. „Ich glaube, das war kein Missverständnis.“ Weil sich M. zu keinem Zeitpunkt entschuldigt habe, glaube dieser offenbar, richtig gehandelt zu haben. M.s Verteidiger fragt, ob der Hamburger Interesse an einem klärenden Gespräch habe. „Das kommt zwei Jahre nach der Tat sehr spät“, entgegnet der Beamte. Er habe das Gefühl, das Angebot komme jetzt, wo es schlecht für M. laufe.

Bei der Staatsanwältin sorgt das Vorgehen des Verteidigers immer wieder für Unmut, sie wirft ihm vor, „Rauchbomben“ zu werfen. Die Richterin nennt seine Vorhalte gegen die Ermittler*innen „teilweise pro­blematisch“.

Ein weiterer Polizist, der die Szene beobachtete und beim Leiter der Gesa gemeldet hatte, sagt aus, dass M. sich vor Ort wenig einsichtig gezeigt habe. Selbst als der Gesa-Leiter ihm gesagt habe, dass der Hamburger Polizist das Spray rechtmäßig trug, sei M. sein eigenes Verhalten nicht unangenehm gewesen.

Bisher sind zwei weitere Prozesstage angesetzt, weitere Zeugen sollen noch aussagen. Auch der bisher unbekannte Vorgesetzte des Angeklagten soll vorgeladen werden.