Aus Le Monde diplomatique: Des Kaisers Sehnsuchtsort
Neuguinea weckte Ende des 19. Jahrhunderts die Begehrlichkeiten deutscher Kolonialisten und Missionare. Eine persönliche Spurensuche.
Mein Vater ist in einem sehr kleinen Dorf namens Heldsbach geboren. Heldsbach bei Finschhafen. Ich wusste lange Zeit nicht, dass Heldsbach in Neuguinea liegt und mein Vater eigentlich gebürtiger Australier war. Was könnte deutscher klingen als Heldsbach? Oder Friedrich-Wilhelms-Hafen, Herbertshöhe, Stephansort, Hagenberg?
Finschhafen ist ein so unbedeutendes kleines Kaff, dass niemand es im Lauf der Geschichte für nötig befunden hat, seinen Namen zu ändern. Dabei besitzt Papua-Neuguinea (PNG) seit 1975 nominell die volle Souveränität eines unabhängigen Staates im Commonwealth.
Katharina Döbler im Gespräch über ihren Roman „Dein ist das Reich“, die Deutsche Südsee, ihre Familiengeschichte und koloniales Erbe. Moderiert von Charlotte Wiedemann.
Streaming Info
Wann: Mi., 16.06.2021, 19 Uhr
Kontakt: taztalk@taz.de
Die in der Sphäre des weißen Mannes überlieferte Geschichte dieses natürlichen Hafens beginnt im Jahr 1884. Da erkundete der Ornithologen und Forschungsreisende Otto Finsch im Auftrag eines Berliner Konsortiums die nordöstliche Küste der Insel Neuguinea. Mit dem Dampfer „Samoa“ stach er von Sydney aus in See. Sein Auftrag war es, „der politischen wie wirtschaftlichen Besitzergreifung durch das Reich und die Neuguinea-Compagnie“ vorzuarbeiten.
Finsch und sein Kapitän fanden mehrere für ihre Zwecke geeignete Häfen. Die künftige Hauptniederlassung der Compagnie in der Langemakbucht an der östlichen Landspitze nannte er Finschhafen. Dort ließ er im Beisein des deutschen Generalkonsuls von Sydney 1884 die deutsche Flagge hissen – vor allem, um zu verhindern, dass die Engländer, die sich schon im gesamten Osten Neuguineas breitzumachen begannen, seiner Auftraggeberin das erhoffte Geschäft versauten.
Kolonialmächte teilen sich die Insel auf
Tatsächlich gelang es Finsch, circa 200 000 Quadratkilometer Land an der Nordostküste zu „erwerben“. Man weiß nicht, ob die Einwohner von diesen Besitzansprüchen tatsächlich wussten. Jedenfalls war der Kauf von Land in ihrer Kultur nicht üblich. Das gesamte Gebiet entlang der Küste von Angriffshafen im Westen nahe der Grenze zu Niederländisch-Indien, über Berlinhafen (mit Einfahrt durch die Babelsberg-Straße), Friedrich-Wilhelms-Hafen bis hin zum südöstlichen Adolfhafen (benannt nach Adolph von Hansemann, dem Mitbegründer der Neuguinea-Compagnie) wurde „deutsches Schutzgebiet“ und bekam den Namen Kaiser-Wilhelms-Land. Das geschah im Jahr 1886, als Briten, Deutsche und Holländer sich geeinigt hatten, wie die zweitgrößte Insel der Welt aufzuteilen sei: Ein Querschnitt von der Herkulesbucht im Osten auf dem 8. südlichen Breitengrad schräg nach Nordwesten bildete die Grenze zwischen deutschem und britischem Territorium.
Westlich des 141. Längengrads gehörte alles den Holländern: Bis heute verläuft hier die Grenze zwischen PNG und dem von Indonesien besetzten West-Papua. Die vorgelagerten Inseln des Bismarck-Archipels, mit der Hauptinsel Neupommern, gehörten nun ebenfalls zu Deutsch-Neuguinea. Insgesamt erstreckte sich die deutsche Südsee weiter über die nördlichen Salomonen bis nach Samoa. Diese Insel mit dem angenehmen Klima und den barbusigen Frauen war für die Deutschen das, was Tahiti für die Franzosen war: ein Traum, den es in Besitz zu nehmen galt.
Neuguinea war anders: Unverständlich, undurchdringlich, von einem stets in Nebel getauchten Urwald bedeckt, und von schwarzen Kannibalen bewohnt, die Knochenschmuck auf dem Kopf und in der Nase trugen. Die Küste war sumpfig und heiß, aber überaus fruchtbar.
Vorbild der niederländischen Ostindien-Kompanie
Kaiser Wilhelm II. hatte den Platz an der Sonne zwar gefordert, wusste aber mit dem nach ihm benannten Land wenig anzufangen. Klare geostrategische Pläne verfolgte er abgesehen von einem Flottenstützpunkt auf Neupommern nicht. Die Compagnie konnte tun, was sie wollte; nach dem Vorbild der niederländischen Ostindien-Kompanie verwaltete sie das ganze unwegsame Gebiet. Niemand wusste, wie hoch diese Berge wirklich waren (der Mount Wilhelm ist nach aktuellen Messungen 4509 Meter hoch), wer dort lebte und welche Bodenschätze es gab.
ist Redakteurin bei Le Monde diplomatique. Ihr jüngster Roman „Dein ist das Reich“ über deutsche Missionare in der Südsee ist im Claassen Verlag erschienen.
Aber die Claims waren abgesteckt, und jeder hoffte, dass sich der eigene Anteil irgendwie lohnen würde.
Für die Neuguinea-Compagnie erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Finschhafen und die gesamte Umgebung an der Küste war Malariagebiet – und zwar in einem solchen Ausmaß, dass Robert Koch höchstpersönlich dort 1898/99 seine Forschungen anstellte. Nach einer schweren Epidemie verlagerte die Compagnie den Firmensitz; Finschhafen versank in Bedeutungslosigkeit. Bedeutsam war er nur für die bayrischen Missionare in diesem Bezirk, den die Pflanzer und Beamten spöttisch den „Neuendettelsauer Kirchenstaat“ nannten.
Die Mission bewirtschaftete mit ihren zum größten Teil getauften einheimischen Arbeitern riesige Kokosplantagen an der ungesunden Küste. Und sie kaufte sogar noch der Neuguinea-Compagnie Land ab. 1898 musste das von der Pleite bedrohte Unternehmen vom Staat gerettet werden; für die Rückgabe der Hoheitsrechte über die verelendete Kolonie an das Kaiserreich kassierte es 4 Millionen Mark. Die Compagnie nutzte das Kapital für eine Umstrukturierung: Vom kolonialen Gemischtwarenhandel stieg sie auf das weltweite Pflanzungsgeschäft mit riesigen Monokulturen um und wurde damit im Jahr 1913 zur größten Plantagengesellschaft der Welt mit Besitzungen in Afrika und Lateinamerika.
Kaffeekränzchen und Tennisclub für die Kolonialisten
In der deutschen Südsee residierte nun also ganz offiziell eine deutsche Kolonialverwaltung, die ab 1910 nicht mehr im Kaiser-Wilhelms-Land, sondern auf der Insel Neupommern in der Stadt Rabaul saß, wo das Klima angenehmer war – auch das gesellschaftliche: Es gab Kaffeekränzchen, eine deutsche Schule, in der auch die immer zahlreicheren Mischlingskinder unterrichtetet wurden, Konzerte, einen Tennisclub und weitere Annehmlichkeiten, die allerdings von den Missionaren wortreich gegeißelt wurden.
Insgesamt waren sieben christliche Missionen während der deutschen Kolonialepoche aktiv und darauf bedacht, ihre Claims, genannt Missionsfelder, abzustecken: aus Australien und den USA die Holy Spirit Mission der Society of the Divine Word, die Society of Mary und die Methodisten; aus Deutschland die Katholiken von der Steyler Mission, die evangelische Rheinische Mission aus Wuppertal, die stramm nationale Liebenzeller Mission – und eben die bayrischen Neuendettelsauer.
Gouverneur Hahl, der mit Tolai, einer einheimischen Frau, zusammenlebte und ein Kind hatte, versuchte ein vergleichsweise sanftes Kolonialregime einzuführen: eine „Kolonisierung ohne Dezimierung“ der einheimischen Bevölkerung. „Wenn wir langfristig diese Eingeborenen als zahlungskräftige Konsumenten unserer Güter gewinnen wollen, dann müssen wir ihre Ausbildung fördern und ihre Arbeitskraft maßvoll nutzen. Wir müssen Blutrache und Kannibalismus auslöschen, Krankheiten heilen und ordentliche Schulen einrichten. Erst dann werden alle eine bessere Zukunft erblicken.“
Auf den Plantagen arbeiteten 100 000 Papua
Der Reichstag in Berlin beschloss am 8. März 1913, jede Form von „erzwungener Arbeit“ in den Kolonien zu unterbinden. Bis 1913 hatten – über die Jahre verteilt – insgesamt 100 000 Papua Arbeitsverträge mit Pflanzern im Schutzgebiet abgeschlossen.
Es ging also aufwärts mit der Kolonie: Die Infrastruktur wurde mit öffentlichen Geldern bezahlt, die Pflanzer holten aus ihren Plantagen heraus, was möglich war, die Händler konzentrierten sich aufs Geschäft und die Missionare auf ihre Gebiete und Gebete.
Der Gouverneur betrachtete alles aus der Höhe und die Papua arbeiteten für alle. Rebellionen wie der Aufstand der Baining auf Neupommern gegen die katholische Mission 1904 waren äußerst selten.
Im deutschen Koloniallexikon ist über das Kaiser-Wilhelms-Land zu lesen: Die weiße Bevölkerung beläuft sich 1913 auf 283 Personen, darunter 180 Männer, 103 Frauen, unter denen sich 38 Kinder befinden. Mischlinge wohnen in K.-W.-L. im Ganzen 17. Neben der Neuguinea-Compagnie hat sich eine größere Anzahl kleinere Gesellschaften sowie Einzelfarmer niedergelassen, die in der Hauptsache die Kultur der Kokospalme betreiben. Es handelt sich hierbei um 13 Betriebe.
Nachzutragen wäre, dass das Deutsche Koloniallexikon kriegsbedingt erst 1921 erscheinen konnte. Da gab es schon keine deutschen Kolonien mehr.
Vom Kriegsausbruch erfährt man erst zwei Tage später
Am 5. August 1914 erreichte das Telegramm aus Berlin mit der Nachricht vom Kriegsausbruch die nagelneue Funkstation in Herbertshöhe (heute Bitapaka). Am 6. August wurde für das Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea der Kriegszustand erklärt. In Finschhafen erfuhren sie davon erst am 8. August, als der Regierungsdampfer „Komet“ einlief. Sie hatten keine Ahnung, was in Europa vor sich ging. Ein Brief, eine Zeitung war ungefähr sechs Wochen unterwegs.
Die deutschen Kanonen in Simpsonhafen bei Rabaul und Friedrich-Wilhelms-Hafen (heute Madang) besaßen keine scharfe Munition, denn sie hatten nie etwas anderes als Salutschüsse abgefeuert. Auf Neupommern unterlag eine Truppe von drei deutschen Offizieren und 21 einheimischen Soldaten in einem Scharmützel den australischen Landetruppen.
Im Urwald bei Finschhafen kämpfte ein deutscher Offizier namens Detzner mit heimlicher Unterstützung der Missionare und „seiner“ Papuas einen einsamen Guerillakrieg.
Die australische Besatzung war nicht allzu bedrückend: Alle deutschen Zivilisten, die einen Neutralitätseid ablegten, konnten bleiben. Erst nach den Versailler Verträgen mussten die meisten Deutschen Neuguinea verlassen und verloren ihren Besitz. Viele blieben im holländischen Teil der Südsee und wurden begeisterte Nazis. Auch bei den bayrischen Missionaren, die unter dem Dach der australischen lutherischen Kirche bleiben durften, hing die Hakenkreuzfahne. Ob das auch in Heldsbach so war, weiß ich nicht.
Dieser Text erschien zuerst in der Edition LMd N° 18 “Auf den Ruinen der Imperien. Geschichte und Gegenwart des Kolonialismus“, 2016.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“