piwik no script img

Arrow 3, Lauterbach und LindnerLegal, aber risky

Deutschland hat nichts mehr zu befürchten. Ein neues Motto ist die Rettung für die Ampel – und gegen die Spaltung der Gesellschaft.

Deutschland ist jetzt gut beschirmt – in vielerlei Hinsicht Foto: AP Photo/Markus Schreiber

W as für eine grandiose Woche. Ich bin immer noch ganz high und bitte um Entschuldigung, wenn diese Zeilen etwas wirr ausfallen. Aber so viel Glück auf einmal bin ich nicht gewohnt. Nach 53 wechselhaften Jahren gingen alle meine Wünsche endlich in Erfüllung. Privat, sportlich und politisch, was für mich eh alles dasselbe ist. Mag sein, dass ich halluziniere, aber ja, ich fühle mich wie neugeboren.

So reich beschenkt wie nie, blicke ich der Zukunft ganz entspannt entgegen. Die lang ersehnte Autobiografie von Alexandra Popp lässt mich das deutsche Aus bei der WM vergessen, weil dieses Malheur im vorsorglich vorher verfassten Lebenswerk des letzten echten deutschen Fußballstars nicht vorkommt. Popp lesen heißt siegen lernen. Und mein neues, furchterregend schönes Trikot unseres Partnervereins Florida Panthers wird das taz-Tor endgültig auf ewig unbezwingbar machen.

So wie Deutschland, das ebenfalls nichts mehr zu befürchten hat, nachdem unser großer Bruder Joe die Lieferung des israelisch-amerikanischen Raketenabwehrschirms Arrow 3 genehmigt hat. Wer jetzt immer noch Angst vor Putin hat, muss nur noch bis 2025 zittern. Dass es der Bundesregierung mit dem neuen Deal noch schwerer fallen dürfte, die ultrarechte Netanjahu-Koalition in Israel zu kritisieren – geschenkt. Das hat sie ja auch bisher nicht gemacht. Dafür hat die Ampel seit dieser Woche einen neuen Slogan, mit dem sie sich und uns aus der Krise führen wird, weil er alle Kräfte bündelt und die zerstrittene Gesellschaft endlich versöhnen wird: „Legal, aber risky“.

Das ist die Wende, die Rettung für die Ampel und ganz Deutschland. Es ist noch nicht zu allen durchgedrungen, aber mit dem genialen Motto der Aufklärungskampagne zur Cannabislegalisierung lassen sich auch alle anderen Probleme der Regierung auf einen Schlag lösen. Das eigene Umfragetief und die Spaltung der Gesellschaft – vorbei und überwunden! Denn wenn sie erst darüber nachdenken, werden die Menschen feststellen, dass sie alle immer wieder irgendetwas machen, das legal, aber risky ist: saufen, rauchen, Auto fahren, Sex ohne Kondom, SPD wählen. Ist vielen schon passiert, kann jeder leicht verstehen – und die Regierung wieder lieben.

Niemand soll über mangelnde Lernfähigkeit meckern

Wenn ausgerechnet der Gesundheitsminister, der in der Coronazeit noch jedes kleinste, eventuell denkbare Risiko durch Verbote ausschließen wollte, plötzlich das Gegenteil macht und altbekannte Risiken erstmals erlaubt, kann doch wirklich niemand mehr über die mangelnde Lernfähigkeit der Regierung meckern. Eine Enttäuschung wird es frühestens dann geben, wenn Karl Lauterbach in 5.000 Jahren ausgegraben wird und die Ar­chäo­lo­g*in­nen keine Spuren der unter seiner Ägide zugelassenen Drogen finden.

Aber das lässt sich in Kauf nehmen. Auch, dass die Ampel entgegen aller Vorsätze direkt nach der Sommerpause schon wieder streitet, diesmal über viele Millionen für die Industrie, die Finanzminister Christian Lindner gern ausgeben will, und ein paar Millionen für die armen Kinder, die nur noch eine Grüne einsam fordert. Die Vernachlässigung der sozialen Gerechtigkeit ist leider auch legal und scheint parteitaktisch nicht mehr besonders risky, da sich die einzige linke Konkurrenz nach dem Rückzug von Linksfraktionschef Dietmar Bartsch demnächst wahrscheinlich auflöst.

Also alles easy, peacy für die Ampel. Wenn da nur nicht noch diese AfD wäre, die nach dem Ausscheiden der Linkspartei womöglich noch mehr sozial Benachteiligte einsammeln könnte. Aber auch gegen die Gefahr von rechts hat Innenministerin Nancy Faeser jetzt zum entscheidenden Befreiungsschlag ausgeholt: Faeser will dafür sorgen, dass Björn Höcke nie mehr als Lehrer in den hessischen Schuldienst zurückkehren darf. Ein Geniestreich.

Damit ist das drängendste Problem vor den anstehenden Landtagswahlen in Hessen und Thüringen auf einen Schlag gelöst. Und falls die AfD wider Erwarten trotzdem noch reüssieren sollte, steht das Motto der Gegenkampagne natürlich auch längst fest: „Legal, aber risky“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
Mehr zum Thema

0 Kommentare