Aufnahme von Flüchtlingen in Kommunen: Noch mauert der Bund
Viele Kommunen wollen aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufnehmen. Doch eine Entscheidung des Innenministeriums steht noch aus.
Sie alle gehören zu den rund 30 Städten in Nordrhein-Westfalen, die sich schon in der Vergangenheit im Rahmen der Aktion „Seebrücke“ zu „sicheren Häfen“ erklärt haben – zu Städten also, die bereit sind, aus Seenot gerettete Flüchtlinge zusätzlich zum in Deutschland geltenden Verteilungsschlüssel aufzunehmen. Nun wollen sie die Hilfe ausweiten: auf Menschen in den Flüchtlingslagern der Mittelmeer-Anrainerstaaten. Also etwa die Menschen, die derzeit unter katastrophalen Bedingungen in Lagern auf den griechischen Inseln hausen.
„Die Situation auf dem Mittelmeer hat sich verändert“, sagt Clausen der taz. Matteo Salvini sei nicht mehr italienischer Innenminister und private Seenotrettungsschiffe könnten wieder Häfen anlaufen. Das Problem sei zwar noch nicht gelöst – aber entschärft.
„Deswegen wollten wir gucken, wo wir das Engagement, das wir jetzt ja aktiviert haben, am besten einbringen können“, sagt Clausen. Und da sei man auf die völlig überfüllten und schlecht versorgten Lager auf den griechischen Inseln gekommen. Besonderen Fokus wollen die Kommunen dabei auf unbegleitete Minderjährige legen. „An solchen humanitären Notlagen mitten in Europa kann doch keiner einfach vorbeigehen“, sagt Clausen.
Keine Antwort von Seehofer
Viele Kommunen haben im letzten Jahr gefordert, bei der Entscheidung über die Aufnahme von Geflüchteten aus Seenot beteiligt zu werden. Mehr als 130 haben sich inzwischen zu „sicheren Häfen“ erklärt, viele Bürgermeister*innen haben an Bundesinnenminister Horst Seehofer geschrieben – ohne je eine Antwort zu bekommen, wie Anfang des Jahres Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) im Haus der Bundespressekonferenz beklagte.
Denn die Kommunen können viel fordern – sie brauchen die Zustimmung von und Zusammenarbeit mit Landesregierung und Bundesinnenministerium (BMI). Rund 40 dieser 130 Städte haben sich zum Bündnis „Städte sicherer Häfen“ zusammengeschlossen. Man werde sich am 28. Januar endlich mit dem Bundesinnenministerium treffen, um über mehr Mitbestimmung für die Kommunen zu diskutieren, hatte Potsdams Oberbürgermeister Schubert verkündet. Nun wurde das Treffen offenbar verschoben – ein neuer Termin steht noch aus.
Das BMI hatte sich lange bedeckt gehalten. Ein Sprecher hatte Mitte Januar erklärt, Minister Horst Seehofer (CSU) begrüße die Aufnahmebereitschaft der Kommunen. Um deren Wunsch zu entsprechen, sei das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) seit Jahresbeginn angewiesen worden, den Bundesländern aufnahmebereite Kommunen zu benennen, damit diese Schutzsuchende dorthin verteilen könnten.
In Bielefeld ist Pit Clausen zuversichtlich. Obwohl Nordrhein-Westfalens Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, Joachim Stamp (FDP), diese Woche erklärt hatte, wer Bootsflüchtlinge bevorzugt aufnehme, der „provoziert, dass sich noch mehr Menschen in Hoffnung auf ein besseres Leben auf die Lotterie um Leben und Tod im Mittelmeer einlassen“. Das habe ihn überrascht, sagt Clausen. In anderen Interviews hätte er den Minister gesprächsbereit erlebt, und das sei auch weiterhin seine Auffassung.
Bei ihrem Treffen am Dienstag sei Stamps Staatssekretär Andreas Bothe anwesend gewesen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir das Erforderliche – die Zustimmung der Landesregierung nämlich – erreichen können. Wir machen da etwas, von dem wir glauben: Das geht wirklich“, sagt Clausen. „Auch auf Bundesebene nehme ich wahr, dass von allen Seiten mit einer gewissen Bestürzung wahrgenommen wird, unter welchen Bedingungen Menschen in einem EU-Land untergebracht werden.“
Im Brandenburger Landtag forderten am Dienstag die drei Koalitionsfraktionen von SPD, CDU und Grünen in einem Antrag ebenfalls die Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen von den griechischen Inseln. Die Landesregierung solle gemeinsam mit dem Bund die Voraussetzungen für eine Aufnahme in Kreisen und kreisfreien Städten klären.
„Uns geht es von Beginn an darum, das Leid an den EU-Außengrenzen zu beenden“, sagt Liza Pflaum von der Aktion „Seebrücke“, hinter der sich die „sicheren Häfen“ versammeln. „Es ist deswegen genau die richtige Richtung, wenn die Gemeinden ihren Fokus erweitern und neben der Seenotrettung auch alle anderen Menschen in den Blick nehmen, die an den EU-Außengrenzen in Not sind.“
Auch CDU-Bürgermeister dafür
Die Hilfsbereitschaft der Kommunen ist dabei unabhängig von Parteibüchern; unter den „sicheren Häfen“ sind auch Städte mit CDU-Bürgermeistern. Bonn etwa. „Für mich gilt nach wie vor, was Bonn gemeinsam mit Köln und Düsseldorf schon im Sommer 2018 in einem Brief an die Kanzlerin deutlich gemacht hat: Bei der Seenotrettung geht es um einen Akt der Humanität“, sagt Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan der taz. „Wir können Menschen nicht sehenden Auges ertrinken lassen.“ In den Kommunen sei man „nicht so parteitaktisch unterwegs“, sagt der Bielefelder Clausen. „In humanitären Notlagen sind wir alle gefragt. Da geht es nicht um eine politische Richtung, sondern um Haltung.“
Diese Haltung nehmen auch viele Städte und Landkreise in Niedersachsen an. Mehr, als die Bereitschaft zu bekunden, können die einzelnen Kommunen aktuell jedoch nicht tun, berichtet Sven Jürgensen. Der Pressesprecher der Stadt Osnabrück zur taz: „Wir haben uns dazu bereit erklärt, mehr Flüchtlinge aus der Seenotrettung aufnehmen zu wollen.
Die Bereitschaft unsererseits ist da, alles andere liegt jedoch nicht mehr in unserer Hand. Wir können nicht selbst dort hinfahren und entscheiden, wer bei uns unterkommt.“ Er fordert die Bundesregierung auf, eine Entscheidung zu treffen und mit den anderen Staaten der Europäischen Union eine flächendeckende Lösung zu finden.
Bislang seien 67 aus Seenot gerettete Personen im von der SPD und CDU geführten Bundesland aufgenommen worden, heißt es aus dem Innenministerium. 502 seien es bundesweit. 21 Gemeinden und vier Landkreise aus Niedersachsen wollen oder sind dem Städtebündnis „Sichere Häfen“ beigetreten.
In einer Stellungnahme erklärt das Innenministerium, die Landesregierung sei sich der Verantwortung bewusst und bereit, in Seenot geratenen Geflüchteten zu helfen. Das Ministerium verweist auf die Europäische Union und auf den Bund, die Umsetzung voranzutreiben. Es bleibe die Verpflichtung der EU, eine gemeinsam getragene Lösung zu finden. Ob und unter welchen Bedingungen Menschen in Not in der Bundesrepublik Aufnahme finden und auf die Bundesländer verteilt werden, liege wiederum in der Zuständigkeit des Bundes.
Pro Asyl, die Landesflüchtlingsräte und der Bundesfachverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge betonen, wie hoch die Aufnahmebereitschaft in den Kommunen sei – und kritisieren die „Blockadehaltung“ des Bundesinnenministeriums: „Wer jetzt die Aufnahme verweigert, trägt dazu bei, dass die Kinder- und Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen immer weiter andauern.
Kindeswohl und Kindesschutz enden aber nicht an der Landesgrenze. Es ist unsere humanitäre Pflicht, jetzt zu handeln.“ Sie fordern außerdem ein Ende der Hotspots an den Außengrenzen der EU und stattdessen den Zugang zu Asylverfahren innerhalb der Europäischen Union.
Antrag der Linken abgelehnt
Pro Asyl berichtet, Länder und Kommunen seien bereit, unbegleitete Kinder und Jugendliche aus Griechenland aufnehmen zu wollen. Das teilten Berlin, Niedersachsen und Thüringen in einem Schreiben an Bundesinnenminister Seehofer Anfang Dezember mit. Weitere Bundesländer, darunter Brandenburg und Rheinland-Pfalz, sowie mindestens 15 Kommunen, darunter die Städte Frankfurt (Oder), München und Freiburg, schlossen sich der Aufnahmeabsicht an.
Ein im Bundestag eingebrachter Antrag der Linken-Fraktion zur schnellen Aufnahme unbegleiteter Flüchtlingskinder aus den EU-Hotspots in Griechenland wurde indes mit den Stimmen der Regierungsparteien sowie der AfD und FDP abgelehnt. Linke und grüne Abgeordnete stimmten für das Vorhaben, das außerdem eine Abschaffung des Hotspot-Konzepts sowie der Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei vorsah. In der Begründung der CDU/CSU-Fraktion heißt es, man wolle das EU-Türkei-Abkommen nicht kündigen. Man wolle höhere Zuzüge von Flüchtlingen verhindern, außerdem sei die Situation auf den Inseln heute besser als noch 2015.
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