Atomkraft in der Schweiz: Abstimmung über alpine AKWs
Die Schweizer entscheiden bei einem Volksentscheid über die Zukunft der Atomkraft. Die Betreiber wollen Kosten abwälzen.
Weit über die Grenzen des Landes hinaus wird die anstehende Volksabstimmung mit Spannung erwartet. Der Ausstiegsfahrplan ist sehr moderat, was seine Akzeptanz erhöhen soll: Alle Meiler sollen jeweils 45 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme abgeschaltet werden, als letzter der Reaktor Leibstadt im Jahr 2029. In der Schweiz stehen fünf Atomkraftwerke, die im vergangenen Jahr 35 Prozent des Strombedarfs deckten.
In der Vergangenheit gingen Abstimmungen zur Atomkraft in der Schweiz sehr knapp aus. Im Jahr 1979 scheiterte der Versuch, Neubauten grundsätzlich von der Zustimmung der Bürger aller angrenzenden Kantone abhängig zu machen, mit 48,8 Prozent. 1990 verfehlte ein Verbot des Neubaus von Reaktoren mit 47,1 Prozent knapp die Mehrheit. Seit Fukushima, so hoffen Atomkraftgegner, könnte nun ein definiertes Ende der Atomkraft Zustimmung finden. Zumal auch bei den Eidgenossen die erneuerbaren Energien voranschreiten. Vor allem die Photovoltaik entwickelt sich konstant. Rund 300 Megawatt wurden 2015 neu installiert, pro Kopf doppelt so viel wie in Deutschland.
Wie hierzulande ist auch in der Schweiz die Diskussion darüber entbrannt, wer die Kosten der längst unrentablen Atomkraftwerke tragen soll. Jüngster Auslöser war ein delikates „Public Affairs Konzept 2016“ des schweizerischen AKW-Betreibers Alpiq, das seinen Weg in die Medien fand. In dem vertraulichen Papier, verfasst von der Kommunikationsagentur Hirzel Neef Schmid Konsulenten AG, geht es um Wege, wie die öffentliche Meinung im Land zugunsten der Atomwirtschaft beeinflusst werden kann. Weil auch in der Schweiz die AKW-Betreiber rote Zahlen schreiben, wollte die in Bern ansässige PR-Agentur im Auftrag von Alpiq erreichen, dass „die Kernkraftwerke in einer Auffanggesellschaft zusammengefasst und einem staatlichen Eigner übergeben werden“.
Ein kommunikativer Super-GAU für die Akteure
Allerdings würde es „die Erfolgschancen massiv schmälern“, wenn klar wäre, dass die Kampagne von Alpiq initiiert wurde, heißt es in dem Papier. Der Konzern solle daher den Prozess lediglich „aus der zweiten Reihe steuern“.
Das alles steht nun allerdings in den Zeitungen – der kommunikative Super-GAU für die Akteure. Und Atomkraftgegner sehen sich darin bestätigt, dass die angeblich so billige Atomkraft in der Realität extrem teuer ist, und die Branche auch in der Schweiz mit dem Rücken zur Wand steht. Die Wochenzeitung WOZ aus Zürich schrieb erst kürzlich: „Die Stromkonzerne Axpo und Alpiq schlittern dem Bankrott entgegen.“
Während Alpiq noch auf die Kraft der Manipulation setzte, zog die Betreiberfirma des Reaktors Mühleberg, die BKW in Bern, Konsequenzen. Sie nimmt ihren Reaktor Ende 2019 vom Netz – unabhängig von der Politik, aus schlicht betriebswirtschaftlichen Gründen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken