Aserbaidschan zerstört armenische Kultur: Abschied vom Kloster Dadiwank
Der Krieg in Bergkarabach ist kein religiöser Konflikt. Kulturgüter der Armenier werden zerstört, um den aserbaidschanischen Anspruch zu festigen.
Ein aserbaidschanischer Offizier steht auf dem Dach einer armenischen Kirche, an der Spitze des Glockenturms. Er hebt seine Hände in die Luft hoch und ruft minutenlang so laut, wie er kann, „Allahu Akbar“. Seine Soldaten wiederholen das im Chor. So feiern aserbaidschanische Soldaten ihren Sieg über Armenien im Krieg um Bergkarabach. Im Netz zirkulieren mehrere Videos, die zeigen, wie aserbaidschanische Soldaten armenische Kirchen in den Regionen entweihen, die sie während des Kriegs erobert haben.
In Kubatli zerstören aserbaidschanische Soldaten ein Kreuzstein-Denkmal, dabei filmen sie und lachen. In einem Video ist zu sehen, wie ein Soldat die Glocke vom Denkmal entfernt, dann wendet er sich per Kamera an die Armenier. „Diese Glocke werde ich an die Brust deiner Mutter, am besten an ihre Brustwarzen hängen. Und wenn deine Mutter tot ist, dann hänge ich sie an die Titten deiner Frau oder deiner Tochter “, sagt er und wirft die Glocke auf den Kreuzstein. Im Video redet er Russisch, damit möglichst viele Armenier ihn verstehen.
Am 10. November 2020 wurde der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach, der am 27. September ausgebrochen war, durch eine Vereinbarung beendet. Laut dem Dokument verliert Armenien die Kontrolle über alle sieben Regionen, die Bergkarabach umgeben. Davon ausgenommen ist der sogenannte „Laschinkorridor“ auf einer Breite von fünf Kilometern, der Armenien mit Bergkarabach verbindet. Auch einige Landstriche in Bergkarabach fallen an Aserbaidschan – unter anderem die Stadt Schuschi (aserbaidschanisch: Schuscha). Russische Friedenstruppen sollen die Umsetzung der Vereinbarung absichern.
Die Bilder von der bombardierten historischen Kathedrale in Schuschi gehen um die ganze Welt. Die Kathedrale Christi des Heiligen Retters wurde von aserbaidschanischen Streitkräften bei den Kämpfen zweimal beschossen. Nach der Eroberung der Stadt zerstörten Soldaten in Schuschi auch die Kirche St. Johannes Mkrtich.
„Die Aktionen Aserbaidschans zeigen die jahrzehntelange Politik dieses Landes, alle Spuren der historischen Präsenz der Armenier zu beseitigen“, heißt es in einer Presseerklärung der armenischen Apostolischen Kirche in Etschmiadsin, dem Sitz des Katholikos, des Oberhaupts der armenischen Kirche.
Proteste der Unesco
Die armenische Seite hat über 80 armenische Kirchen und Klöster allein in Bergkarabach registriert, die über viele Jahrhunderte hinweg errichtet wurden. Über 4.000 Denkmäler werden in der staatlichen Liste für Denkmalschutz geführt. Sie werden unter anderem bis auf das neunte Jahrhundert nach Christus datiert.
Bereits Ende der 1990er Jahre hatte Aserbaidschans Regierung armenische Kreuzsteine in Nachitschewan zerstören und vernichten lassen. Nur Proteste der Unesco verhinderten 1998 die Zerstörung des 1.200 Jahre alten armenischen Friedhofs. Doch 2005 verwüsteten die aserbaidschanischen Streitkräfte die Gräber. „Sie vernichten damit nicht nur die größte Sammlung der armenischen Kreuz- und Grabsteine, die es ja gab, sondern auch die in ihren Inschriften enthaltenen reichen Quellen zur Regionalgeschichte des 5. bis frühen 17. Jahrhunderts“, schreibt die Armenologin Tessa Hofmann in ihrer Monografie „Annäherung an Armenien: Geschichte und Gegenwart“.
Auch der Klosterkomplex Dadiwank in Kalbadschar soll jetzt zurückgegeben werden. Bis zum 25. November muss Jerewan die Kontrolle über diesen Bezirk an Aserbaidschan abtreten. Der Klosterkomplex, zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert erbaut, ist ein wichtiges Zentrum der Armenischen Apostolischen Kirche. Viele Armenier kommen dieser Tage noch einmal nach Dadiwank. Sie zünden Kerzen an, küssen die Wand oder füllen Taschen mit einer Handvoll Erde vom Kirchhof.
Viele sind gekommen, um Abschied zu nehmen. Sie lassen sich taufen. Einige junge Paare heiraten noch schnell im Kloster. Pater Hovhannes darf nicht weinen, er muss seine Gemeinde trösten. „Herr, erbarme dich!“, sagt er und seine tiefe Stimme hallt in der ganzen Klosteranlage wider. Es sollen bereits 800 Jahre alte Kreuzsteine und Kirchenschätze von hier nach Armenien gebracht worden sein.
Auch Aserbaidschan erhebt eine historischen Anspruch auf Dadiwank. Anar Karimov, der stellvertretende Kulturminister Aserbaidschans, twittert Fotos von Dadiwank und bezeichnet den Klosterkomplex als „eines der besten Zeugnisse der alten kaukasischen albanischen Zivilisation“ und damit auch als aserbaidschanisches Erbe. Die armenische Seite beschuldigt er, die Kloster unterschlagen zu haben.
Laut einer Vereinbarung mit Russland soll das Dadiwank-Kloster aber unter der Kontrolle russischer Friedenstruppen bleiben und die Priester sollen dort weiterhin Gottesdienst abhalten dürfen, wie die Armenische Kirche mitteilte. Es gibt einen Ausspruch auf Armenisch: „Es ist ein Trost für das versteinerte Herz.“
Die Menschen in Armenien sind nicht religiös, obwohl über 92 Prozent offiziell der Armenisch Apostolischen Kirche angehören. Das Christentum ist aber ein wesentlicher Teil der armenischen Identität. Die Armenische Apostolische Kirche ist die älteste Staatskirche der Welt. Es erfüllt die Armenier*innen mit Stolz, dass ihr Land bereits im Jahr 301 als erstes auf der Welt das Christentum als Staatsreligion eingeführt hat. Die Kirche wird apostolisch genannt, weil ihre Gründung auf die Apostel Thaddäus und Bartholomäus zurückgeht, die in Armenien gelehrt haben und die ersten Gemeinden versammelt haben sollen.
Die Armenische Kirche hat viel Einfluss auf die armenische Kultur. Zu Armeniens christlichem Erbe gehören nicht nur Klöster, sondern auch Manuskripte, Liturgien und die Kreuzsteinkultur. Im Jahr 404 erschuf der Mönch Mesrop Maschtoz das armenische Alphabet und bereitete damit den Weg für die Übersetzung der Bibel und die Verbreitung des Christentums in Armenien. Auch in der Diaspora (etwa sieben Millionen) wird die Sprache gepflegt.
Auch der Berg Ararat, an dem die Arche Noah gestrandet sein soll, ist ein Heiligtum der Armenier*innen. Für sie ist der Ararat nach dem Völkermord und der Vertreibung 1915 im Osmanischen Reich zu einem Symbol für ihre verlorene Heimat geworden. Der biblische Berg erhebt sich direkt an der bis heute geschlossenen armenisch-türkischen Grenze. Seit einer Entscheidung Sowjetrusslands im Jahr 1921 gehört er zur Türkei. Der Ararat ist im Wappen der Republik Armenien abgebildet.
Weil sie Christen waren
Bis heute sehen sich Armenier*innen als Opfer. Sie wurden mit griechischen und aramäischen Volksgruppen von 1912 bis 1922 unter den nationalistischen Regimen der Jungtürken und Kemalisten bei Massakern, Todesmärschen oder Zwangsarbeit getötet, unter anderem, weil sie Christen waren.
Der Territorialkonflikt um Bergkarabach, der seit mehr als 30 Jahren schwelt, ist kein Krieg zwischen christlichen Armenier*innen und muslimisch geprägten Aserbaidschaner*innen. Es ist eher ein ethnischer Konflikt, der sich durch Entweihung der armenischen Gotteshäuser weiter zuspitzen und den Hass zwischen beiden Völkern noch vertiefen dürfte.
Die Nichtregierungsorganisation Deutsch-Armenische Juristenvereinigung (DEARJV) mit Sitz in Nürnberg dokumentiert die Fälle von Zerstörungen und Entwürdigungen der armenischen Kulturgüter und Denkmäler und versucht sie nach internationalem Recht zu schützen. Die Juristen von DEARJV haben bereits mehrere Strafanzeigen beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe wegen aserbaidschanischer Kriegsverbrechen gestellt. Dabei geht es um Folter, Vertreibung und Erniedrigung von armenischen Soldaten sowie Zivilisten. Aber auch um Vandalismus und die Zerstörung armenischer Kulturdenkmäler in den eroberten Ortschaften durch aserbaidschanische Soldaten.
Gurgen Petrossian, der den Juristenverein leitet, weist im Gespräch mit der taz auf die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten hin. „Die Zerstörung und Beschädigung der Kulturgüter sind nicht nur ein Verbrechen an Eigentum, sondern auch am Welterbe. Deswegen haben wir eine gemeinsame Pflicht, das kulturelle Welterbe zu bewahren“, sagt Petrossian.
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