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Forschung soll Schlachten sanfter machenDer Tod der Schweine und die Wahl des Gases

Forschung soll ermöglichen, aus der quälerischen Schlachtschweine-Betäubung mit Kohlendioxid auszusteigen. Den Ausschlag geben ökonomische Interessen.

Da schaust du, süßes Ferkel! Noch fünf Monate, dann kommst du in den Schacht Foto: CC0/pxhere.com

BREMEN taz | Manchmal muss Forschung paradoxalen Fragen nachgehen. Untersuchungen, wie es ums Tierwohl im Schlachtprozess bestellt ist und wie es sich steigern lässt, gehören dazu. Ein Beispiel ist das von der Fördergesellschaft für Fleischforschung kofinanzierte Verbundprojekt „Tierschutzgerechte Gasbetäubung von Schlachtschweinen im Diplift- und Paternoster-System“.

Dem hat das Team den Kurznamen „Tiger“ verpasst, wobei die Endung „-er“ aus „Paternoster“ stammt. „Es sollte halt griffig sein“, erklärt Daniel Mörlein, Professor für Nutztierproduktqualität an der Uni Göttingen.

Im Frühjahr wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Ultrakurzfassung: Mit Gasen wie Argon und Stickstoff ließe sich das Schlachten weniger quälerisch gestalten als mit Kohlendioxid, dem gegenwärtigen Mittel der Wahl. Es würde ein Cent pro Kilo teurer. Das macht gut einen Euro pro Schwein: Argon koste in etwa vier- bis sechsmal so viel wie CO2, erläutert Mörlein. Zudem verlangsame es den Prozess: Argon müssten die Tiere 250 Sekunden, also 70 Sekunden länger als Kohlendioxid ausgesetzt werden, heißt es im „Tiger“-Report.

Die bisherigen Betäubungsanlagen könnten aber ohne viel Aufwand umgerüstet werden. Zumindest die in kleineren Schlachthöfen gebräuchlichen Diplift-Systeme, die jeweils in nur einem Stahlkäfig, beschönigend als Gondel bezeichnet, bis zu sechs Tiere mehrere Meter hinunter ins Dunkle fahren.

Zivilprozess Das Urteil im Zivilverfahren der Brand Qualitätsfleisch GmbH gegen Ariwa-Aktivist*innen soll am 16. Juli, 8.30 Uhr in Saal 35 des Landgerichts Oldenburg verkündet werden.

So wie Kohlendioxid sind auch Argon und Stickstoff schwerer als Luft: Die Architektur der Tötungsfabriken kann also beibehalten werden, anders als bei Helium, das im Hauptschweineland Spanien erprobt wurde. Das dürfte auch für die in größeren Betrieben üblichen Paternoster-Anlagen gelten, in denen ein Aufzug mehrere Käfige im Umlaufsystem hoch und runter transportiert. Die Physik ist ja dieselbe.

Im Rahmen des Projektes sei gezeigt worden, „dass ein niedriger Restsauerstoffgehalt für den Einsatz von Inertgasen auch bei diesem Anlagentyp erreicht werden kann“, teilt Inga Wilk mit. Die Projektkoordinatorin arbeitet an der Celler Dependance des Friedrich-Löffler-Instituts, einer Einrichtung des Bundeslandwirtschaftsministeriums.

Die Atemnot ist den Schweinen genau anzusehen bei der Fahrt ins Gas Foto: Ariwa

Aber ausgerechnet das unter Life-Bedingungen zu erproben, hat nicht hingehauen: Der Vion-Konzern als industrieller Partner hatte im Januar 2024 das für die Tests vorgesehene „Fleischcenter Perleberg“ verkauft. Mit den neuen Eigen­tü­me­r*in­nen bekam man keine Einigung hin.

In einen anderen Schlachthof des Partners zu wechseln, wäre nicht gegangen. Tierversuche müssen von der Landestierschutzkommission genehmigt werden. „Es ist vorgesehen, diese notwendigen Untersuchungen im Rahmen eines Nachfolgeprojektes durchzuführen“, so Wilk: 33.684.495 von 44.912.660 Mastschweinen sind 2023 allein in Deutschland vorm Schlachten mit CO2 betäubt worden.

Zeit ist da ein wirtschaftlicher Faktor. Die Branche ist sicher nicht bereit, größere Verzögerungen und unvorhersehbare Probleme bei der vorgeschriebenen, in die Tötungswerkstraßen integrierten Narkose hinzunehmen. Also gilt es Unwägbarkeiten auszuschließen, wenn man weiter Tiere zum Essen anbieten, aber raus aus dem Kohlendioxid will.

Das wollen offenbar alle. Das „Tiger“-Projekt hatte 2020 das Bundeslandwirtschaftsministerium initiiert. Aber ähnliche Versuchsreihen laufen europaweit in diversen Designs: So hatte im Jahr 2022 die Europäische Exekutivagentur für Digitales und Gesundheit 2,2 Millionen in Schweinebetäubungsforschungsprojekte in Dänemark, den Niederlanden und Spanien gesteckt. Als die vor drei Monaten ihre Einsichten auf der Suche nach „nicht-aversiven Betäubungsmethoden für Schweine“ in Brüssel präsentierten, haben sich die „Tiger“-Leute einfach dazugesellt.

Denn politisch entscheidet sich schließlich dort, ob an der CO2-Betäubung von Schweinen festgehalten wird. Dass sie erhebliches Tierleid verursacht, ist nämlich altbekannt. Und dass es Alternativen gibt, auch.

So war die Praxis, nachdem Reinder Hoenderken die Pro­bleme der CO2-Betäubung 1979 dargestellt hatte, in den Niederlanden beendet worden – „for animal welfare reasons“, wie es im Fachblatt „Pig News and Information“ im Januar 1980 hieß, aus Gründen des Tierwohls. Doch das gesetzliche Verbot verschwand mit Entstehung des EU-Binnenmarkts.

Es kam auch nicht wieder, als die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit die Praxis 2004 aus wissenschaftlichen Gründen für nicht vereinbar mit Tierschutzvorgaben erklärt und ebenso wenig, als sie diese Einschätzung 2020 bekräftigt hatte. Physiologisch liegt sie ja nahe: Das Enzym Carboanhydrase verwandelt das Gas in Kohlensäure. Die verursacht stechende Schmerzen an den Schleimhäuten. Zugleich stimuliert die Übersäuerung, also der Abfall des pH-Werts, einen Ionenkanal im Mandelkern im Säugetierhirn.

Das Produkt dieses biochemischen Vorgangs nennen Menschen Angst, Erstickungsangst. Die Kommission hatte das zur Kenntnis genommen, fand aber Alternativen zu teuer. Also entschied sie: Das müssen die Schweine eben aushalten.

In der EU haben das seither rund drei Milliarden Schlachtschweine ausgehalten. Zusehen will dabei niemand: Der „Erhebungsleitfaden Transport und Schlachtung“, der erklärt, wie die Einhaltung der Vorgaben des nationalen Tierwohllabels zu checken sind, empfiehlt den Prü­fe­r*in­nen, gegebenenfalls eine Taschenlampe einzusetzen. Damit können sie dann mal pro forma in den meist neun bis zehn Meter tiefen Fahrstuhlschacht hineinfunzeln.

Valide Einsichten in den Vorgang lassen sich nur mit an den Gondeln befestigten Kameras und Mikros gewinnen. So hat es das „Tiger“-Team gemacht. So hatten es, ohne Genehmigung, auch Ak­ti­vis­t*in­nen der Tierrechtsorganisation „Animal Rights Watch“ (Ariwa) gemacht.

Weil sie das in Fachkreisen verbreitete Wissen über die Panik und das Schreien der Tiere auf dem Weg in die CO2-Senke mithilfe heimlicher Aufnahmen in seiner Schweinetötungsanlage in Lohne erstmals in die deutsche Öffentlichkeit gebracht hatten, verklagt Schlachthof-Betreiber Nikolaus Brand zwei von ihnen. Er fordert rund 100.000 Euro Schadenersatz. Das Urteil soll am 16. Juli um 8.30 Uhr in Saal 35 des Oldenburger Landgerichts verkündet werden.

Tatsächlich muss eine schlachtprozessbezogene Tierwohlforschung also auch im Versuchsaufbau ihren Grundwiderspruch wiederholen: Um das Leiden der Tiere zu minimieren, muss man es reproduzieren: 1.300 Schweine sind im Zuge des „Tiger“-Projekts geschlachtet worden, „aber das waren Schweine aus landwirtschaftlichen Betrieben“, so Mörlein.

Sie wurden also nicht eigens fürs Projekt gemästet, „und sie sind auch ausnahmslos in die Lebensmittelkette gegangen“. Relevante Unterschiede in der Fleischbeschaffenheit habe man keine festgestellt. Und durch den Einsatz von Argon „das aversive Verhalten erheblich reduzieren können. Aber es bleiben Fragen“, so Mörlein, etwa „das Thema der Vokalisation“. Denn auch im Argon schreien die Tiere. „Da können wir nicht klären, ob das unbewusst ist.“

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