Aufnahmeprogramm Afghanistan: Regierung lässt einige festsitzende Afghanen einreisen
Erst nach Gerichtsurteilen zugunsten von Afghanen lenkt die Bundesregierung ein. Ein Teil der in Pakistan gestrandeten Menschen soll einreisen dürfen.

Aus dem Bundesinnenministerium hieß es ergänzend: „Afghanen, bei denen die Bundesrepublik Deutschland durch rechtskräftige Gerichtsbeschlüsse zur Visaerteilung und Gestattung der Einreise verpflichtet wurde, werden sukzessive nach Deutschland einreisen.“
Zuerst hatten ARD und Welt darüber am Dienstag berichtet. Betroffene Familien seien bereits über die Wiederaufnahme des Programms informiert worden, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Regierungskreise. Die ersten Familien würden in den kommenden Tagen erwartet. Die Einreise solle mit kommerziellen Linienflügen über Dubai oder Istanbul erfolgen. Hintergrund sind der wachsende juristische Druck in Deutschland und eine von den pakistanischen Behörden vorangetriebene Abschiebekampagne.
Im Bundesinnenministerium wurde betont, alle betroffenen Personen müssten das Aufnahmeverfahren und die Sicherheitsprüfung vollständig durchlaufen. Voraussetzung sei zudem, dass die pakistanischen Behörden die Ausreisegenehmigung erteilten. Über die Zahl könnten noch keine Aussagen gemacht werden.
Pakistan will anerkannte afghanische Flüchtlinge bis zum 1. September des Landes verweisen, darunter auch Personen, die für das deutsche Aufnahmeprogramm vorgesehen sind und die in Afghanistan von Verfolgung bedroht sind. Dabei drohen ihnen unter der Regierung der Taliban Folter und Hinrichtung. Bei den Mädchen und Frauen auch Vergewaltigung und Zwangsehe.
Mehr als 200 Afghaninnen und Afghanen mit Zusagen aus Deutschland sind in der vergangenen Woche bereits in ihr Herkunftsland abgeschoben worden. Menschenrechtsgruppen und Dutzende Betroffene hatten erfolgreich gegen den von der Bundesregierung verhängten Stopp geklagt.
Verwaltungsgerichte geben Geflüchteten recht
Rund 2.000 Afghanen, die unter der Taliban-Herrschaft als gefährdet gelten, sitzen trotz Aufnahme-Zusage aus Deutschland seit Monaten in Pakistan fest. Bis Ende vergangener Woche hatte das Berliner Verwaltungsgericht nach eigenen Angaben in mehr als 20 Fällen entschieden, dass den Betroffenen die Einreise ermöglicht werden muss, weil sie entsprechende verbindliche Zusagen aus Deutschland haben.
Die Koalition aus Union und SPD hatte indes vereinbart, freiwillige Aufnahmeprogramme „soweit wie möglich“ zu beenden und meinte damit auch die von der Vorgängerregierung versprochenen Aufnahmen aus Afghanistan. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will jeden Einzelfall prüfen lassen und nur diejenigen aufnehmen, die rechtsverbindliche Zusagen haben und die Sicherheitsüberprüfungen ohne Beanstandungen absolvieren.
Bundesaußenminister Johann Wadephul hatte am Sonntag darauf hingewiesen, dass die Menschen mit zugesagter Aufnahme ein Recht darauf hätten, nach Deutschland zu kommen. „Die Betroffenen brauchen nicht zu klagen“, sagte der CDU-Politiker beim Tag der Offenen Tür der Bundesregierung im Auswärtigen Amt. „Wir sind an Recht und Gesetz gebunden, und das heißt nach meiner Auffassung haben wir das zu erfüllen. Das muss schnell geschehen.“ Allerding verwies auch er auf die Sicherheitsüberprüfung.
„Das absolute Minimum“
Die Kritik am Vorgehen der Bundesregierung riss indes nicht ab. Anwalt Matthias Lehnert, der mehrere betroffene Afghanen vertritt, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Regierung mache nur „das absolute Minimum, nur das, wozu sie rechtlich verpflichtet und gezwungen ist“. Erforderlich sei aber, dass allen betroffenen Afghanen ein Visum ausgestellt werde.
Gerichte hätten grundsätzlich und nicht nur im Einzelfall entschieden, „dass sich die Menschen auf diese Aufnahmezusagen verlassen können und ihnen zudem ernsthaft die Abschiebung droht“, sagte Lehnert. „Deshalb ist es wirklich skandalös, dass die Regierung in all den anderen Fällen nicht handelt und die Sache weiter hinauszögert.“
Wie es mit den anderen Wartenden in Pakistan weitergeht, bleibt indes weiter offen. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es dazu, die Personen befänden sich „in unterschiedlichen Schritten des Ausreiseverfahrens“. Das Bundesinnenministerium hatte am Montag erklärt, dass inzwischen wieder Personal vor Ort ist, um Aufnahmeverfahren und Sicherheitsüberprüfungen fortzuführen.
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