Asylpolitik der Ampelkoalition: Beim Familiennachzug hakt es
Kirchen und Pro Asyl fordern, den Familiennachzug bei Geflüchteten zu beschleunigen. Die Koalition sagt das zu – doch bisher bleibt vieles beim Alten.
Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, fordert vom Bundestag und von der Bundesregierung ein 100-Tage-Programm, um gesetzliche Änderungen auf den Weg zu bringen. „Für die Angehörigen von Geflüchteten mit subsidiärem Schutzstatus darf der Familiennachzug nicht länger nur auf 12.000 Personen pro Jahr begrenzt werden.“ Außerdem müsse es aufhören, dass anerkannte minderjährige Flüchtlinge zwar ihre Eltern, nicht aber ihre Geschwister nach Deutschland holen dürfen, sagte Burkhardt der taz.
Neben den gesetzlichen Änderungen ist es aus Sicht von Pro Asyl notwendig, das Behördenpersonal, das mit der Bearbeitung der Anträge auf Familiennachzug befasst ist, aufzustocken. Dass eine Familienzusammenführung schneller möglich ist, sehe man an den Anträgen von angeworbenen Fachkräften, betont Burkhardt. „Da klappt das.“
Der Familiennachzug hakt derzeit vor allem bei Asylberechtigten aus Afghanistan und Eritrea. In beiden Staaten müssen die Angehörigen in die Nachbarstaaten fliehen und von dort aus ihre Anträge stellen. Denn die deutsche Botschaft in Afghanistan ist nach der Machtübernahme der Taliban geschlossen und Eritreer können nicht im Verfolgerstaat einfach so die deutsche Botschaft betreten.
Kein Personal, keine Ahnung
In den unsicheren Nachbarstaaten müssen die Betroffenen dann meist noch lange warten, um überhaupt einen Antrag stellen zu können. Die Bundesregierung gab 2021 diese Wartezeit etwa in Äthiopien mit 13 Monaten an, im Sudan mit 10 Monaten, in Kenia mit 14 Monaten, und in Pakistan, Libanon oder Indien mit „über einem Jahr“.
Mit der Antragstellung ist das Warten aber noch lange nicht beendet. Denn in den Auslandsvertretungen gibt es viel zu wenig Personal für die Bearbeitung der Anträge. Und dieses Personal ist – wie die Bundesregierung offiziell einräumt – auch nicht qualifiziert, alle Geburts- und Eheurkunden auf Echtheit zu prüfen.
Zudem lagen 2021 nach Angaben von Pro Asyl weltweit 11.200 Terminanfragen von Angehörigen subsidiär Geschützter vor, die schlicht nicht angenommen werden, weil die Kontingente bereits ausgeschöpft waren. Burkhardt übt auch daran Kritik: „Wo kein Antrag ist, kann er nicht abgelehnt werden und niemand dagegen klagen. Hier höhlt das Auswärtige Amt den Rechtsstaat aus.“
Die Ampel kündigt in ihrem Koalitionsvertrag nun Verbesserungen im Familiennachzug an. Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt erläutert: „Es ist eine wichtige Aufgabe der neuen Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass geflüchtete Familien schneller als bisher in Sicherheit zusammenfinden. Dafür muss der erleichterte Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigen zügig ermöglicht werden.“
Kein echter Kurswechsel in Sicht
So brauche es mehr digitale Verfahren, um Wartezeiten zu verkürzen, und bei der Dokumentenbeschaffung „eine pragmatische Herangehensweise im Sinne der betroffenen Familien“. Auch den Nachzug von Geschwistern minderjähriger Flüchtlinge will die Ampel ermöglichen.
Dieses Bekenntnis im Koalitionsvertrag stimmt die Katholische Kirche und Pro Asyl vorsichtig optimistisch. Doch bisher sieht es danach aus, als würde das Auswärtige Amt – das unter Heiko Maas (SPD) den Eindruck erweckte, Familienzusammenführungen eher zu verzögern – seine bisherige Praxis auch unter Annalena Baerbock (Grüne) fortsetzt.
Auf die Frage der taz, wie die bisher besonders schwierige Prüfung von Anträgen von Eritreern verbessert werden soll, antwortete ein Sprecher des Auswärtigen Amts: „Die Visa-Stellen in den betroffenen Regionen sind angewiesen, den gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum umfassend auszunutzen und nach Möglichkeit auch Wege alternativer Glaubhaftmachung zu nutzen.“ Erst auf Nachfrage räumt er ein, dass diese Anweisung bereits seit 2020 besteht. Nach Erfahrungen von Flüchtlingsorganisationen hat sie keine Verbesserungen gebracht.
Für die Beschleunigung des Familiennachzugs aus Afghanistan verweist der Sprecher auf eine temporäre personelle Aufstockung der deutschen Auslandsvertretungen in Afghanistans Nachbarstaaten seit der Machtübernahme der Taliban. Er erwähnt unter anderem neun zusätzliche Stellen in Pakistan und zehn in Katar, sagt aber nicht, dass diese in erster Linie für die Ausreise afghanischer Ortskräfte nach Deutschland geschaffen wurden.
10.000 Euro für den Nachzug?
Burkhardt kritisiert das: „Ich fürchte, dass Tausende verzweifelt hoffen und dann bitter enttäuscht werden. In Afghanistan verschärft sich die Lage. Ohne zeitnahe Perspektive auf Ausreise in ein Nachbarland fürchten wir um ihr Leben. Und ohne Zusage zur Weiterreise nach Deutschland sitzen sie in Afghanistan in der Falle, denn Pakistan lässt sie nicht einreisen.“
Pro Asyl wünscht sich, dass Anträge auf Familienzusammenführung in Zukunft durch das in Deutschland lebende Familienmitglied digital gestellt und durch Behörden im Inland geprüft werden. Das würde Zeit sparen und die Betroffenen müssten nicht länger bei Botschaften um Termine bitten.
Außerdem müsse, so Pro Asyl, das Auswärtige Amt endlich die Praxis beenden, Antragstellern die Kosten für einen sogenannten „Berliner Vergleich“ aufzubürden. Den hatte zuletzt das ARD-Magazin „Panorama“ dargestellt: Wenn ein Antragsteller auf Familiennachzug gegen den negativen Bescheid des Auswärtigen Amts klagt und sich im Klageverfahren abzeichnet, dass er Recht bekommt, dann lenkt das Auswärtige Amt ein. Bedingung aber: Der Antragsteller zieht seine Klage zurück und trägt alle Kosten des Verfahrens in Höhe von rund 10.000 Euro.
Damit ihre Familien aus den Bürgerkriegsländern heraus in Sicherheit kommen, lassen sich Asylberechtigte darauf ein, auch wenn sie oft nur ein prekäres Beschäftigungsverhältnis in Deutschland haben, und verschulden sich.
Doch das Auswärtige Amt sieht keinen Änderungsbedarf. Auf eine taz-Anfrage heißt es nur: „Vergleiche sind in solchen Fällen im Interesse der Antragstellenden, da die unstreitige Beilegung für sie Zeit und Kosten spart.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut