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Atompolitik der EUStreit gehört dazu

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

EU-Befürworter:innen, die Atomkraft ablehnen, bringt die Idee einer klimafreundlichen Atomenergie in ein Dilemma. Der Kampf muss weitergehen.

Nach 35 Jahren endlich stillgelegt: Atomkraftwerk Brokdorf Foto: Christian Charisius/dpa

E s ist ein echter Schuss vor den Bug von Grünen. Ausgerechnet die hierzulande größten Fans des europäischen Projekts müssen nun wegstecken, dass ihre geliebte Europäische Union der Atomkraft ein formidables Greenwashing verpasst. Die Welt soll vor der Klimaerwärmung gerettet werden, indem man sie dem Risiko einer Jahrtausende währenden Verstrahlung aussetzt. So einen ökologischen Unsinn von politischen Mit­strei­te­r:in­nen muss man erst mal verkraften.

Damit nicht genug, strahlen konservative Möchtegernrechthaber auch noch vor Schadenfreude. Jetzt werde man sehen, wie europäisch die Grünen sind, die sonst stets Polen und Ungarn kritisieren, höhnte etwa Ulf Poschardt von der Welt. Da kann man sich schon mal grün ärgern.

Aber sind die Grünen nun dazu verdonnert, den nuklearen Unsinn mitzutragen, wenn sie ihre transnationalen Ideale nicht verraten wollen? Im Gegenteil! Die EU lebt vom demokratischen Streit, vom Dissens, vom politischen Wettbewerb. Ganz ähnlich übrigens wie Deutschland, wo man über Jahrzehnte vehement die Atomkraft bekämpfen konnte, ohne gleich den demokratischen Staat in Gänze ablehnen zu müssen.

Daher darf, ja muss sogar eine ökologisch geprägte Bundesregierung mit aller Vehemenz den Vorstoß der EU-Kommission zurückweisen. Und wenn Brüssel dennoch der Atomlobby den roten Teppich ausrollt, ist das zwar eine politische Niederlage. Aber selbst dann würde Deutschland keinesfalls dazu verpflichtet, qua europäischem Wert neue Reaktoren zu bauen.

Wer das mit den erznationalen Regierungen in Polen und Ungarn auf eine Stufe stellt, die mit ihrem Vorgehen gegen die Pressefreiheit oder eine unabhängige Justiz gegen Grundpfeiler der EU verstoßen, spielt bewusst mit gezinkten Karten. Denn ein erbittert geführter Streit um die richtige Politik gegen den Klimawandel ist kein Verstoß gegen europäische Werte, er schmückt die Europäische Union, gerade weil man dabei verlieren kann.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
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10 Kommentare

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  • „Und wenn Brüssel dennoch der Atomlobby den roten Teppich ausrollt, ist das zwar eine politische Niederlage. Aber selbst dann würde Deutschland keinesfalls dazu verpflichtet, qua europäischem Wert neue Reaktoren zu bauen.“

    Was für ein Strawman - dass D. aussteigt ist doch unbestritten. Bei der Taxonomie geht es aber um EU-Fördergelder / Fördermöglichkeiten, und so wird es dazu kommen, dass mit deutschem Steuergeld, das in den EU-Topf geht, in anderen Ländern der Bau von neuen Atomreaktoren (direkt oder indirekt) gefördert wird - und zwar als „nachhaltig“ für eine Technik, die in 60 Jahren Betrieb noch nicht mal ein endgültiges Konzept zum Umgang mit dem eigenen, extrem toxischen Müll vorweisen kann. Nur mit solchen Hilfen ist die teure Atomkraft künstlich überlebensfähig.

    Und das, wo es tatsächlich nachhaltige und billigere Alternativen, eben die EE, gibt.

    Dazu kommt: Reaktoren, die jetzt geplant werden, gehen frühestens in 20 Jahren ans Netz, noch später wenn man auf neue Reaktorgenerationen setzt, die aktuell noch gar nicht verfügbar oder auch nur zugelassen sind.



    D.h. Die angebliche „Übergangstechnik“ AKW kommt für eine Bremse des Klimawandels ohnehin zu spät, selbst im „günstigsten“ Fall der Befürworter. Das Greenwashing der Atomkraft ist lächerlich. AKWs retten das Klima nicht, im Gegenteil, sie passen in kein EE-Konzept da kaum regelbar in der Leistung - trotzdem entscheidet sich die EU industriehörig für diese Rolle Rückwärts.

    Das ist das Problem.

  • Danke Herr Asmuth!



    Ein sehr ermunternder Text👍!

  • spätestens ab 2023 werden die ersten gigafabriken für wasserstoffelektrolyseure fertig sein und dann kann billiger wasserstoff zum speichern von überschüssiger wind und solarenergie dank massenfertigung hergestellt werden.der grüne strom für die wasserstoffproduktion kann dann erzeugt werden wenn zuviel wind und solarstrom produziert wird und die wind und solarkraftwerke abgestellt werden müssen wie z.B. vorgestern als mehr als 3 mal soviel windstrom im netz war wie strom aus atom kohle und gas oder gestern mehr als doppelt soviel .tja und dann natürlich auf jedes dach ne solaranlage ,die sind inzwischen echt günstig ,und das problem wär gelöst

  • 4G
    47360 (Profil gelöscht)

    Solarpflicht für alle Dächer, nicht lang reden, würde Deutschland wirklich ernst machen, wäre ganz schnell klar, dass die EU keine Wertegemeinschaft mehr ist, weil ein Land alle anderen an Werten weit abgehängt hätte (allerdings könnten sich Luxemburg, Österreich tendenziell mit dran hängen).

    Es ist eine Wertefrage, ob man Nuklearkraftwerke pusht oder nicht.

    Deutschland kann die laschen Werte der EU progressiv hinter sich lassen, wenn der politische Mumm dazu da wäre, Frankreich und andere würde schnell kleinlaut werden.

    Wer aber selbst nur kleingeistig Energiewenden hinbekommen will, zwingt niemandem zum Grübeln, erst recht nicht ein chauvinistisches Frankreich.

    Es geht nicht um s Kämpfen, es geht um s Tun.

  • Soweit ich das verstehe, geht es darum, dass Atomenergie als nachhaltig gilt und entsprechende Projekte damit auch für Investoren infrage kommen, die auf das Investieren in nachhaltige Projekte beschränkt sind. Da das wohl nur mit staatlicher Unterstützung rentabel ist, ist eher nicht mit einer Kernkraft-Renaissance zu rechnen.

  • "Der Kampf muss weitergehen"

    Diese Formulierungen finde ich in gesellschaftlichen Debatten ziemlich daneben. Wir sind nicht im Krieg.

    Persönlich bin ich für eine atomare Übergangslösung. Zumindest, bis die Versorgung mit Alternativen gesichert ist.

    • @Wonneproppen:

      "Zumindest, bis die Versorgung mit Alternativen gesichert ist."



      Und da wird es dann schwierig bis widersprüchlich weil AKWs nicht kurzfristig regelbar sind. Das führt dann dazu, dass die Alternativen keine Chance haben ins von Atomstrom verstopfte Netz zu kommen und abgeschaltet werden und die Übergangs- zur Dauerlösung wird.

      • @Ingo Bernable:

        Richtig ist: Je mehr gundlastfähige Kraftwerke man hat, desto geringer sind die Schwankungen bei Wind und Sonne die ausgeglichen werden müssen. Sobald genügend Pufferspeicher vorhanden sind und sobald das intelligente Netzwerk zur Energieverteilung steht, kann die Kernenergie zurückgefahren werden. Da die Lebenswegkosten bei der Kernkraft nicht notwendigerweise günstig sind, wird sie auomatisch verdrängt. Dazu braucht man nicht einmal politischen Willen. Oder sollte es nicht stimmen, dass Kernkraft so teuer und Wind- und Sonne so günstig.sind? Genau diese Botschaft verkaufen doch die Grünen gerne. Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln.

        • @Nachtsonne:

          Das ist auch heute schon so, und gerade die künstliche Förderung verhindert ja das „natürliche“ aussortieren der AKWs - die Argumentation beisst sich in den Schwanz.



          Deutschland baut als Ersatz für die abgeschalteten AKWs ja auch keine Braunkohlekraftwerke (Grundlast), sondern flexible Gaskraftwerke.



          Um die EE erfolgreich zu machen braucht es *weniger* Grundlastkraftwerke, und nicht mehr.



          Deshalb behindern neue AKWs auch die Klimawende, anstatt angeblich eine „Brücke“ zu sein (die erst fertig wird, wenn man sie ohnehin nicht mehr braucht).

          So oder so: AKWs machen keinen Sinn mehr, insbesondere Neubauten. Dass die EU am Atomstrom festhält ist eine rein Macht- und Industrielobby-gesteuerte Entscheidung - gegen das Klima, für den Status quo.

          Das signalisiert keinen Aufbruch, sondern Lähmung und Filz.

        • @Nachtsonne:

          "Richtig ist: Je mehr gundlastfähige Kraftwerke man hat, desto geringer sind die Schwankungen bei Wind und Sonne die ausgeglichen werden müssen."



          Ja, richtig: Je weniger Erneuerbare, desto weniger Schwankungen. Also voll auf Atomenergie setzen? Oder vielleicht doch lieber Wege finden mit einem schwankenden Angebot umzugehen?



          "Sobald genügend Pufferspeicher vorhanden sind und sobald das intelligente Netzwerk zur Energieverteilung steht, kann die Kernenergie zurückgefahren werden."



          Der Bau neuer AKWs würde etwa 15-20 Jahre dauern. In der Zeit kann man auch locker für Pufferkapazitäten sorgen. Umgekehrt wird die Investition in Erneuerbare nicht gerade attraktiver wenn gleichzeitig neue Reaktoren hochgezogen werden die wegen mangelnder Regelbarkeit dann Vorrang bei der Stromproduktion haben.