: Asyl für US-Forschung
Auf einer Onlineplattform und auf Magnetbändern sichert das bremische Pangaea-Projekt Daten des Klimawandels. Die US-Regierung will von denen nämlich nichts mehr wissen

Von Charlina Strelow
Bremen rettet vielleicht nicht das Klima. Aber wenigstens einen Teil der Daten, ohne die das Klima nicht gerettet werden kann: Die in Kooperation vom Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven und der Universität Bremen betriebene Pangaea-Plattform gewährt Daten der „Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde“ der USA Asyl, der Noaa. „Wir übernehmen Verantwortung“, teilte Uni-Rektorin Jutta Günther mit. Frei zugängliche Daten seien „ein unverzichtbares Fundament“ für die Forschung.
Die Noaa hatte Anfang April einen Hilferuf in die Forschungscommunity lanciert. Sie untersteht unmittelbar dem US-Handelsminister Howard Lutnick. Der lässt derzeit jeden einzelnen Noaa-Vertrag ab einem Wert von 100.000 Dollar an aufwärts überprüfen – und, wo möglich, kündigen. Seither hat die Forschungsbehörde fast wöchentlich eine neue „Notice of Change“ veröffentlichen müssen, bestehend aus dem Namen eines Programms und der Nachricht „is decommissioned“, wird eingestellt. Zuletzt, am 12. Mai, wurde angekündigt, dass ab 16. Juni die für die Klimaforschung zentralen Wetterdaten der polarumlaufenden Satelliten (POES) nicht mehr verfügbar sein werden.
Eine Woche zuvor war Schluss gewesen für die Wassertiefenmessung (Bathymetrie) der Flussmündungen (Ästuare). Drei Tage später wurde das Aus für die „Billion-Dollar-Disaster-Database“ verkündet. In der finden sich detaillierte Aufzeichnungen zu 403 in den vergangenen 45 Jahren eingetretenen Ereignissen, die jeweils Schäden von mindestens einer Milliarde US-Dollar verursacht hatten. Das folgt der Linie, die Lutnick in seiner ersten Ankündigung des rabiaten Kürzungskurses skizziert hatte: Die Forschungsprogramme, Kooperationen der Noaa mit der Princeton-University, bezichtigt er darin, „übertriebene und nicht plausible Vorstellungen von Klimabedrohungen“ zu fördern, und damit eben auch „das Phänomen der ‚Klima-Angst‘, die in der amerikanischen Jugend um sich greift“.
Laut internen Dokumenten, die dem amerikanischen Nachrichtensender CNN vorliegen, soll das Budget für Noaa spätestens 2026 um gut 27 Prozent gekürzt und der Forschungsbereich geschlossen werden. Im laufenden Jahr gilt noch das von Ex-Präsident Joe Biden 2024 unterzeichnete „Bewilligungsgesetz“, durch das Noaa insgesamt 6,72 Milliarden Dollar zur Verfügung stellt wurden. Davon waren 224 Millionen für die Klimaforschung reserviert.
Noaa hält sich bedeckt, wie intern mit den Budgetkürzungen verfahren wird, verrät Frank Oliver Glöckner, Datenmanager des Pangaea-Projekts: Auf der Plattform kann jede:r online auf Erd- und Umweltdaten zugreifen und dort eigene einschlägige Forschung veröffentlichen. Mit Noaa arbeitet Pangaea bereits seit 15 Jahren zusammen. Nun sind sie eine der Initiativen, die dem amerikanischen Hilferuf nachgekommen sind: Sie bieten den Daten auf ihren Servern Asyl. Bislang wurden 42 der in den USA bedrohten Datensätze hier gehostet. Man habe sich dabei zunächst auf historische Aufzeichnungen zu Erdbeben und heißen Quellen konzentriert.
Bremen ist nicht die einzige Uni, die hilft. Mehrere US-Hochschulen, aber auch die staatliche Universität von Guelph in Ontario, Kanada, oder die britische Universität von Southampton beteiligen sich am „Data Rescue Tracker“, über den die Datenrettung koordiniert wird. Hier sei zu erkennen, wann bestimmte Daten offline genommen werden, aber auch, welche der Daten am besten zum eigenen Forschungsbereich passen, erklärt Glöckner.
Gesichert werden die Daten bei „Pangaea“ nicht nur auf einer Festplatte, sondern auch auf Bändern. Das ist ein in Archiven oft genutztes Prinzip. Vorstellen kann man sich das wie die Bänder einer alten VHS-Kasssette. Ein Schreib-Lese-Kopf spielt die Daten auf die magnetischen Bänder. Im Gegensatz zu einer Festplatte, die energietechnisch nie auf null stehen kann, können die Bänder bei Nichtnutzung einfach in einer Schublade liegen.
Howard Lurick, US-Handelsminister
Wenn dann wieder auf sie zurückgegriffen werden soll, dauert es jedoch länger. Eine Festplatte kann in wenigen Sekunden Daten abrufen. Ein Bandlaufwerk brauche mitunter mehrere Minuten, so Glöckner weiter. Auch hier helfe das Bild der Kassette: Die auf ein Band gespielten Informationen können nur nacheinander abgelegt werden. Wer Daten zu Beginn des Bandes benötigt, muss an den Anfang zurückspulen. Im sogenannten „schnellen Zugriff“ befinden sich die Daten, sobald die Bänder vom Bandroboter ins Bandlaufwerk gelegt und dann zurück auf eine Festplatte gespielt worden sind. Aus dem „schnellen Zugriff“ können sie sofort ausgespielt werden und wieder auf der Website erscheinen.
Neben der Energieeffizienz haben Bandlaufwerke außerdem den Vorteil, kostengünstiger als Festplatten zu sein. Für einen Terabyte auf einem Bandlaufwerk zahlt man etwa fünf Euro, ein Terabyte auf einem Festplattenlaufwerk kostet nach Glöckners Schätzung etwa 150 Euro. Etwa alle zehn Jahre sollten neue Bänder bespielt werden, da sich die alten im Laufe der Zeit entmagnetisieren und nicht mehr lesbar sind. Es wird außerdem darauf geachtet, „immer auf neue Techniken zu migrieren“, wenn dieses sinnvoll erscheint, versichert Glöckner.
Von den auf Bänder gespeicherten Datensätzen befinden sich zwei Exemplare in Bremerhaven und eins in Bremen. Im Fall von Beschädigungen oder Cyberangriffen bestehe also dreifache Sicherheit. Das „Pangaea“-Team hat die Datensätze zudem nicht nur gesichert, sondern die teils als Rohdaten erhaltenen Informationen auch aufbereitet. „Diese komplexen Services können wir kurzfristig nicht vollständig ersetzen“, räumt Glöckner ein.
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