Auschwitz-Prozess in Lüneburg: Verteidigung fordert Freispruch
Im Plädoyer argumentieren Grönings Anwälte, der 94-Jährige habe keinen „offensiven Beitrag“ zum Holocaust geleistet. Am Mittwoch folgt das Urteil.
Sie betonten, ihr Mandant habe weder durch seine Anwesenheit an der Bahnrampe von Auschwitz-Birkenau noch durch das Zählen der Devisen „einen Beitrag geleistet, der offensiv den Holocaust gefördert hat“.
Seit dem 21. April muss sich der ehemalige Bankkaufmann in dem provisorischen Gericht in der Ritterakademie wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verantworten. Das Verfahren macht ihm zu schaffen. Die Aussagen von Zeugen, die Auschwitz nur überlebten weil sie ein falsches Alter angaben, berührten ihn, ließ er in einer Einlassung unlängst von Frangenberg vortragen. Auch sei ihm vor den Aussagen der Überlebenden nicht bewusst gewesen, dass deren ganzes Leben von Auschwitz bestimmt sei.
Moralische Schuld und strafrechtliche Verantwortung? Die Verteidigung wurde deutlich. Ihr Mandat, der in der Häftlingsgeldverwaltung tätig war, hatte eingeräumt, in Auschwitz Dienst getan zu haben. Er habe aber nur an der Rampe aufgepasst, dass von dem Gepäck der dorthin verschleppten Menschen nichts geklaut würde, an der Selektion zum Arbeitsdienst oder ins Gas wäre er nicht beteiligt gewesen.
In der vergangenen Woche hatte Staatsanwalt Jens Lehmann dem widersprochen und eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren gefordert. Gröning hätte im Frühjahr 1944 die Spuren der Massentötung an ungarischen Juden verwischt, indem er geholfen habe, an der Rampe Gepäck der dorthin verschleppten Menschen wegzuschaffen. Dadurch sollten nachfolgende Gefangene darüber getäuscht werden, was sie in Auschwitz erwartete. Lehmann schlug vor, das dass Gericht bis zu 22 Monate wegen Verfahrensverzögerungen als verbüßt anrechnen könnte. Denn schon 1978 war der Beschuldigte als Beschuldigter vernommen wurden – ohne juristische Konsequenzen.
Am Dienstag griffen Nebenkläger diesen Vorschlag der Staatsanwaltschaft an. Nebenklagevertreter Markus Goldbach sprach wegen des juristischen Umgangs mit Gröning von einen doppelten Vorteil: Erst sei er nicht belangt worden, und nun, wo er verurteilt werden soll, soll ihm die Nichtfolgung wohlwollend angerechnet werden.
Für Frangenberg nicht hinnehmbar. Die Verteidigerin legte dar, dass selbst wenn das Gericht eine Verurteilung ausspreche, zu berücksichtigen sei, dass ihr Mandant mit zur Aufklärung beigetragen habe und nur die „Mindeststrafe von drei Jahren“ angemessen wäre. Diese sollte jedoch wegen Verfahrensverzögerung als verbüßt angerechnet werden. Am Mittwoch spricht das Landgericht das Urteil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül