Aufarbeitung der Edathy-Affäre: Keiner hat was falsch gemacht
Ob BKA-Chef Ziercke oder SPD-Fraktionschef Oppermann: Alle geben den Friedrich. Eigene Fehler kann niemand erkennen.
BERLIN taz | Drei Stunden dauert es, da tritt Jörg Ziercke durch die Tür des Saals 2300. Kameras stürzen sich auf den BKA-Chef. Der entblättert einen Zettel, trägt vor und hat nur eine Botschaft: Nichts habe er sich in der Affäre Edathy zuschulden kommen lassen. „Ich kann keine rechtliche Relevanz erkennen.“ Nachfragen lehnt Ziercke ab und verschwindet den Gang hinunter.
Seit dem Mittwochmorgen hatte sich der BKA-Chef zuvor den Fragen des Innenausschusses gestellt. Es sollte der Tag der parlamentarischen Aufklärung werden. Neben Ziercke war die SPD-Spitze geladen, dazu Ex-Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche (CDU). Allein: Die Fragezeichen lösen sich nicht auf.
Seit anderthalb Wochen wird über die Ermittlungen gegen Sebastian Edathy wegen möglichen Kinderporno-Besitzes spekuliert. Darüber, ob der SPD-Politiker mehr besaß als nur straffreie „Posing-Bilder“. Und darüber, ob er frühzeitig etwas wusste von den Ermittlungen gegen ihn.
Hinter verschlossenen Türen erzählte Ziercke im Innenausschuss von der „Operation Spade“, die 2010 gegen das kanadische Kinderporno-Portal Azov Films begann. Dort soll auch Edathy bestellt haben. Der BKA-Chef referierte, wie die Kanadier im Oktober 2011 eine Liste mit 800 deutschen Kunden übermittelte, 450 Gigabyte an Daten.
Kunden der „Kategorie 2“
Aufgrund anderer Operationen habe man erst im November 2012 mit der Auswertung begonnen, so der BKA-Chef, vorerst mit 443 „prioritären Fällen“ mit eindeutig indiziertem Material. Ein knappes Jahr später, am 15. Oktober 2013, habe man an alle 16 Landeskriminalämter 80 weitere Fälle verschickt: Kunden der „Kategorie 2“, die unverfänglichere Nacktbilder bestellten. Am gleichen Tag meldete die Polizei in niedersächsischen Nienburg. Auf der Liste stehe ein heimischer Bundestagsabgeordneter: Sebastian Edathy.
Noch am 15. Oktober wurde Ziercke über Edathy informiert. Der unterrichtete einen Tag später über Staatssekretär Fritsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Der informierte SPD-Chef Sigmar Gabriel und musste wegen dieser Indiskretion inzwischen zurücktreten.
Immer wieder hakten die Abgeordneten bei Ziercke nach, was es mit einem Anruf von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der inzwischen durch Gabriel Bescheid wusste, am 17. Oktober auf sich hatte. Hatte Oppermann den BKA-Chef zum Geheimnisverrat gedrängt?
„Wirklich überrascht“ sei er über den Anruf gewesen, berichtet Ziercke. Oppermann habe den Verdacht gegen Edathy geschildert, habe besorgt gewirkt. Ziercke will aber klargemacht haben, nichts zu kommentieren. „Ich will Sie auch gar nicht in Schwierigkeiten bringen“, soll Oppermann gesagt und auf Fragen verzichtet haben.
Eigentümliche Wendungen
Die Verteidigung Zierckes im Fall Edathy - sie ist eine weitere eigentümliche Wendung in der Affäre. Denn vor anderthalb Jahren war es noch der SPD-Politiker, der als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses den BKA-Chef zu der rechtsterroristischen Mordserie kritisch befragte. Als Ziercke damals die Polizeiarbeit in den NSU-Verfolgung verteidigte, warf ihm Edathy mangelnde Selbstkritik vor: „Ich finde es nicht nachvollziehbar, wie Sie hier auftreten.“
Vergessen. Am Mittwoch steht Edathy nur noch für Fotos nackter Jungen. Man dürfe nicht vergessen, sagt CSU-Mann Stephan Mayer, dass dessen „moralisch sehr, sehr zweifelhafte“ Bestellungen Kern der derzeitigen Affäre seien.
Zierckes Aussagen bewerten die Abgeordneten indes unterschiedlich. Er und Oppermann hätten „sehr verantwortungsvoll“ agiert, sagt SPD-Innenpolitikerin Eva Högl. „Das Telefonat wird völlig zu Unrecht skandalisiert.“ Der Grüne Konstantin von Notz nennt es dagegen „wenig schlüssig“, dass hier ein Gespräch „ohne Inhalt und Zielrichtung“ geführt wurde.
„Überhaupt keine Zweifel“
Ausschuss-Chef Wolfgang Bosbach (CDU) hat vor allem die SPD im Blick. An Zierckes Darstellung gebe es „überhaupt keinen Zweifel“. Wohl aber an der Intention Oppermanns. „Das Telefonat macht nur Sinn, wenn er etwas wissen wollte, was er nicht wusste.“ Dass dieser zudem anfänglich sagte, Ziercke habe ihm die Ermittlungen bestätigt, sei eindeutig „falsch“ gewesen.
Bosbachs Angriff zeigt, dass die Union den Rücktritt Friedrichs der SPD längst noch nicht verziehen hat. Am Vorabend hatten sich die Parteichefs von CDU, CSU und SPD zum Krisengespräch im Kanzleramt getroffen. Sie gingen ohne öffentliche Erklärung auseinander.
In der Ausschuss-Pause beginnt am frühen Nachmittag im Bundestag die Aktuelle Stunde zum selben Thema. Den Termin hatten überraschend Union und SPD verlangt. Selbst die Linke hatte zuletzt von der Idee der Aktuellen Stunde Abstand genommen - dort besteht weder die Möglichkeit der Nachfrage noch der Zwischenintervention. Entsprechend nennt sie der Vizefraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, eine „Alibiveranstaltung“. Ein anderes, weitaus härteres Mittel wäre ein Untersuchungsausschuss. Den aber lässt die Opposition bisher offen.
Kurz danach richtet sich der Fokus wieder auf den Innenausschuss. Am Nachmittag trifft dort SPD-Fraktionschef Oppermann ein. Er werde „alle Fragen beantworten“, verspricht er. Die SPD wolle „lückenlose Aufklärung“. Und er schiebt ein Friedenssignal an die Union hinterher. Der Rücktritt Friedrichs tue ihm „aufrichtig leid“. „Ich bin absolut überzeugt, dass er nichts Unrechtes getan hat.“
Heimliche Hoffnungen
Knapp zwei Stunden wird Oppermann im Ausschuss befragt. Wieder geht es um das Telefonat mit Ziercke. Dieses habe er getätigt, so der SPD-Mann, weil er „fassungslos und schockiert“ war über die Vorwürfe gegen Edathy und diese einordnen wollte. Vielleicht habe er die „heimliche Hoffnung auf einen Irrtum“ gehabt, gesteht Oppermann. Es sei ihm aber nie darum gegangen, Dienstgeheimnisse zu erfahren. Auch weist der SPDler jeden Hinweis der Parteispitze an Edathy zurück. Dies sei „völlig abwegig“.
Der Aufklärungsmarathon ist da noch lange nicht beendet. Für den Abend sind noch SPD-Chef Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier geladen.
Die Opposition nennt die Befragungen am Mittwoch gar nur einen „kleinen Anfang“. „Um Licht ins Dunkel zu bringen“, so der Linken-Abgeordnete Jan Korte, „braucht es noch mehrere Sitzungen.“ CSU-Chef Horst Seehofer geht noch weiter: Kämen Bundestag und Justiz nicht weiter, müsse notfalls ein Untersuchungsausschuss her. Der Ausnahmezustand Edathy bleibt.
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