Ausbruch aus Berliner Knast: Gefängnis hat 'ne Schraube locker
Die aus der JVA Moabit geflohenen Häftlinge sind noch auf der Flucht. Bei ihrem Ausbruch hatten sie vermutlich Hilfe: Stacheldrähte waren nicht richtig befestigt.
Die beiden Häftlinge, die in der Nacht zu Montag aus der JVA Moabit geflohen sind, haben bei ihrem spektakulären Ausbruch vermutlich Hilfe gehabt. „Dass das alles Zufall gewesen sein soll, bezweifle ich“, sagte Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) am Dienstag. Eine Strafanzeige gegen unbekannt wegen Fluchthilfe sei deshalb gestellt und ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Am Montag hatte Heilmann noch eine „Kombination aus sportlicher Leistung und glücklichen Zufällen“ verantwortlich gemacht.
Ob Zufall oder nicht: Die Untersuchungsgefangenen, einer davon des Raubmords an einem Diskothekenbesitzer verdächtig, profitierten von mehreren ungewöhnlichen Umständen. So war die Doppelreihe aus Stacheldraht an der Gebäudewand offenbar nach Bauarbeiten nicht richtig befestigt worden, sodass sich die Ausbrecher durch eine Lücke zwischen Wand und Draht zwängen konnten. Ob die Bauarbeiter nur vergessen hatten, den Stacheldraht wieder richtig zu sichern, oder ob die Häftlinge hier Helfer hatten, ist unklar.
Ebenfalls nicht geklärt ist die Frage, wann und wie die Häftlinge die Gitterstäbe vor den Fenstern ihrer beiden Zellen zersägen konnten. Laut Heilmann geschah dies vermutlich schon vor der Ausbruchsnacht. Die Häftlinge könnten auch Öl benutzt haben, um lautlos sägen zu können. Ungewöhnlich ist außerdem, dass die Beamten in der JVA nicht auf den durch die Videoüberwachung ausgelösten Alarm reagiert hatten, wie Heilmann am Dienstag einräumte. Zwar gebe es häufig Fehlalarme, ausgelöst durch den Wind oder durch Tiere. Bisherige Untersuchungen hätten aber ergeben, dass der Fluchtversuch auf den Bildern klar zu erkennen sei.
Der Montagmorgen muss unruhig gewesen sein in der JVA Moabit: Laut Thomas Goiny, dem Landesvorsitzenden der Strafvollzugsbeamten-Gewerkschaft BSBD, versuchte noch ein weiterer Häftling einen Ausbruch. Er habe sich losgerissen, als er von seinem Arbeitsplatz zurück in seine Zelle gebracht wurde, sei aber noch auf dem Gelände gestellt worden. In der Nacht zu Montag hatte sich außerdem ein Häftling in seiner Zelle umgebracht, der Suizid war nur im Zusammenhang mit dem Ausbruch bekannt geworden.
Einen Zusammenhang zwischen dem bereits seit Jahren kritisierten Personalmangel in Berlins Gefängnissen und dem Ausbruch sieht Heilmann nicht. Dass die Wachtürme nicht besetzt waren oder es keine Streifen gab, sei seit über zehn Jahren so, seit man auf Videoüberwachung umgestellt und damit bislang bessere Ergebnisse erzielt, also Ausbrüche verhindert habe.
Er habe zwar Verständnis für die Kritik der Gewerkschaftler an der Personalbesetzung, so Heilmann am Dienstag, das habe aber nichts mit dem Ausbruch zu tun. Von Unterbesetzung will er nichts wissen: „Wir waren im Rahmen der Vorschriften.“ Konkrete Zahlen zu den Diensthabenden wollte er mit Blick auf eine Vereinbarung der Justizminister nicht nennen. Laut Tagesspiegel sollen in der Nacht 18 Beamte im Dienst gewesen sein. 890 der 1.300 Haftplätze sind laut Senatsverwaltung für Justiz derzeit in Moabit belegt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn