Aufregung um Habeck-Vorschlag: Pause für Lieferkettengesetz?
Wirtschaftsminister Robert Habeck will das deutsche Lieferkettengesetz aussetzen. Unternehmensverbände und FDP freuen sich, SPD und Grüne nicht.
Das deutsche Lieferkettengesetz ist vollständig in Kraft und gilt für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigte. Diese sind mitverantwortlich für die Einhaltung der Menschenrechte der Beschäftigten ihrer weltweiten Zulieferfirmen. Kürzlich hat die Europäische Union außerdem ihre Lieferkettenrichtlinie beschlossen, die teilweise über das deutsche Gesetz hinausgeht. Die Mitgliedsländer müssen sie innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht übertragen, wobei zunächst nur große Unternehmen ab 5.000 Beschäftigte daran gebunden sind. In den folgenden Jahren soll die Schwelle auf 1.000 Arbeitnehmer:innen sinken.
Am Freitag sagte Habeck, „eine Pause an der Stelle“ sei möglich. „Ich habe vorgeschlagen, das deutsche Lieferkettengesetz, solange bis das EU-Recht umgesetzt ist, zu pausieren beziehungsweise deutlich zu reduzieren“, erläuterte er später. Der Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards werde nur dann erfolgreich sein, wenn er bei den Unternehmen Akzeptanz fände.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich lehnte die Idee ab. Habeck erweise den „langjährigen Bemühungen um eine an Menschenrechten und fairen Löhnen orientierte und gegen Ausbeutung gerichtete Wirtschaftspolitik einen Bärendienst“. Es sei eine „gewohnte Praxis, nationale Regelungen an EU-Recht anzupassen“, so Mützenich. „Bis dahin bleibt es aber beim gültigen Gesetz.“ In der Regierung zuständig ist SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil, der sich bisher nicht konkret äußerte.
Einfacherer Übergang zu EU-Regeln
Bei den Grünen herrscht Irritation. „Eine Pausierung oder Aussetzung des Gesetzes lehne ich als federführender Abgeordneter für das Thema in der grünen Fraktion ab“, erklärte Wolfgang Strengmann-Kuhn. Andere zuständige Abgeordnete sähen das ähnlich. „Ich kann mir schwer vorstellen, dass es eine Mehrheit in der Fraktion für die Pausierung gibt“, so Strengmann-Kuhn.
Die grüne EU-Abgeordnete Anna Cavazzini deutete den Vorschlag dahingehend, dass Habeck nicht die „Kernpflichten“ aussetzen wolle, die das Gesetz den Unternehmen auferlege. Es gehe ihm darum, den „Übergang“ von der deutschen zur europäischen Regelung „so einfach wie möglich zu machen“. Tatsächlich hatte Habeck schon vor geraumer Zeit angeregt, die Berichtspflicht der Firmen laut deutschem Gesetz vorübergehend aufzuheben, um ihnen Arbeit zu ersparen.
Die FDP begrüßte die Initiative. Ein Stopp des deutschen Lieferkettengesetzes wäre „ein wichtiger Beitrag für die Wirtschaftswende“, erklärte Fraktionschef Christian Dürr. Die Liberalen fordern, das Gesetz bis zum Inkrafttreten der EU-Regelung „vollständig auszusetzen“. „Habecks Vorstoß nährt nun eine neue Hoffnung, dass die Aussetzung in der Regierung mehrheitsfähig werden kann“, sagte FDP-Justizminister Marco Buschmann. Einige Wirtschaftsverbände äußerten sich ebenfalls zustimmend, etwa der Verband der Chemischen Industrie und Gesamtverband der Textil- und Modeindustrie. Vertreter:innen von Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation wie das katholische Hilfswerk Misereor und die Initiative Lieferkettengesetz kritisierten den Vorstoß des Wirtschaftsministers dagegen scharf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind