Auf den Kriegsdienst einstimmen: Antifa statt Bundeswehr
Den „Veteranentag“ brauche es, für „die Demokratie“. Doch wer die wirklich verteidigen will, der sollte lieber bei der Antifa vorbeischauen.

D eutschland soll kriegstüchtig werden. Dieses Mantra beten Politiker:innen nun schon, seit Olaf Scholz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine die „Zeitenwende“ ausgerufen hat. Das Land auf Krieg zu trimmen heißt dabei nicht nur, unzählige Milliarden in die Produktion von Panzern, Drohnen und Munition zu stecken. Auch ein Gesinnungswandel soll her. „Von deutschen Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen“ war gestern, heute soll Deutschland „endlich in dieser Welt Interessen definieren“, wie es Kanzler Friedrich Merz einmal formuliert hat.
Seither wird fleißig über die Wiedereinführung der Wehrpflicht debattiert und die Militarisierung der Gesellschaft vorangetrieben. Auch in Berlin ist das zu spüren. Im Pierburg-Werk im Wedding will Rheinmetall Waffen produzieren. Die Bundeswehr wirbt in den Schulen um Nachwuchs. Und am Sonntag soll auf der Reichstagswiese der erste „Nationale Veteranentag“ mit einem „Bürgerfest“ begangen werden. Offizielles Ziel: Das „Band zwischen Bundeswehr und Gesellschaft stärken“ – also die Entscheidung normalisieren, für Deutschland zu kämpfen, und zu sterben.
Konkret soll ein „Veteranendorf“ errichtet werden. Hier werden wohl Soldat:innen und Veteranenverbände den Besucher:innen zwischen Essensständen und Hüpfburgen von Diversität, Kameradschaft und Nervenkitzel bei der Bundeswehr vorschwärmen. Um dem Truppenaufmarsch vor dem größten Symbolgebäude der Demokratie einen möglichst parlamentarischen Anstrich zu geben, soll etwa Bundestagspräsidentin Julia Klöckner kommen.
Unter dem Motto „Wir feiern ihre Kriege nicht“ ruft das Bündnis „No Veteranentag“ um die Initiative Rheinmetall entwaffnen zu einer Demo auf. Los geht es um 14 Uhr am S- und U-Bahnhof Friedrichstraße. „Wir haben wesentlich mehr gemein mit den Menschen, auf die wir schießen sollen, als mit jenen, die uns in die Schützengräben schicken“, heißt es im Aufruf. Die Route führt in die Nähe der Bundeswehr-Fete, wo es ein Konzert von Lena Stöhrfaktor geben wird – und möglicherweise Kontakt mit dem Klassenfeind. Die Kundgebung des provisorischen anarchistischen Antikriegsrats von 13 bis 18 Uhr an der Ebertstraße soll eine Anlaufstelle und ein Sprungbrett zu antimilitaristischen Interventionen auf den Veteranentag bieten. (tk)
Wer davon nicht genug hat, kann die Ausstellung „Wounded – The Legacy of War“ besuchen. Dort zu sehen ist laut Ausstellungsbeschreibung die „beeindruckende Charakterstärke und Tapferkeit“ von verwundeten britischen Soldat:innen, die „ohne zu zögern die Prüfung des Krieges bestanden haben“ – heißt: Die in Afghanistan und in den Irak einmarschierten – und die heute „trotz ihrer Beeinträchtigung jeden Tag in Würde weiterleben“.
Begeisterung in liberale und grüne Milieus vorgedrungen
Dass eine solche Veranstaltung nur in linken und linksradikalen Kreisen auf Widerstand stößt, ist kein Zufall. Längst ist die Begeisterung für die Bundeswehr weit in liberale und grüne Milieus vorgedrungen, auch in der taz. Begründet wird der neue Militär-Hype dabei mit der russischen Invasion der Ukraine. Um sich als Demokratie gegen autoritäre Regime wie Russland zu behaupten, müsse man abschrecken und Verteidigungsfähigkeit demonstrieren, heißt es. Der Dienst an der Waffe wird so als Verfassungspatriotismus geframed, als gelebter Antifaschismus.
Große Worte – die bei der Jugend allerdings nur mäßig verfangen. Die Wehrpflicht wird nämlich vor allem von denen gefordert, die nicht von ihr betroffen wären. Laut einer YouGov-Umfrage steigt die Zustimmung zur Wehrpflicht proportional mit dem Alter: Während 75 Prozent der Menschen im Rentenalter die Jugend zum Bund schicken wollen, lehnen die Jugendlichen selbst das mit überwältigender Mehrheit ab. In Deutschland ist es wie überall: Zwischen denen, die den Krieg fordern, und denen, die ihn ausfechten sollen, besteht kaum eine Schnittmenge.
Es ist ja auch paradox: Von der Jugend wird erwartet, sie soll ihre Selbstbestimmung aufgeben, weil ihr sonst die Fremdherrschaft drohe.
Dass diese Logik nicht aufgeht, darauf weist in der öffentlichen Debatte vor allem einer hin: Ole Nymoen. Unermüdlich lässt sich der Kolumnist und Podcaster in Talkshows als Vaterlandsverräter beschimpfen, weil er sagt, dass die Interessen von Herrschenden und Beherrschten nicht identisch sind. Der deutsche Staat ist eben keine Solidargemeinschaft, sagt Nymoen, sondern in erster Linie ein Gewaltapparat, der die Interessen von Staat und Kapital sichert. Für diese zu kämpfen, da sagt Nymoen: „Nein, danke!“ Seinen Pazifismus fasst er so zusammen: „Ich lebe lieber in Unfreiheit, als für diese Freiheit zu sterben.“
Die spannendere Frage
Nun macht es natürlich – trotz aller autoritären Tendenzen auch hierzulande – einen Unterschied, ob man in der Bundesrepublik oder in Putins Russland lebt. Schließlich sind viele der bürgerlichen Freiheiten in harten sozialen Kämpfen errungen worden. Es muss der Linken darum gehen, diese Kämpfe fortzuführen und auszuweiten – statt bereits errungene Erfolge einfach aufzugeben. Insofern lässt sich das Argument der bedrohten Demokratie nicht völlig von der Hand weisen.
Die spannendere Frage ist aber doch: Ist die Bundeswehr der richtige Ort für Menschen, die für die Demokratie kämpfen wollen? Angesichts der zahlreichen Naziskandale in der Bundeswehr – wohl kaum. Und ist ein russischer Einmarsch in Deutschland wirklich die größte Bedrohung für die Demokratie in Deutschland? Wohl auch eher nicht.
Die wirklichen Bedrohungen kommen von innen: Nazis, die ihre politischen Gegner terrorisieren und dafür Waffen horten, die auch aus den Lagern der Bundeswehr stammen. Demokratische Parteien, die sich überbieten, um geflüchtete Menschen zu entrechten. Angriffe auf Grundrechte wie die Rede- und Versammlungsfreiheit aus Gründen der „Staatsräson“. Das Leben, das sich die Menschen nicht mehr leisten können, während die Reichen immer reicher werden. Und so weiter, und so fort.
Die Militarisierung der Gesellschaft ist kein Kampf gegen den Autoritarismus – sie führt zum Autoritarismus. Und der Kampf gegen Faschismus ist kein hypothetisches Zukunftsszenario, er wird bereits heute tagtäglich geführt. Diejenigen, denen es wirklich um die Freiheit und Demokratie geht, sollten lieber mal bei der Antifa vorbeischauen, statt zur Bundeswehr zu gehen.
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