Aufstand in Syrien: "Verschwörer! Vandalen! Saboteure!"
Staatschef Assad bleibt bei seiner Version einer ausländischen Verschwörung und nannte die Demonstranten Vandalen. Und kündigt mal wieder vage "Reformen" an.
BERLIN taz | Eine Reaktion erfolgte prompt: Kurz nach einer im Fernsehen übertragenen Rede des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gingen in mehreren Städten des Landes Menschen auf die Straße, die die vage gehaltenen Angebote des Staatschefs zurückwiesen. Nachrichtenagenturen zufolge erklärten Vertreter lokaler Koordinationsbüros der Protestbewegung, die "Revolte" müsse weitergehen. In Irbid, einem Vorort von Damaskus, riefen 300 Demonstranten: "Kein Dialog mit Mördern!"
Seit Beginn der Proteste gegen das Regime Mitte März wurden Schätzungen von Menschenrechtsaktivisten zufolge etwa 1.300 Zivilisten und 340 Angehörige der Regimetruppen getötet. 10.000 Menschen wurden festgenommen, außerdem flohen rund 11.000 in das Nachbarland Türkei oder in grenznahe Regionen. Wegen des unnachgiebigen Vorgehens gegen die Opposition gerät Assad auch international immer stärker unter Druck.
Dennoch blieb Assad auch am Montag bei seiner alten Botschaft: Er sprach von einer ausländischen Verschwörung und nannte die Demonstranten Vandalen und Saboteure, die in der Ortschaft Dschisr al-Schugur im Nordwesten des Landes ein "Massaker" verübt hätten. Zugleich erwähnte er in seiner eindreiviertel Stunden langen Rede vor einem handverlesenen Publikum in der Universität von Damaskus auch "schwierige Tage" und "legitime Forderungen der Bürger".
In diesem Zusammenhang kündigte Assad mal wieder Reformen an. Seit er im Jahr 2000 seinen Vater Hafis beerbt hat, hat er derlei schon oft angekündigt, aber seinen Ankündigungen niemals Taten folgen lassen. Im Mittelpunkt stand diesmal der Vorschlag eines "nationalen Dialogs", ohne konkrete Inhalte oder Fristen zu nennen. Er weder aus, wie die Komitees, die nun Vorschläge erarbeiten sollen, zusammengesetzt werden sollen, noch gab er eine Garantie ab, dass diejenigen, die sich an diesen Debatten beteiligen, nicht im Gefängnis verschwinden. Von einem Rückzug der Sicherheitskräfte aus den Zentren des Protests war ebenfalls keine Rede.
Zu den Vorschlägen Assads zählen schärfere Gesetze gegen die Korruption, eine Änderung des Wahl- und Parteiengesetzes sowie der Verfassung. Dabei geht es vor allem um Artikel 8, in dem die Führungsrolle der seit 1963 herrschenden Baath-Partei festgeschrieben ist. In der jetzigen Fassung führt die Partei den Staat und die Gesellschaft; künftig soll es "Führung im Staat und in der Gesellschaft" lauten. Dies berichtet die Los Angeles Times unter Berufung auf einen Parteifunktionär, der namentlich nicht genannt werden sollte. Der hochrangige Funktionär fügte hinzu, dass die Partei auch künftig eine "Priorität im Staat als Ergebnis der Tradition" einnehmen werde. Eine alte Forderung der syrischen Opposition ist die Streichung von Artikel 8.
Die Rede Assads vom Montag war die dritte seit dem Beginn der Proteste. Am Vortag hatte der Sprecher einer Oppositionsgruppe, Dschamal Saib, die Gründung eines "Nationalrats angekündigt, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete. Der Rat, der "alle Gemeinden und Vertreter nationaler politischer Käfte innerhalb und außerhalb Syriens" umfasse, solle die "Syrische Revolution" führen. Die Pressekonferenz fand in Charbet al-Dschos in Nordsyrien statt.
Seit drei Monaten demonstrieren hunderttausende Syrer trotz brutaler Unterdrückung für politische Reformen und den Rücktritt Assads. Nahe der türkischen Grenze hat die Armee am Wochenende ihren Einsatz ausgeweitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“