Auseinandersetzugen in Beirut: Tränengas zum Begräbnis
Trauernde beschuldigen das syrische Regime für das Attentat vom Freitag. Demonstranten versuchen, die Zentrale der prosyrischen Regierung zu stürmen.
BEIRUT taz | Am Rande der Trauerfeiern für die Opfer eines Bombenanschlags ist es am Sonntag in Beirut zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Hunderte Demonstranten versuchten, aus Protest gegen die prosyrisch eingestellte libanesische Regierung den Regierungssitz zu stürmen. Die Polizei setzte Tränengas ein, Schüsse waren zu hören. Mehrere Menschen wurden verletzt.
Tausende hatten sich zuvor friedlich auf dem Märtyrerplatz im Zentrum versammelt. Ihre Trauer galt Wissam al-Hassan, dem bei einem Bombenattentat getöteten Geheimdienstchef. Ihr Protest richtete sich gegen Syriens Präsident Baschar al-Assad, dem sie vorwarfen, den Anschlag inszeniert zu haben.
Al-Hassan und sieben weitere Menschen waren am Freitag getötet worden, als eine Autobombe in einem mehrheitlich christlichen Viertel Beiruts explodierte. Der Anschlag versetzte das Land in Schock. „Ich bin heute hier, weil sie Wissam al-Hassan getötet haben“, sagte der 51-jährige Elias Pharaon. Wer hinter dem Attentat steht, ist für ihn klar. „Baschar al-Assad und ihre Verbündeten von der Hisbollah kümmern sich nicht um das Wohlergehen des Libanon.“
Der Libanon ist eine parlamentarische Republik mit etwa 4,3 Millionen Einwohnern. Die Bevölkerung ist in verschiedene Religionen und Konfessionen unterteilt. Unter den Muslimen sind dies vor allem schiitische und sunnitische Muslime. Die meisten Christen sind Maroniten. Zudem leben im Libanon viele Drusen. Der Anteil der Gruppen ist strittig. Die letzte offizielle Volkszählung fand im Jahre 1932 statt.
Die ethnische und religiöse Zerrissenheit spiegelt sich in der Aufteilung der wichtigsten Staatsämter wider. Der Präsident muss maronitischer Christ sein, während das Amt des Parlamentspräsidenten einem schiitischen Muslim vorbehalten ist. Der Regierungschef ist immer ein sunnitischer Muslim, der Oberbefehlshaber der Armee muss Christ sein.
Die derzeitige Regierung wird von der schiitischen Hisbollah dominiert, die mit Syriens Staatschef Assad verbündet ist. Premierminister ist der sunnitische Milliardär Nadschib Mikati. (klh)
Mit Fahne und Libanon-Kappe stand al-Hassan unweit Beiruts berühmter Unabhängigkeitsstatue. Die Massendemonstrationen auf diesem Platz beendeten vor sieben Jahren die 29 Jahre währende syrische Besatzung. Dutzende junger Männer standen auf der Statue und schwenkten Parteifahnen des Oppositionsbündnisses.
Demonstranten fordern Rücktritt des Premiers
„Premierminister Nadschib Mikati muss zurücktreten“, fügte Pharaons Frau Nadine hinzu. „Er ist Assads Mann im Libanon.“ Libanons Regierung wird von der schiitischen Hisbollah dominiert, die wiederum Assads Regierung unterstützt. Die Menschen auf dem Märtyrerplatz antworteten mit Buhrufen und „Mikati muss gehen“-Sprechchören auf den Auftritt des Premierministers während der Beerdigung. Der hatte zuvor seinen Rücktritt angeboten, was der Präsident aber ablehnte.
Trotz vermehrter Spannungen zwischen den verschiedenen libanesischen Oppositionsgruppen in den vergangenen Monaten, traten gemäßigte Sunniten und Christen gemeinsam bei der Beerdigung auf.
„Al-Hassan wurde getötet, weil er keine Angst vor dem syrischen Regime hatte“, fasste Pharaon die Meinung vieler Oppositioneller im Libanon zusammen.
Al-Hassan galt als ein enger Freund des früheren Premierministers Rafik Hariri, der 2005 ebenfalls bei einem Bombenattentat ums Leben kam. Auch hier gilt in Oppositionskreisen Syrien als Drahtzieher. Nach dem Umzug durch Beirut, mit Stopps am Hauptquartier des Geheimdiensts und dem Ort des Bombenanschlags wurde al-Hassan direkt neben Hariri zu Grabe getragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe