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Auch Taliban kämpfen gegen CoronaUnvorbereitet in die dritte Welle

Afghanistan kämpft in der Coronapandemie nicht nur mit einem überlasteten Gesundheitssystem. Auch der Mangel an Impfstoff ist eklatant.

Ein Mann wird künstlich beatmet in einem Krankenhaus in Kandahar, 24. Mai 2021 Foto: Sanaullah Seiam/imago

Berlin/Kabul/Herat taz | „Ich hatte Fieber und stand mit vielen Leuten in der Menge. Als der Arzt mit jemand anderem beschäftigt war, bin ich unbemerkt durchgerutscht.“ Ungetestet überquerte Ahmad Schah, ein afghanischer Rückkehrer aus Iran, vor zwei Wochen die Grenze nahe seiner Heimatstadt Herat im Westen des Landes, wie er einem lokalen Reporter berichtete. Sein Fieber habe nichts mit Covid-19 zu tun, meinte er. Wer weiß.

Schon Afghanistans erste Coronawelle im Frühjahr 2020 war von Iran-Heimkehrern an den Hindukusch getragen worden. In dem früh und schwer von der Pandemie betroffenen Nachbarland leben drei Millionen Af­gha­n:in­nen als Flüchtlinge oder oft diskriminierte Gastarbeiter. Viele flohen – oft schon infiziert – von dort vor dem Ausbruch.

Letzte Woche brach dann in Afghanistan die dritte Coronawelle aus. Ende März erkrankten dort täglich noch weniger als 30 Menschen. Dann schnellte die registrierte Zahl exponentiell in die Höhe. Auch die Todeszahlen steigen. Letzte Woche lag der Durchschnitt der neuen Fälle bei 794, etwa ein Sechstel des aktuellen Wertes in Deutschland bei einer etwa halb so großen Bevölkerung. Doch zugleich wird 130 Mal weniger getestet als hier. Seit Pandemiebeginn gab es erst etwas über 450.000 Tests, so viele wie in Deutschland derzeit in einer halben Woche.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht in Afghanistan von einer hohen Dunkelziffer an Infektionen wie Todesfällen aus. Laut Gesundheitsministerium in Kabul geht über die Hälfte der Fälle auf die ansteckendere, zuerst in Indien entdeckte Mutation des Virus zurück.

Superspreader Massenhochzeiten

Als Erste kündigte letzte Woche die Kabuler Stadtverwaltung die Schließung der Hochzeitspaläste an. Dort finden die üblichen Massenhochzeiten mit Tausenden Gästen statt – Superspreader-Events par excellence. Doch müssen sie erst ab diesem Mittwoch schließen.

Dabei fühlten manche längst die Gefahr. Ein Westkabuler Familienvater sagte der taz, er sei froh, vorletzte Woche mit seiner Familie trotz Einladung nicht bei einer Hochzeit gewesen zu sein. Unvorsichtigere Nachbarn hätten sich dort angesteckt.

Waren Schutzmasken in der ersten Welle in Büros mit Publikumsverkehr und an bevölkerten Plätzen obligatorisch, achtet in Kabul jetzt kaum noch jemand darauf. Am Samstag schloss die Regierung Schulen und Universitäten in den 16 der 34 am stärksten betroffenen Provinzen.

Die Impfkampagne ist praktisch zum Stillstand gekommen ist. Eine erste Lieferung von 570.000 Dosen des in Indien in Lizenz hergestellten AstraZeneca-Vakzins im Rahmen der Covax-Initiative der WHO ist verbraucht. Jetzt wartet das Land auf zugesagte weitere 700.000 Dosen aus China.

Mangel ans Behandlungskapazitäten

Deutschland gehört nicht zu den Lieferanten, obwohl die Bundeswehr gerade ihre Soldaten endgültig ausfliegt und unter großem Medienrummel medizinische Ausrüstung zur Covid-19-Bekämpfung ins nahe Indien bringt. Das proklamierte Ziel, in Afghanistan bis Jahresende ein Fünftel der Bevölkerung zu immunisieren, dürfte illusorisch sein.

Zugleich mangelt es an Behandlungskapazitäten. Aus dem Medizinischen Rat der Regierung erfuhr die taz, in den meisten Provinzen gäbe es nicht mehr als drei bis fünf Intensivbetten für Coronapatient:innen. Sechs Provinzen, darunter die bevölkerungsreichen Ghasni und Chost, verfügten über keine für die Coronabehandlung geeigneten Kliniken. Und in 20 Provinzen könne niemand die Beatmungsgeräte bedienen.

Schon im Frühjahr 2020

Dafür kooperieren die Taliban bei der Coronabekämpfung. Schon im Frühjahr 2020 führten sie in den von ihnen kontrollierten Gebieten eine Aufklärungskampagne durch. Jetzt bot ihr Sprecher Sabihullah Mudschahed an, dass dort auch geimpft werden könne, wenn das mit ihrer Gesundheitskommission abgestimmt werde. Das bietet den Taliban eine neue Chance, sich der Bevölkerung als Parallelregierung zu präsentieren.

Schon vor der Coronapandemie lebten laut UNO 80 Prozent der Af­gha­n:in­nen unter der Armutsgrenze. Jetzt prognostiziert die Weltbank einen Wirtschafts­einbruch von 5,5 bis 7,4 Prozent. „Die meisten Männer haben ihre Arbeit verloren“, berichtet ein Gesundheitsarbeiter aus Herat der taz. „Deshalb gibt es mehr Gewalt in den Familien.“ In seinem Stadtteil habe sich die Zahl der Fälle, von denen er hört, verdoppelt.

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