piwik no script img

Auftakt des BürgerratsMini-Deutschland diskutiert

Der zweite bundesweite Bürgerrat hat seine Arbeit aufgenommen. Die erste Diskussion war angeregt, bei der Übertragungstechnik haperte es etwas.

Das Moderatoren Team im Studio Foto: Youtube/Mehr Demokratie/screenshot taz

Berlin taz | Drei Moderator*innen stehen auf der Bühne des Übertragungsstudios in der Berliner Alexanderstraße. Sie begrüßen die Teilnehmenden des Bürgerrats, die sich nach und nach per Zoom zuschalten, bis schließlich alle 169 ausgelosten Bürger*innen aus 57 Orten von Nordseeküste bis Alpenrand virtuell anwesend sind.

Ausgelost wurden die Teilnehmer*innen nach Kriterien wie Alter, Herkunft und Bildungsstand, um eine möglichst repräsentative Gruppe zusammenzubringen. Im Studio war an diesem Mittwochabend eine freudige Anspannung zu spüren. In den vergangenen Monaten wurde der Bürgerrat in einem aufwändigen Verfahren von dem Verein Mehr Demokratie und drei Durchführungsinstituten vorbereitet. Claudine Nierth, Vorstandssprecherin von Mehr Demokratie, gratulierte zunächst den ausgelosten Bürger*innen. Es sei ein Sechser im Lotto ausgewählt worden zu sein, doch es bringe auch Verantwortung mit sich.

Schon 2019 hat Mehr Demokratie einen Bürgerrat organisiert – allerdings ohne direkte Anbindung an die Politik. Nun hat der Parlamentarier und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die Schirmherrschaft für den zweiten Bürgerrat übernommen. Er hofft, das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie mit Hilfe von Bürgerräten zurückgewinnen zu können.

Auf das recht unverbindliche Thema „Deutschlands Rolle in der Welt“ haben sich die Fraktionen dann geeinigt. Die vage Themensetzung zeigt, dass dem Instrument noch mit Skepsis begegnet wird. Viele fürchten Bürgerräte als Konkurrenz zur parlamentarischen Demokratie, dabei – so die Organisator*innen – sollen sie die repräsentative Demokratie ergänzen und Politiker*innen eine Richtungsweisung und Rückenwind für schwierige Entscheidungen geben.

Die Teilnehmenden des Bürgerrats sind via Zoom zugeschaltet Foto: Robert Boden/Mehr Demokratie

Moderierter Prozess der Meinungsbildung

Auch die Angst vor direkter Demokratie lässt viele zurückschrecken. Bei den Bürgerräten handelt es sich aber, anders als bei einem Volksentscheid, um einen moderierten Prozess der Meinungsbildung. Das lässt sich auch bei der Einführungsveranstaltung gut beobachten.

Zunächst sprach die Vorsitzende des Bürgerrats, die frühere DDR-Bürgerrechtlerin und Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler. In einer Begrüßungsrede erzählt sie von ihren Erfahrungen in der DDR und den großen Hoffnungen, die sie damit verband, Bundesbürgerin zu werden. Einmal habe ein kleines Mädchen sie gefragt: „Soll ich sagen, was richtig ist, oder was ich denke?“ Es gäbe kein richtig oder falsch, sagte Birthler am Mittwochabend, sondern viele verschiedene Antworten. Und genau da setze der Bürgerrat an – beim Zuhören und Respekt für andere Meinungen.

Nach Birthlers Ansprache, die sie mit einem Gedicht von Bertolt Brecht beendete, waren zehn Minuten vorgesehen, in denen sich die Teilnehmenden in Vierergruppen kennenlernen konnten. Im sogenannten Plenum bekamen die Bürger*innen dann schon an diesem Tag die Gelegenheit, sich zu Wort zu melden und es wurde sofort rege diskutiert: Über Erwartungen, über persönliche Rollenkonflikte und die Frage, wie Deutschland sich in der Welt positionieren soll. Menschen, die sich sonst nie begegnet wären, traten in einen Austausch miteinander. Viele von ihnen haben keine politische Vorerfahrung. In der Diskussion zeigten sie Ernsthaftigkeit und Teilnahmebereitschaft. Die Moderator*innen versuchten dabei, das Gespräch zu leiten, ohne zu sehr eine Richtung vorzugeben.

Konkrete Vorschläge an die Politik

Mit der Übertragungstechnik haperte es an diesem Auftaktabend etwas. „Die reden miteinander, nur wir kriegen gerade nichts mit“, sagt der Moderator im Studio. Nach etwa einer Stunde bricht der Youtube-Livestream für einige Zeit ganz ab. Die Diskussion zwischen den Ausgelosten über Zoom läuft weiter.

Diskutiert wird im Bürgerrat zu den fünf Themenfeldern nachhaltige Entwicklung, Wirtschaft und Handel, Frieden und Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaat und die Europäische Union. Die Teilnehmenden des Bürgerrats wurden den Unterthemen zugelost. In den kommenden zwei Monaten hören sie Vorträge von ausgewählten Expert*innen, diskutieren in wechselnden Kleingruppen und im Plenum. Mitte März wollen sie dann ihre erarbeiteten Vorschläge an die Politik überreichen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Nun also „Bürgerräte“ – Michael Wilk dazu:

    „Sie heißen Schlichtung, Mediation, Runde Tische, Bürgerdialog, Konsensforum, Dialogtag und so fort. Einerlei, welch freundliche Begriffe gewählt werden, das ihnen gemeinsame Merkmal ist, dass BürgerInnen- und Protestbewegungen in Entscheidungsprozesse von umstrittenen Bauvorhaben und politischen Plänen mithineingezogen werden – ohne etwas mitentscheiden zu können.“

    – Michael Wilk, im Vorwort zu: Michael Wilk, Bernd Sahler (Hrsg.): „Strategische Einbindung – Von Mediationen, Schlichtungen, runden Tischen … und wie Protestbewegungen manipuliert werden – Beiträge wider die Beteiligung“, Verlag Edition AV, Februar 2014

  • Schön, dass mein kritischer Kommentar nicht freigegeben wird, obwohl er einen Punkt anspricht, den Christine von Blanckenburg selbst thematisiert hatte, nämlich das Scheitern bei der Repräsentativität. Oder war es eher der Umstand, dass ich fragte, warum eine linke Zeitung die Tatsache, dass viel zu wenig Bürger mit nicht-hohem Bildungsabschluss beteiligt sind, nicht thematisiert?

  • Ich habe nicht gewählt und damit auch nicht den Bürgerrat legitimiert. Was macht diese Veranstaltung demokratisch?

    • @Andi S:

      "Was macht diese Veranstaltung demokratisch?" Lesen Sie Aristoteles (Politica): Bei ihm galt nur das Losverfahren als echt demokratisch. Wahlen waren mit einer Oligarchie assoziiert. Dieser Zusammenhang herrschte bis in die frühe Neuzeit vor. Und dafür gibt es durchaus gute Gründe, die sich auch schon bei Aristoteles finden.

    • @Andi S:

      weil "Ausgelost wurden die Teilnehmer*innen nach Kriterien ".

      Wenn alle Subgruppen vertreten sind, sei das automatisch demokratisch.

      Aber was ist mit kombinierten Merkmalen (alt, weiblich, Abitur)? Zählt das dreifach?

      Und woher kannten die überhaupt die Merkmale Herkunft, Bildungsstand etc?

      Und wie wird sichergestellt, dass jede Meinung berücksichtigt wird? Auch die von den Leisen und Zurückhaltenden?

      Fragen über Fragen. Zum Glück hat es (noch) keine Relevanz.

    • @Andi S:

      Nichts. Im übrigen wurde ja auch der Bürgerrat nicht vom Bundestag eingesetzt. Die Mitglieder wurden ausgelost, angeschrieben, und aus denen, die antworteten, per Quoten versucht, ein Mini-Deutschland zu bilden, d.h. eine Gruppe Menschen, die hinsichtlich Geschlecht, Altersstruktur, Bildung, Migrationshintergrund und Wohnort die Bevölkerung möglichst perfekt abbildet. Je perfekter, desto legitimer, behaupten sie, denn de Bundestag ist ja eimdeutig nicht besonders repräsentativ. Nur blöd, dass sie viel zu wenig Menschen ohne Abi gefunden haben. Der Bürgerrat ist damit leider eine bürgerliche Elitenveranstaltung und hat, zumindest in meinen Augen, damit kaum echte Legitimation.

  • Diese Art der Interaktion ist sicher begrüßenswert, solange die Limitierungen nicht vergessen werden.



    Es ist nicht unwahrscheinlich, dass trotz statistischer Auswahl kein Spiegelbild der Gesellschaft im Bürgerrat abgebildet wird.



    Es ist nicht unwahrscheinlich, dass extreme Positionen durch lautstarke Fürsprecher in kleinen Gruppen überproportional betont werden.



    Es ist sehr wahrscheinlich, dass wenig aktive Teilnehmer ungeachtet ihres Proporz sehr geringen Einfluss ausüben werden.



    Es ist nicht akzeptabel, wenn ein solches Gremium beanspruchen würde, die gewählten Volksvertreter jenseits von unverbindlichen Vorschlägen beeinflussen zu wollen.

    • @alterego:

      Abgesehen von den Inhalten konnte ich den Diskussionen nicht folgen, weil es an der Technik haperte, sprich es fehlte der Ton. Schade für den Auftakt dieser Art von 'Mehr Demokratie' Hoffentlich läuft es bei der nächsten Runde besser.