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Livia Sarai Lergenmüller über die Aufarbeitung von MissbrauchNachholende Gerechtigkeit

Die Bundesregierung will die Aufarbeitung von Missbrauch verbessern. Gut so, denn die lässt bekanntlich zu wünschen übrig, besonders wenn es um Kindesmissbrauch geht.

Die Beweisführung ist meist schwierig: Sexueller Missbrauch hinterlässt selten sichtbare Spuren, und die Fälle werden oft erst Jahre später gemeldet, sodass Spuren nicht mehr gesichert werden können. Traumatische Erlebnisse können zu fragmentierten Erinnerungen führen, was die Konsistenz der Schilderungen und damit die Glaubwürdigkeit der Aussagen schmälert. Zudem sind diejenigen, die Kindern helfen sollten, nicht selten Teil des Problems. Familienmitglieder sind oft selbst Tä­te­r:in­nen oder Mitwisser:innen.

An Hürden in der Aufarbeitung von Kindesmissbrauch mangelt es also nicht. So wundert die Diskrepanz zwischen Hell- und Dunkelfeld kaum: 15.500 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch wurden 2022 in Deutschland angezeigt – die Weltgesundheitsorganisation schätzt die eigentliche Zahl auf bis zu eine Million. Das sind ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse. Laut der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, ist nun ein neues Gesetz geplant. Es soll „nachholende Gerechtigkeit“ schaffen, so Claus. Der Entwurf, der gerade in der Ressortabstimmung ist, sieht unter anderem einen Anspruch auf Akteneinsicht bei den Jugendämtern für Betroffene vor. Ob und wann Akten eines laufenden Verfahrens eingesehen werden können, ist derzeit unterschiedlich. Meist erhalten Betroffene erst nach Abschluss von Gerichtsverfahren Zugriff, etwa aus Gründen des Datenschutzes. Dabei könnte Einsicht in die Akte beim Erinnern und Aufarbeiten helfen.

Doch das setzt voraus, dass die Indizien entdeckt und dokumentiert werden. Die eigentliche Aufgabe liegt also weiterhin bei denen, die im Alltag mit den Kindern zu tun haben: bei Lehrkräften, Kinderärzt:innen, Sozial­arbeiter:innen. Auch das private Umfeld muss genau hinschauen und jedem Hinweis nachgehen. Ohne diese Arbeit ist auch das Gesetz keine Hilfe.

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