Ausblick der Radverbände: Fahrradbranche hat einiges auf Lager
Der Zweiradhandel boomte während der Coronapandemie. Danach ging es bergab. Für 2024 wünscht sich die Industrie Rückenwind aus der Politik.
Noch seien die Lager prall gefüllt, die Nachfrage nach neuen Rädern sei im vergangenen Jahr deutlich hinter den Lagerbeständen geblieben, sagte Schäffner. 2024 will die Industrie so viele Fahrräder verkaufen, dass die Lager wieder ein normales Niveau erreichen. „Rabatte sind da nicht immer der richtige Weg“, warnte Uwe Wöll, Geschäftsführer des Verbunds Service und Fahrrad (VSF). Allzu stark reduzierte Preise drohten Händler und Hersteller in finanzielle Nöte zu bringen – das habe die Zeit nach dem Coronaboom der Fahrradbranche gezeigt.
Zwischen 2019 und 2022 stieg die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Fahrradwirtschaft auf mehr als 325.000. Der Umsatz wuchs im gleichen Zeitraum um rund 70 Prozent, auf fast 45 Milliarden Euro. Das ist das Ergebnis einer Studie des T3 Transportation Think Tanks aus dem Juni 2023, in Auftrag gegeben vom Unternehmensverband Zukunft Fahrrad. Nach der Pandemie sank der Absatz wieder, mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Energiekrise und der Inflation wurden die Käufer:innen noch zurückhaltender. Wie sich dies in den Zahlen für das gesamte Jahr 2023 niederschlägt, wird sich voraussichtlich im März zeigen. Dann gibt etwa der ZIV neue Marktdaten heraus.
Uwe Wöll, Verbund Service und Fahrrad
„Wenn das Wetter gut ist, zieht der Markt an“, sagte Wöll weiter. Im letzten Jahr sei der Frühling verregnet gewesen. Für dieses Jahr hofft Wöll auf besseres Wetter, auch wenn die Händler laut dem VSF-Leiter ihre Räder mit gutem Marketing selbst bei Nässe und Kälte verkaufen könnten. Darüber hinaus gebe es Alternativen zum Kauf: Wöll blickt zum Beispiel optimistisch auf Jobrad- und Leasingmodelle, vor allem für E-Bikes, deren Kaufpreis oft die Budgets von Radfahrer:innen sprengt.
Verbände fordern Geld für Radwege
Wenn es der Radindustrie langfristig gutgehen soll, brauche es außerdem bessere politische Rahmenbedingungen. Gerade erst habe die Bundesregierung bei den Geldern für den Radwegeausbau massiv gekürzt, kritisierte Verbandsvertreterin Schäffner. „Dass es keine Kürzungen bei der Straße gab, ist umso schockierender“, sagte sie. Kommunen seien auf die Mittel aus dem Bundeshaushalt und finanzielle Sicherheit angewiesen, um vor Ort neue Radwege angehen zu können.
Die Reform des Straßenverkehrsgesetzes, die im Herbst im Bundesrat scheiterte, hätte den Kommunen ebenfalls mehr Möglichkeiten für die lokale Verkehrswende gegeben. Die Radbranche hoffe seitdem darauf, dass Bund und Länder der Reform in einem Vermittlungsverfahren eine neue Chance geben, so Schäffner.
Und: Obwohl Deutschland der größte Fahrrad- und E-Bike-Markt in Europa ist, spiele die Branche in der deutschen Industriepolitik kaum eine Rolle. Die EU-Kommission hat kürzlich eine Strategie zur Transformation der Mobilitätswirtschaft in Europa veröffentlicht, den sogenannten Mobility Transition Pathway (MTP). „Darin wird die Radindustrie als eines von vier Standbeinen der Mobilität anerkannt, neben der Automobil-, der Schifffahrts- und der Bahnbranche“, sagte Schäffner. In der deutschen Strategie für die Mobilitätsindustrie, die Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) 2023 präsentierte, werde die Zweiradbranche nicht erwähnt.
„Wir haben keinen Rückenwind von der Bundesregierung. Aber wir bekommen Unterstützung in den Städten, die ihre Radinfrastruktur verbessern wollen“, wandte Uwe Wöll ein. Und auch Schäffner vom ZIV ergänzte: Der gesellschaftliche Druck sei so groß, die Klimakrise so dringlich, saubere Luft und Bewegung so wichtig für die Gesundheit der Menschen – „da kommt man am Fahrrad gar nicht vorbei“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen