Atomausstieg bis 2021: Wer bietet weniger?
Am Mittwoch gelangte ein Entwurf des Abschlussberichts der Atomenergie-Ethikkommission an die Öffentlichkeit. Grüne, Linke und Umweltverbände wollen einen noch früheren Ausstieg.
BERLIN dpa/afp | Nach dem Bekanntwerden eines Entwurfs für den Abschlussbericht zum Atomausstieg gibt es Misstöne in der von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingesetzten Ethikkommission. "Ich halte Indiskretion nicht für eine ethische Tugend", sagte der langjährige BASF-Chef Jürgen Hambrecht dem "Handelsblatt".
Er sei über die Berichterstattung "sehr erstaunt". Das zitierte Dokument sei ein Arbeitspapier, über das man in der Kommission "noch gar nicht gesprochen" habe. In dem Papier wird der Regierung ein Ausstieg bis spätestens zum Jahr 2021 empfohlen.
Der Entwurf, ein Arbeitspapier, war an alle 17 Mitglieder der Kommission gegangen. Diese sollen bis zur Klausursitzung am Wochenende auf einem Schloss in Brandenburg Kommentare und Ergänzungen dazu einbringen. Erst am 30. Mai soll der Abschlussbericht übergeben werden, der wahrscheinlich eine Empfehlung für einen Korridor enthalten wird, bis wann ein Atomausstieg realisiert werden kann. Unter anderem auf Basis des Berichts will die Regierung ihre Entscheidung über Zeitpunkt und Prozedere des Atomausstiegs treffen.
Ilse Aigner mahnt Atomkonzerne
Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) forderte die Atomkonzerne auf, sich konstruktiver an der Energiewende zu beteiligen statt vor Stromausfällen zu warnen. "Derzeit sind elf Meiler vom Netz und nur noch sechs in Betrieb. Die Warnungen waren völlig überzogen und ziemlich überzogen", sagte Aigner der "Süddeutschen Zeitung".
"Statt mit Blackouts zu drohen, sollten sich die großen Konzerne endlich konstruktiv an der Diskussion beteiligen", sagte Aigner. Die Konzerne nutzten immer noch ihre "monopolistische Marktmacht und haben überhaupt kein Interesse, niedrige Preise an die Kunden weiterzugeben". Sie riet den Verbrauchern, sich Tarife genauer anzuschauen und Mut zum Anbieterwechsel zu haben.
Künast will Ausstieg 2017, Trittin 2012, Bulling-Schröter 2014
Die Grünen-Politikerin Renate Künast forderte die Bundesregierung am Donnerstag auf, den Abschied von der Kernenergie möglichst schnell perfekt zu machen. Ihrer Ansicht nach sei es bereits 2017 möglich, das letzte Akw in Deutschland abzuschalten, sagte die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion dem Radiosender Deutschlandradio Kultur.
Auch ihr Vorsitzenden-Kollege Jürgen Trittin findet 2021 zu spät. Der Bericht zeige, dass ein Ausstieg noch vor 2012 möglich sei, "wenn die Investitionshindernisse für Erneuerbare Energien weggeschoben werden", sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Dazu bedürfe es Investitionssicherheit, die es bei einer Revisionsklausel aber nicht geben würde. Ehrgeizigere Ziele verlangte auch die Linke. "Technisch und wirtschaftlich wäre der Ausstieg sogar bis Ende 2014 machbar", erklärte ihre Umweltexpertin Eva Bulling-Schröter.
Auch SPD will Ausstieg festschreiben
SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber forderte die Regierung auf, jetzt rasch ein Atomausstiegsgesetz vorzulegen. Er äußerte auf handelsblatt.de die Erwartung, dass es danach im Kern zu einer Rückkehr zum rot-grünen Ausstiegsbeschluss kommen werde. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann warnte mit Blick auf Überlegungen in der CDU/CSU vor einer Revisionsklausel im Ausstiegsgesetz. Der Ausstieg müsse "unumkehrbar" festgelegt werden, um den erforderlichen Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben.
Die Umweltverbände reagierten kritisch. "Weitere zehn Jahre Laufzeit für Atomkraftwerke sind unverantwortlich", wandte sich der Umweltverband BUND gegen ein Ausstiegsjahr 2021. Dass neun Atomkraftwerke für ein Jahrzehnt weiterlaufen sollen, "ist angesichts der Gefahren nicht akzeptabel", erklärte auch die Organisation "ausgestrahlt". Ein schnellstmöglicher Ausstieg sei "auch ethisch geboten", verlangte Greenpeace. Die Umweltverbände wandten sich gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke.
Debatte im Bundestag über Stromnetze
Im Bundestag kam es am Donnerstag zu einer Debatte über einen schnelleren Ausbau der Stromnetze. "Nur wenn wir die Netze ausbauen, werde wir auch die Erneuerbaren voranbringen können", sagte der energiepolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Thomas Bareiß, am Donnerstag im Bundestag.
Die Grünen hatten einen Antrag eingebracht, der mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung sowie unter anderem Erdkabel als Alternative zu Freileitungen vorsieht. Bürgerinitiativen fürchten gesundheitliche Schäden und eine Verschandelung der Landschaft durch Stromautobahnen. Union und FDP warfen den Grünen vor, hier unrealistisch zu agieren, da Erdkabel bis zu acht Mal so teuer wie Freileitungen seien. Die Grünen wiesen das zurück. Die Partei kritisierte in ihrem Antrag, dass die Regierung gemeinsam mit den Atomkonzernen den Eindruck erwecke, der Atomausstieg und der Ausbau der erneuerbaren Energien könnten "aufgrund der fehlenden Leitungen nicht kraftvoll vorangetrieben werden".
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