Arte-Serie „Jesus und der Islam“: Mut zum Sakrileg
Auf Arte wagen Islamwissenschaftler die Diskussion der Quellen – ohne Schnickschnack, ohne Aufnahmen alter Gebäude, ohne Spielfilmszenen.

Mut – das ist das wesentliche Attribut, das die neue Arte-Serie „Jesus und der Islam“ prägt. Es ist ein dreifacher Mut: Zum einen der der Arte-Redakteure, ein sperriges Sujet wie die islamische Theologie in einer radikalen Art und Weise in einer TV-Dokumentation zur besten Sendezeit ausstrahlen zu lassen, offenbar in dem Bewusstsein, damit niedrige Einschaltquoten in Kauf zu nehmen. Dies ist die Courage des öffentlich-rechtlichen Fernsehens at its best.
Zum Zweiten ist es der Mut der Autoren, Gérard Mordillat und Jérôme Prieur, dieser siebenteiligen Dokumentation, die – wie schon in der glorreichen Arte-Serie „Die Apokalypse“ vor sieben Jahren – erneut beschlossen haben, die Geschichte der ersten Jahrzehnte einer Weltreligion allein durch die Komposition von Interview-Ausschnitten mit führenden Fachleuten der Theologie und Religionswissenschaft erzählen zu lassen.
Kein Schnickschnack drumherum, kein Abfilmen historischer Gebäude, keine Spielfilmszenen – nur die Inszenierung des Gesprächs der Scientific Community. Wie bei „Die Apokalypse“ setzen die Filmemacher auf die Spannung, die entsteht, wenn kluge Leute mit zum Teil sehr charaktervollen Gesichtern aus dem Schatz ihrer jahrelangen Forschung erzählen. Das ist oft schlicht umwerfend.
Schließlich ist es der Mut der 26 interviewten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst, der beeindruckt. Den meisten von ihnen, das merkt man schon, mangelt es nicht an Selbstbewusstsein, und das zu Recht, denn sie gehören zur Elite ihres Fachgebiets, ihr historisches, theologisches und philologisches Wissen ist enorm – und muss es auch sein, denn sie befassen sich mit einem Text, dem Koran, von dem manche sagen, es sei „ein Text ohne Kontext“, das heißt: Man weiß fast nichts über seine Entstehung, da es an Quellen außerhalb des Korans aus dieser Zeit fehlt.
Erfreulich viele Frauen werden interviewt
Ähnliches gilt für den Propheten Mohammed, der die Offenbarungen dieses Heiligen Buches Anfang des 7. Jahrhunderts in Mekka und Medina verfasst, oder besser: direkt von Gott empfangen und nur mündlich verbreitet haben soll. An dieser Stelle wird die Arte-Dokumentation sogar auf ganze eigene Art politisch, brisant und hoch aktuell. Denn die interviewten Fachleute – übrigens erfreulicherweise relativ viele Frauen darunter – haben den Mut, die Autorenschaft Mohammeds als Sprachrohr Gottes zu diskutieren und infrage zu stellen.
Das aber grenzt an ein Sakrileg und erfordert einiges an Courage, gerade in muslimisch geprägten Ländern, die fast alle derzeit geplagt werden von einem dort grassierenden Fundamentalismus der dummen, brutalen Kerls, die glauben, ihr Glaube erfordere es, jeden umzubringen, der nicht der Steinzeitversion ihrer Religion folgt.
Wer etwa sieht, wie sich der junge belgische Forscher Mehdi Azaiez bei der Frage nach der Autorenschaft Mohammeds windet, ja jedes Wort wägt und die Risiken dieser Gedanken konkret benennt, ahnt, in welcher Gefahr vor allem die progressiven islamischen Theologinnen und Theologen in muslimischen Ländern schweben, wenn sie den Koran kritisch erforschen. Es geht da, leider und ganz konkret, um Leben und Tod. Denn zumindest traditionell gesehen darf die islamische Theologie den Koran als exaktes Wort Gottes nur auslegen, aber nicht infrage stellen.
„Jesus und der Islam“; Regie: Gérard Mordillat, Jérôme Prieur; Sendetermine: Dienstag, 8. 12., 20.15 + 21.10 + 22.00 Uhr; Mittwoch, 9. 12., 22.20 + 23.15 Uhr; Donnerstag, 10. 12., 21.45 + 22.40 Uhr
Die historisch-kritische Methode, mit der die christliche Theologie die Bibel seit etwa 200 Jahrhundert seziert, ist in vielen Ländern des muslimischen Raums ein tendenziell lebensgefährliches Unterfangen. Umso mehr ist an der Serie „Jesus und der Islam“ zu bewundern, wie es Mordillat und Prieur gelingt, diese dennoch stattfindende Diskussion der Wissenschaft über den Koran in ihrer Serie zu spiegeln.
„Sapere Aude“ – „habe Mut, zu wissen“, dieser Leitspruch der Aufklärung hat derzeit in der muslimischen Welt einen ganz eigenen Klang. Den Filmemachern Mordillat und Prieur, ihrem Sender Arte, vor allem aber den interviewten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist mit ihren Erzählungen in „Jesus und der Islam“ ein beeindruckendes Stück Aufklärung gelungen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!