Aufstand in Ägypten: "Das Leben ist unmöglich geworden"
Trotz der Verhaftungen, trotz der Brutalität der Polizei, trotz der Beschwichtigungsversuche: Die Demonstrationen in Ägypten gehen weiter. Vor allem in Kairo.
KAIRO taz | Irgendwie ist er symptomatisch für die ganze Misere des Landes, der junge Jurist im Hof der Anwaltskammer. Dort wo es etwas ruhiger ist und die Rufe der Demonstranten vor dem Tor – "Nieder mit dem Regime" und "Stürzt Mubarak" – nur noch leise durch die Mauern dringen. Hier macht die Revolte eine kurze Pause.
Mohammed Kamal sitzt zusammengesunken auf einem Schemel. Er ist sichtlich schockiert, wischt sich mit einem Taschentuch das Blut aus dem Gesicht. Die lila-rote Schwellung an seinem Auge aber bleibt. "Ich habe versucht, auf einer Demonstration eine Frau zu schützen, auf die die Polzisten eingeprügelt haben, als sie am Boden lag", erzählt der Anwalt. "Ich wollte sie da rausholen und dann haben sie auf mich zu siebt eingeprügelt und haben gerufen 'Du Hundesohn'." Kamal macht eine Pause und schüttelt wiederholt den Kopf. "Das Leben hier ist unmöglich geworden. Jeden Tag trampeln sie auf der Würde der Menschen herum", bricht es aus ihm heraus.
"Schau mich an, wie sie mich zugerichtet haben. Ich bin Anwalt, aber ich muss dir sagen, in diesem Land gibt es keine Gerechtigkeit." Er blickt still zum Boden, bevor er fortfährt. "Solange es keine Gerechtigkeit gibt, geht es abwärts mit diesem Land - und am Ende auch mit Husni Mubarak und mit all denen, die hinter ihm stehen. Es wird ihnen genauso gehen wie Ben Ali in Tunesien", sagt er mit zunehmendem Ärger in der Stimme.
Und dann ist er kaum mehr zu bremsen. Er arbeite jeden Tag am Gericht. Er habe genug von dieser Bestechung. Jeden Tag lungere er mit anderen Anwälten vor den Türen der Richter herum. "Ich möchte das nicht mehr machen." Aber er sei dazu gezwungen, um seine Fälle erfolgreich abzuschließen. "Wir alle haben unsere Würde abgelegt", klagt er.
Mit den Demonstrationen wolle er auf jeden Fall weitermachen, kündigt er an. Was ihm heute wiederfahren sei, habe ihn nur bestärkt. "Ich bin 25 Jahre alt. Ich bin unter Mubarak geboren. Und ich werde mit Mubarak oder seinem Sohn ins Grab gehen", meint er bitter "Mubarak ist ein Greis, warum regiert er immer noch?", fragt er und endet wie folgt: "Entweder nimmt Gott ihn oder uns zu sich. Wir können einfach nicht mehr".
Die Demonstrationen in Kairo gingen trotz der zahlreichen Verhaftungen und der wachsenden Brutalität des Polizeiapparates weiter. In der Stadt Suez haben sie ein Gebäude der Regierungspartei angezündet. Auch in der Innenstadt in Kairo sind sie zu dieser Stunde am Demonstrieren. Das Regime Mubarak wird weiter angezählt.
Derweil wird allerorten diskutiert, wie es weitergehen soll. Vielleicht solle man einen Tag lang ein wenig aussetzen und dann sich voll auf die Freitagsgebete konzentrieren, heißt in den Blogs und auf Facebook, jenen Instrumenten, mit denen sich die Jugendlichen austauschen und ihre nächsten Aktionen planen. Via Internet werden Listen verteilt, wo nach dem Freitagsgebet demonstriert werden sollte.
Und damit nur kein falscher Eindruck entsteht, es finden sich dort sowohl bekannte Moscheen als auch Kirchen. Zumindest die jugendliche Facebook-Generation zeigt sich als Muslime und Kopten vereint gegen das verhasste Regime, das sich jahrelang immer als kleineres Übel zu den Islamisten, nicht nur in der Welt, sondern auch zu Hause und vor den heimischen Christen darzustellen wusste.
Diskutiert wird auch die Rückkehr des ehemaligen Chefs der Atomenergiebehörde und Friedensnobelpreisträgers Mohammed al-Baradei. Kann er eine führende Rolle in der Revolte einnehmen? Viele Jugendliche haben auf den Demonstrationen immer wieder abgewunken. "Das ist nur ein Facebook- und Twitter-Oppositionsführer", lautet die gängige Antwort auf die Frage, was sie von ihm halten. Immer wenn es darauf ankomme, sei er nicht da, sagen sie. Aber es ist unklar, ob er mit seiner Rückkehr das Ruder doch noch einmal herumreißen kann.
Mubarak schickt seine rechte Hand, den Sprecher des Schura-Rats, Safwat Scharif, an die Front. Der formt dann Sätze wie: "Die Forderungen der Menschen stehen natürlich auf der Prioritätenliste der Regierungspartei ganz oben." Oder dass alle, die mit ihren eigenen Hintergedanken die Jugend aufwiegeln, nur irgendwelchen Befehlen aus dem Ausland folgten. Richtig ernst nimmt das niemand mehr.
Die Regierungsmedien arbeiten hart daran, die Demonstranten zu diskreditieren. Mal sind sie von den Islamisten gesteuert, mal sind sie nur auf das Stiften von Chaos aus. Wie es die Regierungszeitung Al-Gumhouriya in einem denkwürdigen Satz fasst: "Demokratie bedeutet nicht, den Verkehr zu blockieren."
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