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„Auf keinen Fall die koloniale Geste des Überschreibens wiederholen“

Die Philippinen sind Gastland bei der am 14. Oktober eröffnenden Frankfurter Buchmesse. Aus dem Filipino ins Deutsche übertragen hat die Bücher alle die Schweizer Schriftstellerin Annette Hug

Wie lässt sich das Leben in einem Land mit mehr als 7.000 Inseln, 20 aktiven Vulkanen und über 130 Regio­nalsprachen auch im Deutschen vermitteln? Foto: Chris Hooton/plainpicture

Interview Julia Hubernagel

taz: Frau Hug, wie fühlt sich das eigentlich an: Die größte Buchmesse der Welt präsentiert die Philippinen als Gastland, und alles, was aus dem Filipino übersetzt wurde, stammt von Ihnen?

Annette Hug: Die meisten Bücher wurden ja aus dem Englischen übersetzt. Es ist eine politische Entscheidung von Autorinnen, auf Filipino oder eine der regionalen Sprachen zu schreiben. Aber nein, es fühlt sich eigentlich nicht so gut an, die einzige Filipino-Übersetzerin zu sein. Es wäre mir lieber, es gäbe mehr.

taz: Gibt es keinen Markt für übersetzte philippinische Literatur?

Hug: Als ich vor Bekanntwerdung des Gastlandauftritts der Philippinen Übersetzungsdossiers an Verlage schickte, reagierten die eher verhalten. Wie es nach der Messe weitergeht, wird man sehen. Das Beispiel eines anderen asiatischen Inselstaats, der indonesische Gastlandauftritt 2015, war in diesem Punkt kein besonders gutes. Da sind die Übersetzungen nach der Messe auf ein sehr niedriges Niveau zusammengeschrumpft. Korea ist allerdings ein tolles Beispiel. Wobei die koreanische Literatur auch stärker staatlich unterstützt wird und eine sehr alte Schrifttradition hat. Das kann man insofern nicht vergleichen. Aber wenn die Philippinen irgendwo dazwischen lägen, das wäre schon schön.

taz: Woran können deutschsprachige Le­se­r:in­nen anknüpfen, wenn Sie Literatur von den Philippinen lesen?

Hug: Es gibt zwei Romane, die man unter Climate Fiction einordnen könnte: Caroline Haus „Stille im August“ und Daryll Delgados „Überreste“. Beide spielen nach einem zerstörerischen Taifun, nicht weit von der Gegend entfernt übrigens, wo es zuletzt dieses furchtbare Erdbeben gab. In „Stille im August“ gefällt mir die Erzählper­spektive einer Hausangestellten, die aus Singapur zurückkommt und ihre Mutter sucht. Das ist auf eine Art Weltwissen, das sich in diesen migrantischen Erfahrungen ansammelt, und mit der die Figur dann die feudalen Strukturen ihres Heimatortes anschaut.

taz: Sie haben selbst auf den Philippinen gelebt und waren während Ihres Studiums in der Frauenbewegung aktiv. Wie war die Situation damals, in den 90er Jahren, im Land?

Hug: Bereits während der 80er Jahre, zum Ende der Marcos-Diktatur, entstanden sehr viele verschiedene Frauenorganisationen, nachdem sie lange verboten gewesen waren. Sie entwickelten Kampagnen rund um die Frage des Einkommens und der sexuellen Gewalt. Was mich dorthin gebracht hatte, war der Zusammenhang von Militarismus und Sexarbeit, also die Situation von Sexarbeiterinnen, die in Bars rund um die amerikanischen Militärbasen oft unter miserablen Bedingungen arbeiteten.

taz: Hatten Sie damals viele Mitstreiterinnen aus anderen Ländern?

Hug: Zu der Zeit boomte das Frauenthema bei internationalen Hilfswerken und UNO-Organisationen. Auch die Weltbank machte Projekte für Mikrokredite mit Frauen. Man hatte die Frauen auch als ökonomische Ressource entdeckt, weil sie als zuverlässiger galten. In den Missionen gab es Frauen aus ­Australien, den USA etc. Aber da, wo ich studiert habe, an der University of the Philippines, war ich die einzige Weiße. Wobei: Mit einer meiner besten Freundinnen dort hatte ich deswegen immer wieder Diskussionen. Sie kam aus Japan, von einer antifaschistischen Gruppe aus Osaka, und ich fand immer, wir seien die beiden Weißen an der Uni. Das sah sie aber anders – die Filipinos übrigens auch.

taz: Interessant, immerhin ist Japan ja eine Nation, die auf der Seite der Kolonisatoren, nicht der Kolonisierten stand.

Hug: Ja. Aber: José Rizal zum Beispiel, der 1896 hingerichtete philippinische Nationalheld und Schriftsteller, dessen Texte jetzt in Deutschland noch mal neu herauskommen, war ein großer Japan-Bewunderer. Selbst als Japan die Philippinen besetzte, gab es noch Teile der philippinischen Intellektuellen, die das begrüßten als endgültige Befreiung vom Westen. Das haben die Japaner propagandistisch auch so dargestellt. Die brutale Herrschaft, die dann folgte, hat das Ansehen wieder sinken lassen. Heute ist es erneut anders, weil China zur Hauptbedrohung geworden ist.

Foto: Michel Büherer
Annette Hug

Geboren 1970, studierte in Zürich und Manila Geschichte sowie Women and Development Studies. Für ihren Roman „Wilhelm Tell in Manila“ erhielt sie 2017 den Schweizer Literaturpreis. Ihre Kolumne „Ein Traum der Welt“ erscheint regelmäßig in der Wochenzeitung „WOZ“. Seit 2024 übersetzt sie aus dem Filipino (Tagalog) ins Deutsche.

taz: Wie viel hat sich von der Kolonialgeschichte in die Literatur eingeschrieben? Abgesehen von den Sprachen natürlich, auf denen die Bücher verfasst wurden.

Hug: Sehr viel. Allan Derains „Das Meer der Aswang“ ist ein tolles Beispiel. Derain besteht darauf, dass er das Buch nicht auf Tagalog, sondern auf Filipino geschrieben hat. Filipino, neben Englisch die Amtssprache im Land, ist ja eine Sprache, die zwar auf Tagalog aufbaut, aber Wörter aus vielen anderen Sprachen aufnehmen soll. Das Buch ist daher für Einheimische nicht einfach zu lesen. Derain greift vorkoloniale Mythen auf und baut daraus eine pralle Geschichte der Auflehnung in Gestalt eines 15-jährigen Mädchens, das sich irgendwann in ein Krokodil verwandelt. Ich lese das auch als eine Art Überlebensgeschichte, ein Ankämpfen gegen ihren Vater und einen katholischen Priester, der die Mutter hinrichten lässt.

taz: Der Roman kreist um Mystik, um Wunderglaube. Wie findet man eine Sprache dafür, die auch wir nicht über die Maßen spirituellen Eu­ro­päe­r:in­nen verstehen?

Hug: Ich wollte auf keinen Fall die koloniale Geste des Überschreibens wiederholen. Das passiert im Roman selbst, als ein spanischer Pater auftaucht, der überall Teufel sieht und Hexen. Ich hatte eine große Scheu, europäische Begriffe für die vielen Geisterwesen zu verwenden, aber es waren zu viele! Hilfe habe ich dann tatsächlich bei Jacob Grimm in seinem Buch „Deutsche Mythologie“ gefunden. In den verschiedensten Landstrichen beobachtet er auch lateinische Begriffe, französische, wendische, sorbische, slawische, jeder Begriff hat vielfache regionale Abwandlungen – ähnlich unübersichtlich und kompliziert wie auf den Philippinen! Ich habe dann realisiert, wie sehr die Standardisierung von Sprachen mit der Etablierung eines starken Zentralstaates zusammenhängt, der die ganzen Institutionen schafft, eine Grammatik durchsetzt und Wörterbücher erzeugt.

„Filipino hat unglaublich viele Verben für Berührungen“

Annette Hug, Übersetzerin

taz: Gibt es Dinge, die sich aus dem Tagalog nur schwer ins Deutsche übersetzen lassen?

Hug: Das Filipino hat eine unglaubliche Bandbreite an Verben für Berührungen. Ob ich stupse oder tröstend streichle, ob ich mit dem Stupsen eigentlich etwas sagen will oder nicht. Das finde ich wunderbar. Da komme ich durch die Sprache in ein feineres Verhältnis zum eigenen Körper. Ein Abenteuer ist auch das Sichhineindenken in eine ganz andere Grammatik. Da kommen Grundannahmen ins Wanken: Zum Beispiel, dass Aktiv und Passiv sinnvolle Gegensätze sind, um menschliche Handlungen zu klassifizieren. Auf Filipino stellen sich andere Fragen zuerst: Tut jemand etwas absichtlich oder unwillkürlich? Tut sie es allein oder mit andern zusammen? Macht sie etwas selber oder lässt sie jemand andern etwas ausführen?

taz: Haben die Menschen auf den Philippinen ein besonderes Verhältnis zu Übersetzungen? Gesprochen werden über 130 Regionalsprachen, offizielle Amtssprachen sind aber nur Englisch und Filipino.

Hug: Das ist eine gute Frage. Es gibt auf den Philippinen engagierte Verleger und Buchhändler, die Übersetzungen herausgeben in den jeweiligen Regionalsprachen, Bikol zum Beispiel. Das finde ich beeindruckend, weil es zeigt, dass nicht alles über die Hauptstadt laufen muss. Viele philippinische Autoren übersetzen sich auch selber, mitunter in der Hoffnung, dass ihre Bücher so unabhängig von Übersetzern einen Weg in die Welt finden. Durch den Buchmessenauftritt kommt aber etwas in Gang. Zum ersten Mal gibt es nun breitere und etwas verlässlichere Übersetzungsförderungen vonseiten der philippinischen Regierung, was explizit auch Übersetzungen zwischen den über 130 Regionalsprachen beinhaltet.

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