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Ausblick auf ein unruhiges 2025Berlin und Brandenburg vor der Zerreißprobe

Uwe Rada
Kommentar von Uwe Rada

War die Silvesternacht nur ein Vorgeschmack? Warum es im neuen Jahr in der Region noch enthemmter zugehen könnte und die Politik machtlos scheint.

Jahreslosung 2025? Foto: Uwe Rada

D ie fast schon rituelle Diskussion um ein Berliner Böllerverbot wird in ein paar Tagen oder Wochen vorbei sein. Doch die Botschaft, die die Silvesternacht für das neue Jahr bereithält, wird die Debatte überdauern. Es könnte 2025 noch egoistischer und enthemmter zugehen als in den Jahren davor.

Ein Hinweis darauf sind womöglich nicht nur die so genannten Kugelbomben, die schwere Verletzungen und Schäden angerichtet haben, sondern auch die Müllberge. 670 Kubikmeter Abfall musste die Berliner Stadtreinigung in den ersten Tagen des Jahres wegräumen, 50 Kubikmeter mehr als vor einem Jahr. Es wurden also zum Jahreswechsel nicht nur halbe Bomben gezündet, es wurde auch mehr in die Luft gejagt als in den Jahren zuvor.

Was uns das sagen könnte? Dass es vielleicht nicht stimmt, wenn immer behauptet wird, es sei nur eine kleine Minderheit, die in der Nacht der Nächte über den Strang schlägt. Damit begründet die CDU derzeit ihre Ablehnung gegen ein Böllerverbot. Die große Mehrheit sei schließlich friedlich, sie dürfte nicht für die Exzesse einiger weniger bestraft werden.

Was aber, wenn die Minderheit längst eine Mehrheit ist, zumindest aber den Ton angibt? Wenn immer mehr Berlinerinnen und Berliner auf das neue Jahr nicht nur anstoßen, sondern das alte abknallen und die Ungewissheit wegbomben wollen, weil Taubheit das neue Normal ist? Nicht nur in Neukölln und Schöneberg, auch in gediegenen Stadtteilen ist die Silvesternacht in Berlin keine Partymeile mehr, sondern ein Kampfzone.

Wenn Norbert Elias Recht hat und der Prozess der Zivilisation das Ergebnis einer Triebsublimierung ist, befinden wir uns derzeit in einem Prozess der Entzivilisierung. Nicht nur in der Silvesternacht geht es auf Berlins Straßen immer egoistischer und enthemmter zu, sondern auch im alltäglichen testosterongetriebenen Wahnsinn. Wo ist nur der neugierige Blick auf das Gegenüber geblieben, das selbstlose Lächeln, das Glück der Freundlichkeit? Berlin, von dem es immer hieß, es sei die gemütlichste unter den Metropolen, ist inzwischen richtig scheiße drauf.

Prozess der Entzivilisierung

Und es gibt kaum Hinweise darauf, dass sich das wieder bessern könnte. Im Gegenteil. Auch 2025 werden die Preise steigen und mit ihnen der Wutpegel. Sollte der Ukraine die Luft ausgehen, was sich fast die Mehrheit der Ostdeutschen wünscht, werden weitere hunderttausende Kriegsflüchtlinge in die Region kommen. Die Verteilungskämpfe könnten eskalieren, der gesellschaftliche Zusammenhalt noch weiter schwinden. Wieviel Destabilisierung vertragen Berlin und Brandenburg?

In Letzterem regiert eine Partei, deren Vorsitzende, wie auch die AfD, diesen Prozess der Destabilisierung aktiv betreibt. Als es im Bundesrat darum ging, die Wahl von Verfassungsrichtern nazifest zu machen, hat sich Rot-Lila als einziges Bundesland enthalten. Aus einem weit nichtigeren Anlass hat Ministerpräsident Dietmar Woidke für einen solchen Dissens die grüne Gesundheitsministerin entlassen. Nun spielt er mit beim Spiel der Destabilisierung. Doch das ist womöglich nur ein Vorgeschmack darauf, welche Töne künftig aus dem politischen Brandenburg kommen werden.

In Berlin sieht es – noch – besser aus, auch wenn die Verunsicherung dem schwarz-roten Senat anzumerken ist. Von einem friedlichen Silvester sprach die Innensenatorin, nur um dann kundzutun, sie werde sich bei der Innenministerin persönlich für eine Böllerverbot einsetzen. Anders als in Brandenburg ist die Berliner Politik nicht von Populisten erpressbar, es regieren zwei Parteien der Mitte, als Alternative stehen mit den Grünen und Linken zwei weitere demokratische Parteien bereit. Doch der Einfluss der Politik auf die urbanen und ruralen Kampfzonen ist geringer geworden, vielleicht sogar zu gering, um die Entzivilisierung noch bremsen zu können. Befeuern dagegen kann sie sie allemal.

Düstere Aussichten, fürwahr. Darüber, wie eventuelle Anschläge oder Angriffe auf Politiker, Polizei oder Feuerwehr die Enthemmung und Entgrenzung vorantreiben könnten, soll an dieser Stelle gar nicht erst spekuliert werden. Auch so schon ist zu befürchten, dass sich diejenigen aus dem öffentlichen Raum ins Private zurückziehen, die bislang für das gesorgt haben, was die Politik in ihren Neujahrsansprachen gesellschaftlichen Zusammenhalt nennen.

Berlin und Brandenburg stehen womöglich vor einer Zerreißprobe. Und die bevorstehende Bundestagswahl im Februar kommt noch dazu. Sollte es ein schmutziger Wahlkampf werden, wird es noch mehr Müll geben. Den wegzuräumen, wird nicht einmal die BSR schaffen.

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Uwe Rada
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.
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3 Kommentare

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  • Also, wer hat denn behauptet, Berlin sei "die gemütlichste unter den Metropolen"?

    Köln (wenn man auf Oberflächlichkeit steht) oder München (wenn man auf krachlederne Dumpfheit steht) sind gemütlich. Berlin war immer eine überdrehte Stadt.

    "Anders als in Brandenburg ist die Berliner Politik nicht von Populisten erpressbar, es regieren zwei Parteien der Mitte"

    Mittig ist an der christlich-reaktionären Berliner CDU mit ihren stasihaften Überwachungsallüren gar nichts mehr.

  • Ich halte hier noch bis zur Rente durch (16 Jahre). Dann setze ich mich irgendwohin ab, wo's sehr einsam ist. Naja, wenn dann das Schengener Abkommen noch so gilt, wie heute...

    Als Kind (93er Abi) war mir klar, dass die Welt immer enger zusammenrückt und die Grenzen immer unwichtiger werden. Allein aus wirtschaftlichen Interessen. Was mir damals klar war, ist heute nur noch ein Flüstern. Hauptverantwortlich sehe ich das Internet. In diesem kann sich jeder noch so schräge Mensch direkt Gehör verschaffen (i.e. Trump, Musk, Putin etc).

    Am meisten Sorgen mache ich mir um meine Tochter (20). Sie wird auch von der Klimakatastrophe voll getroffen werden.

    • @Dirk Karstädt:

      Glauben Sie wirklich, dass Ihnen in 16 Jahren diese Erde noch irgendwo einen Platz bieten wird, an dem Sie Ihre lebenswerte Einsamkeit genießen können?