Attacke auf Satiremagazin in Türkei: Wegen Mohammed-Zeichnung verhaftet
Eine Zeichnung löst Gewalt in der Türkei aus: Islamisten stürmen die Redaktion des Satiremagazins Leman. Der Staat greift durch – aber nicht gegen die Angreifer.

Eine völlig harmlose Zeichnung von Mohammed, der im Himmel auf Moses trifft, führte am Montagabend einem Angriff von Islamisten auf die Redaktion des wichtigsten türkischen Satiremagazins Leman, wo sie erschienen war. Und zur Festnahme des Zeichners.
Videos zeigen, wie eine aufgehetzte Menge am Montagabend mitten im Istanbuler Ausgehbezirk Beyoğlu schreiend und Steine werfend gegen ein Haus anstürmten, in dem sich die Redaktion von Leman befindet. Die Polizei war präsent, griff aber nicht ein. Stattdessen stürmten andere Polizisten die Redaktion, nahmen den Zeichner und drei weitere Mitarbeiter von Leman fest und besetzten das Gebäude. Während die Polizei die Leman-Redaktion besetzte, fielen die Islamisten über Kneipen und Bars in der Umgebung her. Im Zentrum stand eine Bar, wo die Redaktionsmitglieder von Leman angeblich häufig einkehrten. Es entwickelte sich ein Tumult, an dem rund 300 Leute beteiligt waren; KneipengängerInnen, die sich gegen die Islamisten verteidigten und Polizisten, die KneipenbesucherInnen festnahmen.
Auf die Angriffe des islamistischen Mobs reagierten Behörden und die Polizei nicht. Stattdessen sprach Innenminister Ali Yerlikaya von einer „abscheulichen Darstellung“ und einer Provokation von Leman. Er gab bekannt, dass die Staatsanwaltschaft, neben den vier bereits festgenommenen, weitere Haftbefehle gegen Leman-Mitarbeiter erlassen habe.
Leman solidarisierte sich mit Charlie Hebdo
Die 1991 gegründete Satirezeitschrift Leman ist den Religiösen und insbesondere den radikalen Islamisten schon lange ein Dorn im Auge, vor allem, nachdem sich die Zeitschrift öffentlich mit dem französischen Satiremagazin Charlie Hebdo solidarisiert hatte, das 2015 Opfer eines brutalen islamistischen Terroraktes geworden war. Tuncay Akgün, Chefredakteur von Leman, sagte der Agentur AFP telefonisch, das Bild sei deshalb absichtlich falsch interpretiert worden. Es sei keine Karikatur des Propheten Mohammed, lediglich eine zur Versöhnung aufrufende Zeichnung.
Das Ganze erfolgt zu einer politisch sensiblen Zeit. Aus Angst vor einer Wahlniederlage geht Präsident Recep Tayyip Erdoğan seit Monaten massiv gegen die säkulare Opposition im Land vor und versucht, die führende Oppositionspartei, die CHP, durch etliche Prozesse und Festnahmen zu zerschlagen. Auch bei den Aufnahmen der Islamisten-Demo waren Parolen gegen die Kemalisten und die CHP zu hören.
Ob Leman zukünftig noch erscheinen kann, ist unklar. Die meisten der früher vielfältigen Satiremagazine in der Türkei sind im Laufe der letzten Jahre schon geschlossen worden.
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