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Auftakt zu Neonazi-Prozess in BerlinMutmaßliche Schläger auf der Anklagebank

Nach der Prügelattacke auf SPD-Mitglieder im Dezember in Berlin-Lichterfelde stehen vier Jugendliche aus der ostdeutschen Neonazi-Szene vor Gericht.

Gesinnung „auch mit Gewalt“ zum Ausdruck bringen: Neonazis am 14. Dezember 2024 in Berlin-Friedrichshain Foto: Maurizio Gambarini/imago

Berlin taz | Vor dem Amtsgericht Tiergarten begann am Mittwoch der Prozess gegen vier aus der ostdeutschen Neonazi-Szene stammende Jugendliche. Sie sollen Mitte Dezember vergangenen Jahres an einem Angriff auf SPD-Mitglieder nahe dem S-Bahnhof Lichterfelde Ost im Bezirk Steglitz-Zehlendorf beteiligt gewesen seien. Zugerechnet werden sie der gewaltbereiten Gruppierung „Deutsche Jugend Zuerst“ (DJZ) aus Halle Saale.

Angeklagt sind die Männer im Alter zwischen 17 und 20 Jahren unter anderem wegen schwerer Körperverletzung und tätlichem Angriff gegen Vollstreckungsbeamte. Die „offen zur Schau gestellten rechtsextremen Weltanschauungen“ habe die Tatverdächtigen verbunden, heißt es in Anklage.

Die Angegriffenen – die SPD-Fraktionschefin in der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf, Carolyn Macmillan, und ihr Mann – hatten zuvor Wahlkampf für die So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen im Ortsteil Lichterfelde gemacht. Vor Gericht gaben sie an, die Attacke habe sich ereignet, als der Wahlkampfstand bereits abgebaut und sie gerade in einen Bus einsteigen wollten.

Zunächst seien ihnen ihre roten SPD-Wollmützen vom Kopf gezogen worden, die sie an dem Tag trugen. Dabei sollen die Angreifer sie wiederholt als „Zecken“ beleidigt haben. Ein Zeuge will auch „Heil Hitler“-Rufe gehört haben. Die vier Tatverdächtigen hätten Macmillians Mann geschubst und geschlagen. Als dieser zu Boden ging, sollen sie gemeinsam auf ihn eingetreten haben. Ein Angreifer soll dabei Springerstiefel getragen haben, bei denen die Sohlen durch Nägel verstärkt sind.

Angriff auch auf Polizisten

Carolyn Macmillian kam mit leichten Verletzungen davon. Ihr Mann erlitt Blessuren im Gesicht, Prellungen und Schürfwunden. Auch zwei eingreifende Polizisten seien attackiert und verletzt worden. Einer sei rassistisch beleidigt und mit einer Glasscherbe im Gesicht verletzt worden. Ein weiterer erlitt einen Bruch der Mittelhand. Die Verletzten wurden später in einem Krankenhaus ambulant behandelt.

Die vier Beschuldigten waren an jenem 14. Dezember aus Halle in Sachsen-Anhalt angereist und auf dem Weg zu einer rechtsextremen Demonstration in Friedrichshain und Lichtenberg, die unter dem Slogan „Für Recht und Ordnung: Gegen jeden Linksextremismus“ lief und an dem sich rund 60 überwiegend junge Neonazis beteiligten.

Au­gen­zeu­g:­in­nen berichteten, dass die Männer damals in einer Gruppe von acht bis zwölf Personen unterwegs waren. Nach dem Angriff kamen drei der vier nun vor Gericht stehenden Neonazis in Untersuchungshaft, der 17-Jährige wurde aufgrund seines Alters verschont.

Drei Angeklagte schweigen, einer gibt Reue vor

Zum Prozessauftakt am Mittwoch schwiegen drei der vier mutmaßlichen Angreifer zu den Anklagepunkten. Nur einer von ihnen gab gegenüber dem Gericht an, dass die Vorwürfe „im Wesentlichen“ zuträfen. Sein Ziel sei es gewesen, seine Gesinnung „auch mit Gewalt“ zum Ausdruck zu bringen, lässt er durch seinen Verteidiger wissen. Der 19-Jährige gibt sich geläutert.

In der Untersuchungshaft habe er über sein Verhalten nachgedacht und beschlossen, „politisch andere Wege einzuschlagen“. Insbesondere vom Mittel der Gewalt wolle er „abschwören“. Zwar entschuldigte er sich auch bei dem verletzten Ehemann von Macmillan. Von Reue war bei ihm dennoch wenig zu spüren. Als die Anklage verlesen wird, kann er sich das Grinsen kaum verkneifen.

Ein Urteil könnte bereits Ende Mai gesprochen werden. Drei der Angeklagten gelten strafrechtlich als Heranwachsende. Für sie kommt ein Strafmaß nach Jugendstrafrecht in Betracht, ist aber nicht zwingend vorgeschrieben. Wird Jugendstrafrecht angewendet, fallen die Strafen in der Regel milder aus. Für den 17-jährigen Tatverdächtigen gilt noch das Jugendrecht.

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