Atomwaffen in Nordkorea: Stolz zeigt Kim sein Arsenal
Nordkorea hat mittlerweile mehr atomwaffenfähige Interkontinentalraketen, als die USA abfangen könnten. Den Preis zahlt die eigene Bevölkerung.
Und dank moderner Satellitentechnologie ist die Weltöffentlichkeit nicht mehr ausschließlich auf die Fotoaufnahmen der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA angewiesen, sondern kann zusätzlich auf dokumentarisches Material aus der Luft zugreifen.
Was auf den Bildern zu sehen ist, lässt einen deprimierenden Rückschluss zu: Noch nie hat Nordkorea so viele atomwaffenfähige Interkontinentalraketen aufgefahren. Und die Armee hat offenbar ein neues Raketensystem mit Feststoffantrieb vorgestellt, welches die Sprengköpfe wesentlich schneller zum Abschuss bereitmacht.
Vor allem die mindestens elf Interkontinentalraketen des Typs Hwasong-17 dürften Washington einen ziemlichen Schrecken eingejagt haben. Denn auch wenn es auf den ersten Blick überraschen mag: Das bitterarme Nordkorea stellt für die USA eine zunehmend ernste Bedrohung dar.
Vier Sprengköpfe
Die USA verfügen zwischen Alaska und Kalifornien über 44 bodengestützte Abfangjäger, die eine Interkontinentalrakete während des Flugs zerstören können. Geht man davon aus, dass Nordkorea pro Rakete je vier Sprengköpfe montieren kann, übersteigt dies also – bei einem gleichzeitigen Abschuss des gesamten Arsenals – die Kapazitäten der US-Abwehr.
Die Hwasong-17 kann die notwendige Distanz fliegen, um die US-Westküste zu erreichen. Bislang aber noch nicht bewiesen: ob Nordkoreas Militär die sogenannte Wiedereintrittstechnologie gemeistert hat. Sprengköpfe fliegen bei solchen Reichweiten derart hoch, dass sie vorübergehend aus der Erdatmosphäre aus- und wieder eintreten. Zu verhindern, dass der Flugkörper dabei verbrennt, zählt zu den Königsdisziplinen der Ingenieurskunst.
Zweifelsohne hat Kim Jong Un so offen wie selten demonstriert, dass er – allen Sanktionen zum Trotz – an der nuklearen Abschreckungsstrategie gegen die USA festhält. Dafür nimmt das Regime das eigene Volk in Geiselhaft: Das sündhaft teure Raketenprogramm frisst nicht nur die knappen Ressourcen des bitterarmen Landes, sondern verhindert auch, dass Nordkorea jemals aus der wirtschaftlichen Isolation herauskommt.
Doch vielleicht, so glauben immer mehr Experten, ist dies auch gar nicht gewollt: Die pandemiebedingte Abschottung spielt dem paranoiden Regime in die Hände. Man möchte sich unabhängig vom Außenhandel machen, absolut autark sein. Dass aufgrund jener Strategie Millionen Menschen unter Mangelernährung leiden, ist für die Machthaber zweitrangig.
Im Visier
Darüber, was das „end game“ von Kims Nuklearkurs ist, wird unter Beobachtern und Forschern heftig debattiert. Thae Yong Ho – ehemaliger nordkoreanischer Botschafter, der nach seiner Flucht 2016 die Seiten wechselte und mittlerweile im südkoreanischen Parlament sitzt, – glaubt, dass Nordkorea sein Atomprogramm ausnutzen wird, um eine Wiedervereinigung mit dem Süden zu erzwingen. Wenn die Raketen Pjöngjangs auch die US-Westküste ins Visier nehmen können, dürfte es sich Washington doppelt überlegen, ob die USA bei einer nordkoreanischen Invasion den Verbündeten in Seoul militärisch helfen.
Noch sind solche Szenarien Gedankenspielereien. Dieser Tage dürfte das nordkoreanische Militär unter banaleren Problemen leiden: etwa, ob es über genügend Benzin für seine Panzer verfügt, oder ob es seine Hunderttausenden Soldaten ausreichend ernähren kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht