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Aufklärung in PortugalDie erste Schule für Feminismus

Über Frauenrechte. Ungleichheit und Machtmissbrauch lernt man in Portugal wenig. Zwei Freundinnen wollen das ändern und haben eine Schule gegründet.

Demo zum Frauentag 2017 in Lissabon Foto: Rafael Marchante/reuters

Lissabon taz | „Die Freundinnen meiner 16-jährigen Tochter beschweren sich darüber, dass ihre Eltern sie zwingen, das Haus zu putzen, während ihre Brüder sich ausruhen können. Das sind so Dinge, wo man denkt: Oh Gott, wenn das heutzutage passiert, dann muss sich noch einiges ändern. Denn was bedeutet für diese Kinder Gleichberechtigung?“, fragt Valquiria Porto da Rosa.

Sie ist Brasilianerin, BWL-erin und Feministin. „Mit meiner Tochter spreche ich zu Hause über feministische Themen. Doch sie hat mich letztens gefragt, was der Unterschied zwischen Sexismus und Machismus sei. Da frag ich mich: Wie kann es sein, dass sie nichts darüber weiß, obwohl sie in Lissabon zur Schule geht?“ Valquirias Muschelkette klappert, während sie heftig gestikuliert; ihre schmalen Augen blitzen.

Taynara Nascimento wundert sich. Leider habe sie keine Antwort, sie habe sich das noch nie gefragt, es sei einfach so: „Im portugiesischen Lehrplan hat das Thema Feminismus keinen Platz.“ Taynara ist 30 Jahre alt und Lehrerin für Portugiesisch als Fremdsprache an der Algarve. Etwas umständlich rückt sie ihre große Brille mit dem schmalen Silberrand zurecht. „Dabei gibt es ja das Fach Gesellschaftslehre, wo Feminismus super reinpassen würde, aber ich kenne keine Kollegin und keinen Kollegen, die in diesem Fach über Feminismus sprechen.“

2022 lag Portugal im Gleichstellungsindex des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen auf Platz 15, mit 62,8 Prozent von 100. Und damit unter dem EU-Durchschnitt, auch was den Pay Gap betrifft. 2023 hat sich das Land auf 67,4 Punkte verbessert. Das zeigt: Es tut sich etwas, wenn auch sehr langsam.

„Für portugiesische Verhältnisse sind viele Gesetze wirklich fortschrittlich. Sex ohne Einwilligung wird als Vergewaltigung definiert. Frauen dürfen seit 2007 ohne Begründung bis zur 10. Schwangerschaftswoche abtreiben. Mir reicht das nicht, aber wir müssen es im Kontext sehen: Erst in den 1980er Jahren war in Portugal eine Abtreibung überhaupt erlaubt – unter sehr strengen Vorschriften. Erst 1976 durften Frauen wählen“, erklärt Marta Martins. Sie hat trägt ihre langen glatten rötlichen Haare mit Pony, liebt Blümchenkleider und arbeitet als Kulturmanagerin. Trotz progressiver Gesetze seien Gewohnheiten und Denkweisen in der portugiesischen Gesellschaft häufig konservativ und veraltet.

Stereotype überwinden

„Unterdrückung der Frauen, Machtmissbrauch, Gewalt, Ungleichheit. Dies wird hier alles einfach geleugnet. Wir haben 48 Jahre in einer Diktatur gelebt, in der Frauen zum Schweigen gebracht und ihnen beigebracht wurde, alles zu akzeptieren. Das tun viele immer noch. Obwohl wir seit 50 Jahren in einer Demokratie leben.“ Auch Marta selbst, die viel hinterfrage, ertappe sich manchmal dabei, Denkmuster zu übernehmen: „Wir haben uns alle an die stereotype Rolle der Frau gewöhnt.“ Der einzige Ausweg führe über Austausch und Bildung.

Das Bildungsministerium schweigt zu diesem Thema. Auch auf mehrere Anfragen der taz. Auch portugiesische Geschichte ist nur geringfügig im Lehrplan vorgesehen, besonders, was die koloniale Vergangenheit angeht.

Valquiria und Marta wurde dieses Schweigen zu laut. Also haben sie selbst eine Schule gegründet, eine feministische: „Manamiga“. Der Name ist eine Verbindung der umgangssprachlichen Wörter mana (Schwester) und miga (Freundin). Seit einem Jahr bieten sie Workshops an zu Themen wie Transidentität, Frauenrechte im Alltag, Cis-Gender, Gender Pay Gap. Valquiria erklärt: „In Portugal wird, wenn überhaupt, im akademischen Bereich über feministische Themen gesprochen. Da gibt es tolle feministische Initiativen, Veranstaltungen und Buchclubs. Die sind jedoch für viele nicht zugänglich. Unsere Schule aber ist für alle offen, es gibt keine Berührungsängste. Einfach vorbeikommen, hinsetzen, mitreden.“

Damit sie möglichst viele unterschiedliche Menschen erreichen, gibt es kein festes Schulgebäude: Jeder Kurs findet woanders statt. Hauptsächlich in Bibliotheken und Kulturzentren. Tatsache ist, dass der Großteil der Teilnehmenden Frauen sind, um die 30, weiß, Akademikerinnen. Viele Kurse haben ein hohes Niveau. Es gibt viel Arbeit an theoretischen Konzepten und mit philosophischen Texten.

Wie der Abend zum Thema „Strukturelle Unterdrückung“ in dem weißen Besprechungsraum mit Stuckdecke und großen Fenstern in der Stadtteilbibliothek von Belém. 20 Menschen sitzen hier und schauen auf die Leinwand, 20 sind digital zugeschaltet, hauptsächlich aus Brasilien. Sie sind zwischen 25 und 66 Jahre alt. Im Raum sind die meisten weiße hetero Akademiker-Portugiesinnen. Aber digital zugeschaltet sind unter anderem eine Frau aus Angola, fünf Cis-Männer, drei Brasilianerinnen, zwei lesbische Spanierinnen und drei Teilnehmerinnen, die angaben, sie hätten keine Uni besucht.

Eine davon ist Paula, 38, aus Lissabon. Sie hält sich zurück, beobachtet und notiert viel. Nachher sagt sie auf dem Gang: „Vor allem die praktischen Übungen haben mir gefallen, weil wir uns gegenseitig viel austauschen konnten. Sie haben mir eine ganz neue Perspektive eröffnet. Ich bin weiß, hetero, habe keinen Migrationshintergrund. Mir war nicht bewusst, wie sehr es eine Rolle spielt, welche Erfahrungen man macht, je nachdem, wer man in der Gesellschaft ist. Wie sehr andere in unserer Gesellschaft unterdrückt und ausgegrenzt werden.“

Raquell nickt heftig. Sie ist 20 Jahre alt, hat türkische und portugiesische Wurzeln. Feminismus sei kein völlig fremdes Thema in ihrem Leben, sie war sich der Geschlechterungerechtigkeit „mehr oder weniger“ bewusst, und dann gab es einen Missbrauchsskandal an ihrer Uni, dessen Verantwortlicher nicht zur Rechenschaft gezogen wurde. „Es gibt so viele Situationen, die ich einfach hab durchgehen lassen. Sexistische Witze, Bemerkungen auf der Straße, Beleidigungen oder die Tatsache, dass ich in meinem Nebenjob weniger verdiene als meine Kollegen, obwohl ich dasselbe mache.“

Sie merkte, dass ihr ein richtiger Austausch fehlte. „Es tut mir fast weh, es zu sagen, aber es gibt kaum Orte, an denen diese Themen besprochen werden. In der Schule und an der Uni haben wir nie über Feminismus geredet. Selbst meine Freundinnen winken ab, sie finde es übertrieben und wollen auf keinen Fall als Feministinnen bezeichnet werden.“ Raquell seufzt. „Es wäre wirklich wichtig, dass das Thema ins Bildungssystem aufgenommen wird.“

Diese Lücke im Bildungssystem würden Valquiria und Marta mit ihrer Schule gern füllen und mit Schulen und Universitäten kooperieren. „Es muss darüber nachgedacht werden, wo in Unterrichtsmaterialien stereotype Rollen sind. Gerade im Geschichts-, Portugiesisch- und Kunstunterricht. Aktuell spielen Frauen im Unterricht immer noch Nebenrollen.

Valquiria Porto da Rosa Foto: privat

Wie viel würde sich ändern, wenn wir Kindern beibrächten, zu hinterfragen und diskutieren! Und endlich anderen eine Stimme gäben. Denjenigen, die im Laufe der Geschichte unsichtbar waren.“ Damit meint Marta Portugiesinnen und Portugiesen mit afrikanischen Wurzeln, Transpersonen oder auch Frauen, die während der 48-jährigen Diktatur aufwuchsen.

Um diese Menschen mehr einzubinden, bieten sie ein Stipendienprogramm an. Viele könnten sich bei den niedrigen portugiesischen Gehältern die 55 Euro pro Workshop nicht leisten. Es soll niedrigschwelligere Kurse geben zu „Feminismus im Alltag“ und Workshops wie mit Kindern über Feminismus und Machismus gesprochen werden könne. Außerdem wollen sie Kampagnen organisieren, um die portugiesische Gesellschaft aufzurütteln, in der es keine Protestkultur gibt und es nicht gern gesehen werde, wenn Veränderung eingefordert werde.

„Wir wurden nicht von den Wellen der internationalen Frauenbewegungen erfasst. Nicht nur, weil jeder Versuch, Frauenrechte zu fordern, im Keim erstickt wurde, sondern auch, weil Frauen zu beschäftigt waren. Sie wurden schnell in den Arbeitsmarkt integriert, als ihre Männer in den 1960er und 70er Jahren im Kolonialkrieg waren. Da wurden sie wie Männer behandelt und vergessen, dass sie zu Hause auch noch Kinder, Haushalt, Pflege haben“, sagt Marta.

Marta Martins Foto: privat

Darum käme die portugiesische feministische Bewegung auch nur so schleppend voran. So gibt es keine Demos, Proteste oder anhaltenden Aufschrei in der Bevölkerung, wenn die krassen Missbrauchszahlen in der katholischen Kirche bekannt werden oder die häuslicher Gewalt. Das ist in Portugal die Straftat, die am meisten tötet. Rund 15.000 Anzeigen gab es im ersten Halbjahr 2023, die Dunkelziffer sei riesig. Getan wird wenig.

„Häusliche Gewalt hat nichts damit zu tun, ob ein Volk generell gewalttätig ist oder friedlich. Gewalt auf der Straße ist Gewalt gegen Fremde, Gewalt in den eigenen vier Wänden ist Gewalt gegen Menschen, die wir kennen. Sie hat mit Kontrolle zu tun. Mit Strukturen, mit Politik“, sagt die Brasilianerin Valquiria.

Und mit dem Alter der Bevölkerung, findet Taynara, die Lehrerin von der Algarve. „Die Bevölkerung ist sehr alt, denn die Jungen verlassen das Land, weil sie keine Zukunftsaussichten haben. Doch Veränderung, gerade bei der Gleichberechtigung, geht ausschließlich von den Jungen aus.“ Taynara unterrichtet hauptsächlich Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. „Meine Schülerinnen und auch Schüler haben unglaublich wenige Infos dazu. Zugang hätten sie schon, durch das Internet. Aber sie kommen gar nicht auf die Idee, sich dort zu informieren.“

Raquell hat genau das getan. In den sozialen Netzwerken stieß sie auf Manamiga. „Es ist eine große Bereicherung. Ich habe mich schon zu weiteren Kursen angemeldet. Großartig ist, dass ich hier andere Leute treffe, die sich für die gleichen Themen interessieren. Ich hab hier erfahren, dass ich nicht verrückt bin“, sagt sie lachend und wirft ihre langen Locken zurück.

Privatschulen werden beliebter

Doch wie sieht das portugiesische Bildungssystem überhaupt aus? Mit drei Jahren gehen portugiesische Kinder in die Vorschule. Mit sechs kommen sie in die Grundschule, die bis zum 15. Lebensjahr dauert und drei Zyklen durchläuft. Daran schließt sich die weiterführende Schule an, die drei Jahre dauert. Der Großteil der portugiesischen Schülerinnen und Schüler besucht öffentliche Schulen, die kostenlos sind. Aber gerade in den Großstädten werden die privaten Schulen beliebter, da es im öffentlichen Schulsystem an Lehrkräften mangelt und die Schulgebäude und Unterrichtsmaterialien oft veraltet sind. Ein bekanntes Problem.

Seit über einem Jahr streiken und demonstrieren Lehrkräfte der öffentlichen Schulen regelmäßig. Sie fordern mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Lehrpersonen in der untersten Gehaltsstufe verdienen in Portugal etwa 1.100 Euro, in höheren Gehaltsstufen sind es oft weniger als 2.000 Euro. Dienstjahre werden nicht angerechnet, Beförderungen verschleppt und viele ständig an andere Orte im Land versetzt. Es gibt viel zu tun.

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