Atommüllexpertin zu Bürgerbeteiligung: „Die Chance wurde vertan“
Ulrike Laubenthal war in der Vorbereitungsgruppe für den ersten Termin der Fachkonferenz Teilgebiete. Mit scharfer Kritik hat sie das Gremium verlassen.
taz: Frau Laubenthal, warum finden Sie ein Beteiligungsverfahren grundsätzlich wichtig?
Ulrike Laubenthal: Damit wir wirklich den bestmöglichen Standort finden. Dazu brauchen wir ein Verfahren, in dem viele Menschen mitdenken, Wissen und Erfahrung einbringen, Fehler suchen. Ein transparentes Verfahren, bei dem wir ausschließen können, dass nach politischer Macht statt nach geologischen Kriterien entschieden wird. Und ein gerechtes Verfahren, damit die, die es am Ende trifft, die Entscheidung auch akzeptieren können. Wir haben in Gorleben erlebt, wie es sich anfühlt, wenn der Staat einen Standort gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen will. So darf es nicht noch einmal laufen.
Ulrike Laubenthal beschäftigt sich seit 1986 mit gewaltfreier ziviler Konfliktbearbeitung, ist Trainerin für gewaltfreies Handeln und engagiert sich im Verein Friedensscheune, der die Geschichte der „Bürger_innenbewegung für eine Freie Heide“ dokumentiert. Sie lebt nahe einem Salzstock bei Flecken Zechlin.
Die Auftaktveranstaltung zur Beteiligungskonferenz im Oktober hat viel Unmut hervorgerufen.
Ich würde es schärfer formulieren: Die Chance, eine gute Grundlage für die Fachkonferenz zu schaffen, wurde vertan. Am schwersten wiegt meiner Meinung nach, dass laut Ankündigung nur informiert und diskutiert, aber nichts entschieden werden sollte. Viele hatten sich deshalb gar nicht angemeldet, sondern die Veranstaltung auf Youtube verfolgt. Plötzlich sollte eine Arbeitsgruppe für die Vorbereitung des ersten Beratungstermins gewählt werden. Organisationen und Kommunen hatten keine Zeit, sich zu überlegen, wer kandidieren soll. Wegen technischer Schwierigkeiten konnten manche nicht kandidieren, andere nicht abstimmen. Wer über Youtube teilnahm, konnte beides nicht.
Sie haben trotzdem kandidiert.
Ich war im Zwiespalt und habe mich dafür entschieden, die Chance zu nutzen und konsensorientierte, basisdemokratische Verfahren einzubringen. Atommüll ist Gegenstand eines tiefen, alten gesellschaftlichen Konflikts. Ein Verfahren, das zu einem breiten gesellschaftlichen Konsens führen soll, wie von allen Seiten immer wieder betont wird, muss meiner Erfahrung nach von Anfang an konsensorientiert sein. Ich habe das bei meiner Kandidatur eingebracht und nehme an, dass ich deshalb gewählt wurde.
Warum sind Sie damit gescheitert?
Es war nur eine Minderheit in der Gruppe, die so arbeiten wollte. Es herrschte ein enormer Zeitdruck. Letztlich hat sich die Mehrheit für die Moderation durch den vom BASE beauftragten Dienstleister IKU entschieden und damit für einen Arbeitsstil, bei dem Konflikte, Meinungsverschiedenheiten, Ungeklärtes per Abstimmung abgehandelt wird. Es wäre ein außerordentlicher Glücksfall gewesen, wenn sich unter diesen Bedingungen Leute zusammengefunden hätten, die die Sache noch in Richtung echter Partizipation bewegen.
Was meinen Sie mit echter Partizipation?
Eine gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Interessierten auf Augenhöhe, ein Format, in dem konstruktive Auseinandersetzungen Raum haben. In einem partizipativen Prozess darf man die Ziele nicht von oben festlegen. Viele Beteiligte wünschen sich zum Beispiel, dass die Fachkonferenz die Selbstorganisation der Betroffenen stärkt.
Laut Gesetz ist das Ziel der Fachkonferenz die Erörterung des Zwischenberichts Teilgebiete.
Dies ist meines Erachtens eine Verwechslung zwischen Ziel und Inhalt. Die Erörterung des Zwischenberichts ist nach dem Gesetz der Inhalt der Konferenz, nicht das Ziel. Meiner Lesart nach lassen sich die Ziele so zusammenfassen: die Förderung einer standortübergreifenden Sichtweise, der Aufbau eines Erfahrungs- und Wissensstandes bei den Betroffenen, die Schaffung von guten Grundlagen für den weiteren Prozess. Was gute Grundlagen sind, kann nicht das BASE festlegen, das können nur die Betroffenen selbst. Wenn sie etwa die Förderung der Selbstorganisation, den Aufbau von nachhaltigen Vernetzungsstrukturen, die kritische Reflexion des bisherigen Verfahrens für eine gute Grundlage brauchen, darf das nicht wegmoderiert werden, wie auf der Auftaktveranstaltung geschehen, sondern muss ein Ziel der Fachkonferenz werden.
Sie sehen einen grundlegenden Konflikt zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich am Prozess beteiligen, und der Behörde, die ihn organisiert.
Ja. Man hat verstanden, dass es wichtig ist, für ein Atommülllager Akzeptanz zu schaffen und dass es dafür ein Beteiligungsverfahren geben muss. So wie das Verfahren angelegt ist, ist das Ziel aber bloße Akzeptanzmaximierung und nicht, gemeinsam den bestmöglichen Standort zu finden. Ich sehe nicht, dass das Bundesamt oder die BGE der Meinung sind, dass die Zivilgesellschaft etwas Relevantes zur Endlagersuche beitragen könnte. Das Verfahren wird durchgezogen, es gibt ein großes Budget für Öffentlichkeitsarbeit, aber nicht die Haltung, echte Partizipation zu suchen.
Ist konsensorientierte Arbeit mit so vielen Menschen überhaupt möglich, muss man dabei nicht immer auf Mehrheitsentscheidungen zurückgreifen?
Die Anti-Atom-Bewegung hat Erfahrungen damit, wie man mit vielen tausend Menschen gemeinsam Entscheidungen per Konsens treffen kann, wie man miteinander handlungsfähig wird. Bei den großen Blockaden der Castortransporte ins Wendland von X-tausendmal-quer haben viele Menschen an dieser Erfahrung teilhaben können. Aber ein überwiegender Teil der Bevölkerung und auch der Menschen in den Behörden kann sich nicht vorstellen, wie das funktionieren soll.
Aus Erfahrung mit bisherigen Beteiligungsverfahren ist das Standortsuchverfahren als „lernendes Verfahren“ angelegt. Es wird sich dieses Wochenende zeigen, was aus bisherigen Fehlern gelernt wurde. Geben Sie dem Verfahren keine Chance mehr?
Für mich kann ich sagen: Ich möchte das Verfahren nicht mehr durch meine Teilnahme legitimieren. Informieren kann ich mich anders, Kritik einbringen auch.
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