Auf 13 Joints mit Helmut Höge: „Ideologischer Kack“ ins Nichts
Helmut Höge ist taz-Autor, taz-Hausmeister und Tierforscher. Wir treffen uns mit ihm auf 13 Joints – oder so. Diesmal: Extremismus und Dschihad.
Ich komme in den fünften Stock des taz-Gebäudes. Helmut sitzt schon auf dem Sofa. Ach ja. Die Sofas sind wieder da. Eins war ja mal so ein bisschen abgebrannt gewesen. Das linke ist sehr edel, etwas altmodisch, neu bezogen, aber ungemütlich. Die Sitzfläche ist so kurz, dass man Angst hat, man rutscht runter wenn man zu entspannt sitzt. Das zweite: moderner Stil, die eher gemütliche Variante, zum fläzen.
Ich sitze auf dem edlen, Helmut auf dem gemütlichen. Es ist dunkel draußen, Herbst eben. Aber es ist auch dunkel im Flur. Die Glühbirne ist kaputt.
Wir wollen heute über Extremismus, den IS, den Dschihad und Terrorismus sprechen. Helmut bietet mir erstmal einen Schokoladenbonbon an, Kinder-Schokolade.
Die bekannte Drehmethode kommt auch heute zum Einsatz. Helmut zieht vier Blättchen aus dem Tabakbeutel, doch er hält inne: „Wo ist denn das Haschisch verdammt?!“ Er hat es unten vergessen.
Früher hat er Opern komponiert, heute entwirft Ingolf Gabold Erfolgsserien wie „Borgen“ oder „The Killing“. Ein Gespräch über richtig gutes Fernsehen und wie man es macht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. November 2014. Außerdem: Wie eine Abgeordnete und ein Lobbyist um das Waffenrecht in einem US-Bundesstaat ringen. Und: Joschka Fischer im Interview. Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
„Terrorgruppen also“, sagt Helmut und zerbröselt dabei das Hasch. Ich schreibe jedes Wort mit, weil ich Angst habe etwas zu vergessen. Bevor der Joint überhaupt gebaut ist, ist Helmut schon bei indischen Terrorgruppen und den ukrainischen Separatisten. Terrorist, das ist so ein emotionaler Begriff, sagt er. Die Staaten hätten ja auch recht unterschiedliche Toleranzen, wann wer Terrorist ist. In Amerika werden ja schon Demonstranten als potentielle Terroristen gehandelt.
Man stellt schnell fest: Helmut geht das Gespräch eher assoziativ und etymologisch an. Wir mäandern durch die Begriffe. Terror und Gewalt.
Meist passt es dann doch irgendwie
„Noch vor der RAF hieß es ja schon. High sein, frei sein, Terror muss dabei sein“, sagt Helmut und zündet den Joint an. Innerhalb von zwei Minuten sind wir in den 60ern gelandet. Graffiti sprühen und ein bisschen klauen, viel mehr war das noch nicht. Aber die Autoritäten, die Polizei, die Lehrer und der Staat, die fühlten sich terrorisiert, sagt Helmut. Damals war das natürlich Gewalt gegen Sachen, aber die Eigentümer empfanden das schon als Terror.
Ich frage mich, ob ich auch 68er geworden wäre. So mit Sit-in und Steine in Geschäfte schmeißen. Helmut spricht derweil über die Kulturrevolution in China. Das war dann schon richtig extrem, sagt er.
Wie war das denn so?
Helmut erklärt also die Kulturrevolution: die damaligen Konflikte in der chinesischen Gesellschaft, wie die in China immer besonders arrogant auftretenden Intellektuellen aufs Land geschickt wurden: mit den Bauern essen, mit den Bauern arbeiten, mit den Bauern diskutieren. Und wie das dann auch brutal wurde, und terroristisch.
Wenn Helmut erzählt, hüpft er von einem zum anderen Punkt, gleitet dabei durch die verschiedensten Themen. Man fährt mit ihm keine gerade Straße lang im Gespräch, eher serpentinenartig im mittleren Gebirge auf und ab und weiß auch nicht wie weit das Ziel entfernt liegt. Er wirkt dabei extrem gelassen und kommt dann doch immer wieder zurück. „Ich weiß nicht, ob das jetzt noch so zu deiner Frage passt“, sagt er oft. Meist passt es dann doch irgendwie.
Meine Beine werden schwer
Und während mir das auffällt, sind wir auch wieder bei den deutschen 60ern gelandet.Wie die 68er-Studentenbewegung in den Reformuniversitäten aufgegangen ist. „Das hat der Studentenbewegung den Wind aus den Segeln genommen. Sie haben für eine andere Uni gekämpft, und wurden dann an den anderen Unis eben auch Profs.“
Helmut reizte das auch und er ging nach Bremen an die Uni, zum Studieren. „Das war ein tolles Klima, sehr gedankenvoll eingerichtet“, sagt er und ich frage mich wie etwas gedankenvoll eingerichtet wird, während meine Beine schwer werden und das Sofa ungemütlicher. Ich bleibe aber aufrecht, ich hab Angst runter zu rutschen.
Helmut sagt dann irgendwann, als er über die damaligen Schlägereien in der Kantine irgendwelcher Kapitäne, die wegen einer Lebenskrise an die Uni gegangen sind, „Aber das führt jetzt zu weit“. Er spricht trotzdem weiter.
„Nee, auf deutsch“
Ist ja auch interessant. Wie er dann nach Bremen in Oldenburg Englischtutor wurde. Und wie in seinen Kursen ältere Damen waren, Eigenheim, verheiratet, Kinder haben das Haus verlassen, gelangweilt. Wir haben dann gar kein englisch gemacht sagt Helmut, sondern über ihre Probleme gesprochen.
„In Englisch?“, frage ich. „Nee“, sagt Helmut, „auf deutsch.“
Der erste Joint ist aus. Helmut wechselt zu filterlosen Zigaretten. Ich würde auch gerne rauchen. Verkneif es mir aber. Ich habe eigentlich aufgehört.
Helmut besorgt vor allem, dass Menschen die in Armut leben leicht ansprechbar sind für Terrorismus. „Und es gibt eben unglaublich viel Armut und Langeweile.“
„Mauerstützen nennen sich junge Menschen in Ägypten“, sagt Helmut. Weil die da eben nur an der Mauer lehnen. Die stehen an der Ecke, kratzen sich am Sack, sind arm und haben keine Perspektive. „Dafür muss man auch gar kein Moslem sein, in Indien sind die Nationalhinduisten auch krass drauf.“ Überhaupt Indien.
Einmal umgeblättert, schon wieder Indien
Ich passe kurz nicht auf, weil ich meinen Notizblock umblättern muss. Als ich wieder da bin spricht Helmut über den Terror von oben. Von der Neoliberalisierung in Indien, den Freihandelsabkommen und horrenden Mieten in Moskau.
Helmut hat mal eine Weile Verhandlungen in Jugendgerichten beobachtet. Das ist er einfach hingegangen. Als Journalist. Da gab es mal ein paar rechte, die eine ganze Gruppe Zigarettenverkäufer aus Fidschi zusammen geschlagen haben. Aber die haben alle nur geringe Bewährungsstrafen bekommen, sagt Helmut, weil die waren abgehängt von der Gesellschaft. Und doof. „Die konnten gar keine intelligenten Verbrechen begehen“, meint er.
Wir verlieren uns dann in weiteren lustigen Fällen vom Jugendgericht. Unabhängigkeitsbewegung auf Korsika. Und dann auch: Wie in Indien Dörfer mehr Unabhängigkeit erhalten haben, und wie in Deutschland Dörfer immer mehr Unabhängigkeit verlieren. Hindofaschismus. Mike Davis' Buch, in dem er der Geschichte der Autobombe nachgeht.
Mittlerweile ist der Mund trocken
Zwischen den Themenblöcken nippt Helmut immer an seinem Schwarztee mit Milch. Und ich denke, dass ich gerne mit Helmut den Platz tauschen würde. Rüber aufs gemütliche Sofa.
Und irgendwie landen wir dann tatsächlich wieder beim IS. Helmut findet das ganze recht schwer zu durchblicken. Wer hat die IS in den vergangenen Jahren aus welchen Gründen unterstützt? Woher kommen die Waffen, das Geld? „Im Orient ist das alles von hier aus so unglaublich undurchsichtig“, sagt er. Man müsse da schon viel lesen und das fing ja schon mit T.E. Lawrence an. Der war ein britischer Offizier und Geheimagent und daran beteiligt, die arabischen Aufstände gegen das Osmanische Reich zu forcieren. Kompliziert also.
Mein Mund ist mittlerweile ganz trocken und das Sofa wird immer härter. Ich hole daher mal schnell Wasser. Helmut dreht den zweiten Joint.
„Das ist eben nicht alles Beton“
Ob Helmut schon mal was mit Gewalt erreicht hat? „Nee, nicht dass ich wüsste.“ Aber hier in Deutschland hat man ja auch recht gute Chancen etwas ohne Gewalt zu erreichen. Basisdemokratie und so. Ab und zu wird auch mal auf eine soziale Bewegung gehört. Atomausstieg und Tempelhofer Feld zum Beispiel. „Das ist eben nicht alles Beton“, sagt er.
Im nahen Osten gab es nach der Befreiung von den Kolonialherren auch eine unglaubliche Euphorie, sagt Helmut. Aber das ließ dann wieder nach. Das ist jetzt alles wieder Beton, sagt er. Und dann denken vielleicht einige da muss jetzt was Radikales passieren.
Aber IS hat ja nichts Befreiendes sage ich, die wollen ja nicht einen emanzipatorischen Staat aufbauen. Ja, aber mehr kann man auch nicht mit Terror erreichen, meint Helmut, insgesamt sei das doch ein recht „ideologischer Kack“, der im Nichts endet.
Nach dem Joint dreht sich Helmut wieder direkt eine Zigarette. Ob ich auch mal eine haben kann, frage ich und er bietet mir seine an. Ich soll ihm dafür mal die Uhrzeit sagen. „Was? Eineinhalb Stunden gequatscht. Kam mir kürzer vor“, sagt Helmut. Mehr komme jetzt nicht aus ihm raus zu dem Thema.
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