Andreas Speit
Der rechte Rand
: Wo Grüne Freiwild werden

Der Vorfall reiht sich ein in eine Kette von Angriffen auf grüne Parteimitglieder und Veranstaltungen: Am vergangenen Donnerstag griffen zwei Männer Béla Mokrys, Mitglied des Hannoverschen Bezirksrats Mitte, an. Während einer Informationsveranstaltung der grünen Stadtteilgruppe Mitte blieben zwei Männer am Stand stehen, beleidigten die ehrenamtlichen Mitglieder und filmten sie mit ihren Handys, obwohl sie aufgefordert wurden, dies zu unterlassen und die Aufnahmen zu löschen. Béla Mokrys kontaktierte daraufhin die Polizei. Später kam es dann laut Mokrys zu einem Angriff der beiden Männer auf ihn in einem nahe gelegenen Supermarkt, wo sie ihn zu Boden warfen. Die Polizei nahm die Personalien der Täter auf; der Staatsschutz ermittelt.

Die Grünen erleben in jüngster Zeit immer wieder Angriffe – nicht nur im Osten Deutschlands. Laut Bundeskriminalamt gab es 2023 in Deutschland 1.219 Angriffe auf Re­prä­sen­tan­t:in­nen der Partei. In Lübeck mussten Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Landesspitzenkandidatin Monika Heinold während des Landtagswahlkampfs 2022 eine Veranstaltung absagen, weil mit einem Buttersäureanschlag gedroht worden war. In den Tagen zuvor hatten Quer­den­ke­r:in­nen und Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen auf Telegram-Kanälen Anschläge auf grüne Wahlkampfveranstaltungen vorgeschlagen. Anfang Januar hinderten Landwirte am Fähranleger in Schüttsiel Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck daran, nach einem privaten Urlaub die Fähre zu verlassen. Zuvor hatten rechte Landwirte in Telegram-Kanälen mobilisiert. Auch im baden-württembergischen Amtzell kam es zu einer Grenzüberschreitung ins Private: Ein Kandidat der Grünen für die Kommunalwahl wurde vor seinem Haus von einem Mann beschimpft und angegriffen, als er ihn bat, das Grundstück zu verlassen. Der Kandidat erlitt Gesichtsschwellungen.

Nach dem jüngsten Angriff in Hannover verweist der grüne Stadtverband auf Daten des Bundesinnenministeriums, die zeigen, dass die Partei am stärksten gefährdet ist: Im Jahr 2023 wurden 1.219 Angriffe auf grüne Repräsentant:innen registriert, mit 224 Angriffen auf Abgeordnetenbüros oder Geschäftsstellen waren die Grünen die am häufigsten betroffene Partei.Der grüne Stadtverband erklärt in einer Pressemitteilung, dass es bedauerlich sei, dass „Beschimpfungen an Infoständen keine ungewöhnliche Situation sind“, aber die „Ausübung physischer Gewalt“ sei „keineswegs akzeptabel“. Viele Mitglieder befürchteten seit Langem Konfrontationen mit gewaltbereiten Personen während des Europawahlkampfs – obwohl sie sich im Vorfeld auf den Umgang mit Beleidigungen vorbereiten und trotz der Unterstützung durch Sicherheitsbehörden. In den Landtagswahlkämpfen im Osten Deutschlands dürfte die Situation noch dramatischer sein. „Die zunehmende Gewalt gegen grüne Mitglieder und Engagierte ist ein Angriff auf unsere Demokratie und unsere Werte“, sagt Claudia Görtzen, die Co-Vorsitzende des grünen Stadtverbandes. „Wir dürfen nicht zulassen, dass politische Auseinandersetzungen in physische Gewalt umschlagen.“

Verantwortlich sind auch Po­li­ti­ke­r:in­nen, die die Grünen als „Verbotspartei“ bezeichnen

Diese Gewalt geht weder allein von rechtsextremen Publikationen wie Compactoder Zuerstaus, die gegen die Grünen hetzen, noch allein von der AfD, für die die Grünen der Hauptfeind sind. Verantwortlich sind auch Po­li­ti­ke­r:in­nen und Kommentator:innen, die die Grünen als „Verbotspartei“, „Gutmenschen“ oder „ideologisch getrieben“ bezeichnen oder behaupten, sie gehörten nicht zur „DNA“ eines Bundeslandes. Auch wenn die Partei zu dieser Wahrnehmung beigetragen hat – dass die Grünen zur Zielscheibe für jeglichen Frust oder jede Enttäuschung über die Politik geworden sind, ist inakzeptabel. Es ist an der Zeit, dass die Koalitionspartner in der Bundesregierung Verantwortung übernehmen, wenn die Kritik fehlgeht.