piwik no script img

Aufsicht über AntibiotikaresistenzenErst Lobbyistin, dann Kontrolleurin

Eine Wissenschaftlerin des Geflügelhalterverbands ist zum Bundesamt für Verbraucherschutz gewechselt. Umweltverbände sind empört.

Foto: plainpicture

Berlin taz | Eine für Antibiotikaresistenzen zuständige Referatsleiterin des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat unmittelbar zuvor als Lobbyistin für die Agrarindustrie gearbeitet. Die Veterinärmedizinerin hatte nach Angaben in Karrierenetzwerken vor ihrem Wechsel im Mai 2021 viereinhalb Jahre das Referat Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit im Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft geleitet. Diese Organisation vertritt auch Geflügelkonzerne wie Wiesenhof.

Der Verband hat mehrfach strengere Regeln gegen den routinemäßigen Einsatz von für die Humanmedizin besonders wichtigen Reserveantibiotika in der Tierhaltung abgelehnt, obwohl diese Praxis zu Resistenzen von Krankheitserregern gegen diese Medikamente beiträgt.

In Deutschland sterben laut einer von der EU finanzierten Studie jährlich etwa 2.400 Personen, weil sie sich mit einem resistenten Keim infiziert haben. Dennoch werden die Präparate immer wieder zum Beispiel 40.000 Hühnern ins Wasser gemischt, obwohl nur einzelne Tiere erkrankt sind – weil es zu aufwändig wäre, die kranken Tiere vom Rest der Herde zu trennen und zu behandeln.

Im September 2020 war die damalige Mitarbeiterin der Geflügelhalterorganisation als Rednerin zum Thema „Tierwohl, Tiergesundheit, Branchenkommunikation – aktuelle Themen aus Sicht des Zentralverbandes“ bei einer Fachtagung in Sachsen angekündigt. Beim BVL ist sie nun der Behörde zufolge als Chefin des Referats Arzneimittelresistenzen „für alle Aufgaben“ in diesem Bereich zuständig.

„Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Antibiotikaresistenzen. […] Jährlich wertet das Referat die Antibiotikamengen aus, die von der pharmazeutischen Industrie an tierärztliche Hausapotheken in Deutschland abgegeben werden“, schreibt die Behörde auf ihrer Internetseite. Das Referat schreibe auch an den Germap-Berichten der Regierung über Resistenzen gegen Antibiotika und den Verbrauch solcher Medikamente in der Tier- und Humanmedizin mit.

Das BVL lässt Medikamente für Tiere zu und überwacht Resistenzen in der Viehhaltung. Es ist dem Bundesagrarministerium unterstellt, das bis Ende 2021 von Julia Klöckner (CDU) geleitet wurde und jetzt von Cem Özdemir (Grüne) geführt wird.

Kritik von Umweltverbänden

„Es ist nicht gut für die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt, wenn im Amtsbereich von Cem Özdemir ausgerechnet solche Personen an zentralen Stellen mit der Antibiotikareduktion betraut sind, die kurz vorher noch Sprachrohr der Fleischwirtschaft waren“, sagte Reinhild Benning, Antibiotika-Expertin der Deutschen Umwelthilfe (DUH), der taz. „Wenn Frau Klöckner den Bock zum Gärtner gemacht hat, dann ist es jetzt allerhöchste Zeit, aufzuräumen und statt Wirtschaftsinteressen wieder Wissenschaft zur wesentlichen Basis von Politikentscheidungen zu machen.“

Bevor das Agrarministerium sein im Januar veröffentlichtes Eckpunktepapier für ein Konzept zur Senkung des Antibiotikaverbrauchs in der Tierhaltung erarbeitet hat, diskutierte es darüber nach eigenen Angaben auch mit dem BVL-Referat der ehemaligen Geflügelindustrie­lobbyistin. DUH sowie Germanwatch und Ärzte gegen Massentierhaltung kritisieren das Ergebnis scharf.

Es setze den „gescheiterten Kurs“ der alten Bundesregierung fort, weil es weder konkrete Reduktionsziele noch ein Verbot von Reserveantibiotika für Massenbehandlungen von Tieren vorsehe. „Alle Antibiotikaeinsätze müssen in Dosis erfasst und ein zu hoher Einsatz geahndet werden. Wer mehr als 50 Milligramm Antibiotika je Kilogramm Tiergewicht verbraucht, sollte seine Tiere gesünder halten oder seine Tierzahl erheblich reduzieren müssen“, forderte Benning.

Özdemirs Ministerium antwortete auf die Kritik, das Papier enthalte bereits neue Vorschläge. Die Behörde werde aber Anregungen zu Verbesserungen aufgreifen. Das BVL erklärte zur der Frage, ob die Referatsleiterin einen Interessenkonflikt habe, das Amt lege großen Wert „auf die Erfüllung seiner strengen Compliance-Richtlinien, um potenzielle Interessenkonflikte im Vorfeld zu identifizieren und auszuschließen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ich verstehe nicht, egal woher neue Personen in das Amt wechseln ( NGO oder Wirtschaftsverband), warum man da unterstellt, dass diese Menschen angeblich im Sinne der alten Arbeitgeber handeln würden. Ein Minsiterium ist doch so organisiert, dass die Hausleitung den Kurs vorgibt. Warum sollte man da nicht Leuet haben, die sich im Detail sehr gut auskennen. Vielmehr klingt das nach verwzeifelten Versuch des DUH eine eigene Rolle zu finden, seitdem Grüne in der Verantworungs sind, kann man weniger gegen die Regierung argumentieren.

  • Heuchlerisch diese Aufregung. Solange Personen aus NGOs in Regierungsämter wechseln ( Flasbarth vom NABU / Staatssekretär BMU ) und dort entscheidend die Zwecke ihrer früheren Arbeitgeber weiterverfolgen sind das kleine Fische.