Aufruhr in Gera: Gegeneinander gegen Rassismus
Nach Diskriminierungsvorwürfen ziehen sich Teile der Geraer Verwaltung von Aktionen gegen Rassismus zurück. Die Anschuldigungen seien „unhaltbar“.
Ursprünglich sollten unter anderem das Arbeitsförder- und Berufsbildungszentrum Otegau, die Agentur für Arbeit, das Jobcenter sowie die Stadt- und Regionalbibliothek und der Service Generationen als Ausstellungsorte für Plakate zur Verfügung stehen, auf denen Betroffene von ihren Diskriminierungserfahrungen in Gera berichten. Kurz vor der Veranstaltung haben jedoch alle der aufgezählten Institutionen ihre Bereitschaft zurückgezogen.
Das geht unter anderem aus einem Brief der Bundestagsabgeordneten Elisabeth Kaiser an Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb hervor, der der taz vorliegt. Darin bittet Kaiser, die Kreisvorsitzende der SPD in Gera ist, Vonarb darum, „mit Nachdruck für einen Dialog zwischen allen beteiligten Akteuren“ zu werben und sich dafür einzusetzen, dass „sich die städtischen Einrichtungen in diesem Jahr wieder an der Ausstellung zu den Wochen gegen Rassismus beteiligen“.
Die Aktionswochen wurden vom Bündnis Antira Gera organisiert, die einzelne Veranstaltungen in Arbeitskreise ausgelagert hat. Die antirassistische Demonstration am Dienstag plante eine Gruppe von Privatpersonen. In ihrem Aufruf beschuldigten sie Mitarbeitende des Sozialamtes der Stadt, Leistungen an Sinti und Roma widerrechtlich eingeschränkt zu haben, zudem soll die Ausländerbehörde angeblich regelmäßig Reisepässe und Anträge verschwinden lassen und Menschen absichtlich falsch beraten. Montagsdemos gegen Pandemiemaßnahmen und Ansammlungen von „Putinfans und Verschwörungserzähler*innen“ in Gera bezeichneten sie als „Kartoffel-Aufläufe“, die von „Nazis organisiert und begleitet“ würden.
„Unhaltbar und diffamierend“
Mitglieder*innen des Bündnisses sagten der taz, die genannten Institutionen forderten nach der Veröffentlichung des Demoaufrufs, die Antira Gera solle sich von dem Schreiben distanzieren. Dort wurde dies nicht eingesehen: Auch wenn der Text nur von einigen der Mitglieder*innen verfasst wurde, stehe man hinter der Sache, heißt es. Daraufhin zogen Agentur für Arbeit, Jobcenter & Co. ihre Bereitschaft zur Ausstellung der Plakate zurück.
Auf taz-Anfrage ließ die Pressestelle der Stadtverwaltung ausrichten, die Stadt habe sich von der Plakataktion distanziert, „da der Demo-Aufruf allen Mitarbeitern der Verwaltung eine rassistische Arbeitsweise unterstellt“. Auch die expliziten Vorwürfe gegen das Sozialamt und die Ausländerbehörde weise man „als unhaltbar und diffamierend zurück“. In der Antwort heißt es, Anträge würden unter gesetzlichen Vorgaben bearbeitet, ergänzt wird dies jedoch vielsagend mit: „Ermessensspielräume werden genutzt.“ Der Demoaufruf fördere „in keinem Maße Toleranz und ein offenes Miteinander“, ein geschlossenes Auftreten gegen Rassismus rücke in den Hintergrund.
Die Mitglieder*innen von Antira Gera vermuteten gegenüber der taz, Stadt- und Behördenmitarbeiter*innen hätten sich unter anderem an der Bezeichnung „Kartoffel-Aufläufe“ gestört und sie als eine Art „Rassismus gegen Weiße“ empfunden. Auch wenn das Bündnis den Unmut über die Eindeutigkeit der Vorwürfe im Aufruf verstehen würden, halten sie die Absage, an der Ausstellung mitzuwirken, für nicht gerechtfertigt. Ein Demoaufruf solle Menschen auf die Straße bringen und benennen, was falsch läuft. Zudem wären etwa auch keine öffentlichen Gelder, die dem Bündnis zukommen, an den Arbeitskreis und somit in die Planung der Demonstration gegangen.
Auch Elisabeth Kaiser zeigt Verständnis für den Ärger über die Anschuldigungen, sieht im Rückzug der Institutionen von der Ausstellung jedoch ein falsches Signal. Im Brief an Oberbürgermeister Vonarb sagt sie: „Kritik und kontroverse Positionen sollten und können wir als Demokratinnen und Demokraten wechselseitig annehmen und aushalten, im gemeinsamen Verständnis, lokal und im Alltag Diskriminierung abzubauen.“ Hinzu komme, dass der Aufruf nach ihrem Verständnis „nicht die erwähnte Ausstellung oder gar die gesamten ‚Wochen gegen Rassismus‘ in Gera im Allgemeinen repräsentiert“.
Oberbürgermeister schweigt
Und der Oberbürgermeister selbst? Der möchte sich zur Sache nicht äußern, ließ aber ausrichten, dass er Kaiser noch eine Antwort schicken werde. Die Pressestelle der Stadt teilte derweil mit, der Service Generationen und die Bibliothek positionierten sich immerhin durch den Aushang des offiziellen Plakates zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus.
Die Ausstellung konnte am Samstag, dem 18. März, auch ohne die verlorene Unterstützung eröffnen. Die Demo ist laut Antira Gera am Dienstagabend mit etwa 120 Teilnehmer*innen friedlich verlaufen. Auch viele Migrant*innen seien anwesend gewesen, die teilweise von ihren Rassismuserfahrungen berichteten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis