Atomkraft muss warten: Polen plant gigantische Investitionen in den Energiesektor
Aufgeschoben oder aufgehoben? Vor Investitionen in den Neubau von AKWs steckt Warschau Milliardensummen in neue Stromleitungen und Stromspeicher.

Möglich wird diese Großinvestition in die Energieinfrastruktur dank der EU, die nach dem Regierungswechsel die zuvor gesperrten Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds für Polen freigab. Die Nationalpopulisten der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), die zuvor acht Jahre lang das Land regierten, hatten das polnische Rechtssystem zu ihren Gunsten umgebaut. Immer wieder bezeichneten sie das EU-Recht als „verfassungswidrig“, häufig ignorierten sie Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Schließlich ging Brüssel die Geduld aus und die EU drehte Polen den bislang breit fließenden Geldstrom ab. Die neue Regierung in Warschau versucht, in Polen wieder eine freiheitlich-liberale Demokratie zu etablieren, wird aber meist durch Präsident Duda ausgebremst, der sich als Sachwalter der PiS-Parteiinteressen versteht. Im Mai sind Präsidentschaftswahlen in Polen, zu denen Duda nicht mehr antreten kann.
Tusk hat allerdings von der PiS-Regierung einige Investitionen geerbt, die nur schwer rückabgewickelt werden können. Dazu gehört neben dem Großflughafen zwischen Warschau und Łódź auch der Einstieg in die Atomenergie. Bereits Polens Kommunisten sahen in der Atomenergie die künftige Energieversorgung Polens. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 protestierten die Polen jedoch dermaßen vehement gegen das bereits im Bau befindliche Atomkraftwerk, dass die erste nichtkommunistische Regierung 1989 unter Tadeusz Mazowiecki das Projekt in Żarnowiec stoppte.
Aktuell laufen die Vorbereitungen für den Bau des ersten großen Atomkraftwerks in Polen in der Gemeinde Choczewo bei Danzig an der Ostseeküste. Vor wenigen Tagen bekam der Investor „Polnischer Kernreaktor“ (PEJ) die Zusage für staatliche Fördergelder in Höhe von umgerechnet 14,5 Milliarden Euro. Das aber ist nur ein knappes Drittel der benötigten Investitionssumme in Höhe von geschätzten 47 Milliarden Euro. Wo der Rest des Geldes herkommen soll, ist noch nicht geklärt. Das amerikanisch-kanadische Konsortium Westinghouse, das den Reaktor AP1000 stellen und zusammen mit der amerikanischen Firma Bechtel bauen soll, hatte nie ein rechtes Interesse an dem Projekt. Erwogen wird jetzt, dass der Staat weitere Milliarden investiert und der Rest über Bankkredite auf dem freien Markt zusammenkommen soll – abgesichert durch Staatsgarantien.
Tusk tat das, was alle Regierungen vor ihm auch taten
Eine solche Großinvestition benötigt die Zustimmung der EU, doch der gefällt gar nicht, dass mit dem Bau des ersten Atomreaktors in Polen zugleich ein staatliches Energiemonopol entstehen soll. Der Staat könnte nach Belieben an der Preisschraube drehen und damit den ganzen europäischen Energiemarkt in Turbulenzen bringen. Wahrscheinlich kam Tusk das „Ungenügend“ aus Brüssel allerdings gar nicht so ungelegen. Jedenfalls tat er das, was alle Regierungen vor ihm seit nunmehr 30 Jahren auch taten: Er verschob die Realisierung des Projekts „polnischer Atomreaktor“ in die Zukunft.
Baubeginn soll nicht mehr 2026 sein, sondern erst 2028, und ans Netz gehen soll der Reaktor erst 2036. Solange werde der Staat aber nicht untätig sein, versprach Tusk. Vielmehr würde das Industrieministerium in der Zwischenzeit einen Standort für das geplante Atomkraftwerk 2 – in Bełchatów in der Nähe von Łódź, und Atomkraftwerk 3 – in Konin rund hundert Kilometer südöstlich von Posen, suchen.
Vielleicht macht der private Ausbau der Photovoltaikanlagen zusammen mit den geplanten Offshore-Windparks den teuren Bau von Atomkraftwerken bis dahin überflüssig. Offen gibt das kein Regierungspolitiker zu, aber in einigen Jahren wird klarer sein, wie teuer der Atomstrom im Vergleich zum grünen Strom aus Wind und Sonne sein wird.
Vorrang hat jetzt erst einmal der Ausbau der verschiedenen Stromtrassen, die ja auch für die gigantischen Offshore-Windparks in der Ostsee gebraucht werden. Zudem holen sich immer mehr private Stromanbieter, die auf Photovoltaik gesetzt haben, eine Abfuhr bei den großen Energieunternehmen. Sie können ihren Strom nicht ins allgemeine Netz einspeisen, weil – so die häufigste Begründung – die Netzkapazität nicht ausreicht. Diese Interessen aber müssen in Zukunft auch berücksichtigt werden. Der Plan für die geplanten oberirdischen Stromleitungen und die unterirdischen Stromkabel durch ganz Polen ist bereits fertig und genehmigt.
Eine weitere Großinvestition, über die aber in Polens Öffentlichkeit nur wenig gesprochen wird, betrifft moderne Stromspeicher, die die Schwankungen ausgleichen sollen, die durch „Dunkelflauten“ entstehen. Sie springen also dann an, wenn die Turbinen sich mangels Wind nicht drehen und auch die Photovoltaikanlagen mangels Sonne keinen Strom produzieren. Vorreiter ist hier Orlen, Polens größtes Energieunternehmen, das in den nächsten Jahren vollständig aus der Kohleverstromung aussteigen will. Eine Brückenfunktion wird Gas einnehmen, dessen Bedeutung in den nächsten Jahren sogar noch steigen wird, dann aber ebenfalls durch grüne Energie abgelöst werden soll.
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